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Matthias Miersch
SPD
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Frage von Malte B. •

Frage an Matthias Miersch von Malte B. bezüglich Verbraucherschutz

Was ist ihre Position zum Datenschutz, Internetsperren und der Vorratsdatenspeicherung?

Wie wird sich ihre Fraktion in der kommenden Legislaturperiode dazu verhalten?

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Antwort von
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Sehr geehrter Herr Brede,

vielen Dank für Ihre Fragen. Ich möchte Ihnen etwas ausführlicher antworten, da ich mich in den letzten Jahren intensiv mit den von Ihnen angesprochenen Themenfeldern beschäftigt habe und immer wieder feststellen musste, dass es einfache Antworten häufig nicht gibt. Lassen Sie mich aber vorweg eine allgemeine Bemerkung machen:

Die Themen Datenschutz und das Spannungsfeld Freiheit/Sicherheit werden sicher auch in den kommenden Monaten und Jahren ganz wichtige Bereiche der Rechts- und Verbraucherschutzpolitik sein. In der Großen Koalition hatten wir mit der CDU einen Partner, der stets weiter in die Freiheitsrechte eingreifen wollte. Es war bei vielen Themen deshalb die Frage zu beantworten, ob die erreichten Kompromisse tragfähig sind. Als Abgeordneter muss man sich dann nach entsprechenden Verhandlungen auch immer die Frage stellen, ob man sich auf die Gewissensfreiheit beruft – ob man also gegen die Ergebnisse der Verhandlungen in einer Koalition und damit auch gegen die sog. Fraktionsdisziplin stimmt. Ich habe dieses Recht, aber auch die Pflicht gegenüber meiner Fraktion, in den vergangenen Jahren sehr ernst genommen. Sie werden auf meiner Internetseite unter der Rubrik „Persönliche Erklärungen“ oder auf abgeordnetenwatch.de unter Abstimmungen sehen können, dass ich mich bei wichtigen Entscheidungen durchaus auf das Recht aus Art. 38 Grundgesetz berufen habe. Bei den von Ihnen erwähnten Fragen habe ich mich stets von der Frage der Intensität des Eingriffes und den rechtsstaatlichen Sicherungen leiten lassen. Ich möchte das an den von Ihnen gestellten Fragen zu den Themen BKA-Gesetz, Vorratsdatenspeicherung und Internetsperren erläutern.

Zunächst zum Datenschutz allgemein:
Datenschutz, und vor allem Verbraucherdatenschutz, ist für mich eines der zentralen Themen im Bereich der Bürgerrechte im Allgemeinen und meiner Arbeit im Speziellen. Datenschutz bedeutet nicht nur, dass große Konzerne keine Datensammlungen über das Verhalten ihrer Mitarbeiter anlegen, sondern es bedeutet vor allem eines: den Schutz der Privatsphäre von Bürgerinnen und Bürgern in diesem Land. Hier für Verbesserungen zur Sicherung von Persönlichkeitsrechten zu sorgen, ist mir ein persönliches Anliegen. Im Juni diesen Jahres habe ich daher auch eine große Veranstaltung mit dem Bundesbeauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit Herrn Peter Schaar zum Thema Verbraucherdatenschutz in meinem Wahlkreis organisiert. Es geht mir beim Thema Datenschutz zunächst besonders darum, die Menschen über die Risiken der ungehemmten Datenweitergabe vor allem im Internet zu informieren und zu sensibilisieren. Schließlich ist es aber unabdingbar, durch gesetzliche Vorgaben die informationelle Selbstbestimmung der Bürgerinnen und Bürger sicherzustellen. Es muss der Grundsatz gelten, die Informationserhebung- und Sammlung von vornherein so zu gestalten, dass Datenschutzrichtlinien genüge getan wird und nicht dauernd per Gesetz nachgearbeitet werden muss. Mit der Reform des Datenschutzgesetzes sind erste wichtige Schritte eingeleitet worden. Leider waren weitere notwendige Beschlüsse mit der CDU noch nicht durchsetzbar. Hier wird es weitere gesetzliche Absicherungen geben müssen.

Das Spannungsfeld Freiheit/Sicherheit am Beispiel BKA-Gesetz und Vorratsdatenspeicherung:
Am 28. April 2008 habe ich im Wahlkreis eine Veranstaltung mit der Bundesjustizministerin Brigitte Zypries zum Thema „Bürgerrechte und Sicherheit in Zeiten des Terrorismus“ durchgeführt. Sie sehen auch daran, dass mich die von Ihnen genannten Themenfelder durchweg in meiner Arbeit beschäftigt haben und ich immer versucht habe, diese auch breit zu diskutieren. Ich habe hier in den letzten vier Jahren erleben können, wie vor allem Innenminister Schäuble mit dem Thema Sicherheit immer wieder versucht hat, Freiheit und Sicherheit gegeneinander auszuspielen. Ich befürchte, dass im Falle eines Anschlages, der niemals ausgeschlossen werden kann, die Sensibilität weiter abnehmen wird, so dass ich kontinuierlich an diesem Themenfeld arbeiten möchte. Mit dieser Problematik eng verbunden waren das BKA Gesetz und das Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung.

Ich habe damals im Plenum nicht mit meiner Fraktion gestimmt und das BKA Gesetz abgelehnt, da ich die getroffenen Regelungen nicht mit meinem Gewissen vereinbaren konnte. Sie griffen nach meinem Verständnis derart in verfassungsrechtliche Grundrechte ein, dass sie nicht durch polizeiliche Ermittlungstätigkeiten gerechtfertigt werden konnten. Das betraf vor allem die richterliche Kontrolle über die Anordnung und Auswertung der Maßnahmen (z.B. der Onlinedurchsuchung). Für mich erscheint es unerlässlich, jede Maßnahme in diesem Bereich durch einen Richter anordnen zu lassen. In Eilfällen sah das Gesetz jedoch Ausnahmen vor, die meiner Einschätzung nach verfassungsrechtlich bedenklich sind. Das gilt für die teilweise ungenaue Beschreibung der Straftaten, die verhindert werden sollen und für die Sichtung der Daten durch zwei BKA-Beamte und den behördeninternen Datenschutzbeauftragten. Ein Grundproblem stellte sich auch bei der Frage nach dem Zusammenwirken von BKA / Staatsanwaltschaft und Länderpolizei. Zum Glück konnten aufgrund der Intervention von mehreren SPD-Bundesländern im Vermittlungsausschuss noch Verbesserungen erreicht werden. Die Regelung, dass bei Gefahr im Verzug auch ohne richterliche Anordnung gehandelt werden darf, wurde gestrichen. Ein Richter muss außerdem festlegen, welche der ermittelten Daten zum Kernbereich der Privatsphäre gehören und deswegen nicht untersucht werden dürfen.

Der Vorratsdatenspeicherung habe ich demgegenüber zugestimmt, ohne die erhobenen Einwände negieren zu wollen. Bei der Abwägung war für mich entscheidend, dass eine Vielzahl der gespeicherten Daten bereits durch die Telekommunikationsunternehmen zu Abrechnungs- und Beweiszwecken erhoben wurde und nur ein Richter die Verwendung der Daten für die strafrechtliche Verfolgung durch den Staat anordnen darf. Man muss bei diesem Thema auch beachten, dass die Bundesrepublik Deutschland nach den Anschlägen von Madrid durch die Europäische Union im Rahmen einer Richtlinie dazu verpflichtet wurde, entsprechende Schritte zur Terrorabwehr in die Wege zu leiten und viele Länder in der EU noch weiter gegangen sind. Der Europäischen Gerichtshof hat die Maßnahmen bisher als rechtens bewertet. Das in Deutschland zuständige Bundesverfassungsgericht hat jedoch im letzten Jahr einem Eilantrag stattgegeben, der zwar nicht die Speicherung untersagt, jedoch die Weitergabe der gespeicherten Nutzerdaten nur bei "schwerwiegenden Straftaten" oder Gefahr für die nationale Sicherheit erlaubt. Hier zeigt sich, auf welch schmalem Grad die Gesellschaft in diesen Fragen letztlich wandelt. In Berlin habe ich in den letzten Jahren immer wieder erleben können, wie unterschiedlich die Auffassungen sind. Ich bin froh, dass sich die Hardliner von CDU/CSU nicht durchsetzen konnten. Schließlich wird für uns alle als Mitglieder der Zivilgesellschaft weiter die Pflicht bestehen, wachsam im Auge zu behalten, in welche Richtung sich diese Frage entwickelt. Natürlich betrifft dies zunächst die Politiker, die sich direkt mit diesen Themen auseinandersetzen. Ich bin mir aber sicher, dass wir die Kräfte bündeln müssen, um viel weitergehende Pläne der Überwachung und Durchsuchung wirkungsvoll zu verhindern. Dafür braucht es aber auch aktive Bürger wie Sie, die sich mit derartigen Fragen beschäftigen und kritisch hinterfragen, was sich im Spannungsfeld Freiheit/Sicherheit in Deutschland tut.

Das Spannungsfeld am Beispiel Internetsperren:

Schließlich möchte ich Ihnen noch meine Position zum Thema Internetsperren erläutern. In vorherigen Antworten auf abgeordnetenwatch.de habe ich bereits dazu Stellung bezogen, begrüße aber die Gelegenheit, meine Position noch einmal deutlich machen zu können. Zum Thema: Es geht im Kern um die Möglichkeit der Sperrung von Zugängen zu Internetseiten mit kinderpornografischen Inhalten durch das Bundeskriminalamt. Mir ist bewusst, dass gerade die Netz-Community das Gesetz sehr kritisch beurteilt, die Effektivität bezweifelt und hier den Aufbau einer grundgesetzwidrigen Zensur-Infrastruktur befürchtet.

Nach meiner Einschätzung wird es in den kommenden Jahren darauf ankommen, mit der Community gemeinsam das Spannungsfeld Freiheit und Rechtsstaatlichkeit im Internet zu beurteilen. Ich habe den Eindruck, dass dieses Spannungsfeld völlig neue Fragen aufwirft, die nicht einfach nach dem Schema schwarz/weiß oder richtig/falsch zu beurteilen sind. Vielleicht muss es auch ein langer Prozess sein, da die Entwicklung immer weiter geht und die technischen Möglichkeiten unser bisheriges Normensystem in ganz besonderer Weise fordern. Auch das Bundesverfassungsgericht wird mit Sicherheit an dieser Rechtsentwicklung teilhaben. Ich hoffe, dass sich die Community auch weiter mit konkreten Vorschlägen aktiv an diesem Prozess beteiligt. Klar ist, dass das Gesetz nur ein Mosaikstein im Kampf gegen Kinderpornografie sein kann. Das Gesetz wird auch Kinderpornografie nicht verhindern, wie fälschlicherweise von CDU/CSU immer wieder behauptet. Es erfasst vor allem nicht die Verbreitung über andere Kommunikationsdienste des Internets, wie Filesharingnetze, geschlossene Chats oder das Usenet. Es kann aber zumindest Zugänge im World Wide Web erschweren, wenngleich versierte Nutzer natürlich auch diese Sperren umgehen können. Als Anwalt bin ich jedoch immer wieder mit Fällen konfrontiert worden, in denen die "zufällige" Auswahl dargelegt worden ist. In solchen Fällen wird künftig das Stoppschild helfen können.

Im Gegensatz zu den ersten Entwürfen des Gesetzes von Ministern der CDU/CSU Fraktion hat sich durch Verhandlungen unserer SPD-Kollegen die Tragweite schon deutlich reduziert. Ich möchte Ihnen erläutern, warum ich dem Gesetzentwurf letztlich zugestimmt habe:

1. Der wichtigste Punkt ist für mich die zeitliche Befristung des Gesetzes. Spätestens am 31. Dezember 2012 wird beurteilt werden müssen, ob es durch das Gesetz nennenswerte Erfolge bei der Bekämpfung kinderpornografischer Inhalte im Internet gibt, ob die Kontroll- und Rechtsschutzmöglichkeiten ausreichend oder wirkungsvollere Alternativen gegeben sind.

2. Es handelt sich um ein Spezialgesetz, wie von vielen Kritikern verlangt. Die alleinige Anwendung auf den Bereich Kinderpornografie ist deshalb klar definiert.

3. Es gibt im Gesetz nunmehr den festen Grundsatz: "Löschen vor Sperren". Eine Sperrung erfolgt nur, wenn zulässige Maßnahmen auf Löschung keinen Erfolg haben.

4. Verkehrs- und Nutzerdaten, die aufgrund der Zugangserschwerung bei der Umleitung auf die Stopp-Meldung anfallen, dürfen nicht zum Zweck der Strafverfolgung verwendet werden.

5. Beim Bundesdatenschutzbeauftragten wird ein unabhängiges Gremium bestellt, das die BKA-Liste kontrolliert. Es kann die Liste jederzeit einsehen und korrigieren, wenn sich herausstellt, dass die Sperrung nicht korrekt ist. Die Mehrheit der Mitglieder muss die Befähigung zum Richteramt haben. Darüber hinaus haben Betroffene die Möglichkeit, die Sperrung gerichtlich kontrollieren zu lassen. Natürlich habe ich mich auch mit der Kritik des Bundesdatenschutzbeauftragten beschäftigt. Es wird jetzt darum gehen, seinen Stab mit entsprechendem Personal auszustatten.

6. Schließlich habe ich intensiv mit dem Argument der möglichen Zensur auseinandergesetzt. Hierüber ist auch in der Anhörung ausführlich diskutiert worden. Ich meine, dass man mit diesem Vorwurf sehr vorsichtig sein sollte. Die Freiheit des einen endet für mich dort, wo die Freiheit des anderen tangiert wird. Zensur im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts erfasst eine Vorzensur, während hier bereits publizierte Inhalte gesperrt werden, die hinreichende Anzeichen einer konkreten Rechtsgutgefährdung aufzeigen. Das ist ein ganz wichtiger Punkt. Es geht nicht um die allgemeine Sperrung. Vielmehr liegen Anzeichen einer erheblichen Straftat vor, wobei die Sperrmaßnahme dann immer noch im Rahmen einer gerichtlichen Kontrolle überprüft werden kann.

Sehr geehrter Herr Brede, ich hoffe, Ihre Fragen ausreichend beantwortet zu haben. Gleichzeitig möchte ich Sie herzlich einladen, mit mir weiter über Fragen der Datenschutz/Internetrecht/Freiheitsrechte zu diskutieren. Die Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Juristinnen und Juristen wird sich in den kommenden Wochen in der Region Hannover intensiv mit diesem Themenfeld beschäftigen. Wenn Sie Interesse an einer Teilnahme haben, melden Sie sich einfach bei mir.

Mit freundlichen Grüßen

Matthias Miersch, MdB

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