Frage an Matthias Miersch von Dieter G. bezüglich Wissenschaft, Forschung und Technologie
Sehr geehrter Herr Dr. Miersch:
bezogen auf Ihre als nachhaltigkeitspolitischer Sprecher der SPD-Fraktion vorgenommenen Presseveröffentlichung (6.5.09 ) zur Halbzeit der UN- Dekade ´Bildung für nachhaltige Entwicklung´ stellen sich Fragen:
1. Stimmen Sie mir zu, dass die Halbzeit der Dekade nicht allein der Grund sein kann, dass sich die Fraktion jetzt diesem Thema widmet, denn dies hätte sie schon seit Beginn der Dekade intensivst leisten können."
2. Stimmen Sie mir zu, dass Forderungen in Ihrer Presseerklärung wie ´sie (Bildung für nachhaltige Entwicklung) tritt ein für eine Bildung, die Menschen dazu befähigt, globale Probleme vorherzusehen, sich ihnen zu stellen und sie zu lösen" unrealistisch sind, wenn vom Einzelnen verlangt wird, globale Syndrome zu lösen.Dies bewirkt eher das Gegenteil, es führt dazu, Eigenverantwortung weiter vom Gemeinwohl zu entkoppeln. Zumal selbst Regierungen ´individualisiert´ ziemlich hilflos sind ( Ulrich Beck: Weltrisikogesellschaft).
3. Stimmen Sie mir zu, dass in Hinblick auf die Verankerung von BNE gegenwärtig weniger die Indikatoren der nationalen Nachhaltigkeitsstrategie wichtig sind, wie ´frühe Schulabgänger´ und eine ´erhöhte Hochschulabsolventenquote´ als vielmehr die Frage, welche Defizite sind bei der Umsetzung von BNE auf politischer Ebene auszugleichen?
4.Stimmen Sie mir zu, dass ´public awareness´ der Schlüssel ist, um die Dekade nicht als ´Lost Decade´ abschließen zu müssen? Worin besteht die SPD-Strategie, um diese Gefahr abzuwenden?
5. Stimmen Sie mir zu, dass Anfragen über den personalen Briefkasten des Bundestages geringere Chancen haben beantwortet zu werden als die im öffentlichen Forum?
Mit freundlichen Grüßen
Dieter Gross
Sehr geehrter Herr Gross,
vielen Dank für Ihre Anfrage zu Bildung für nachhaltige Entwicklung.
Lassen Sie mich zunächst betonen, dass die Halbzeit der UN-Dekade selbstverständlich nicht allein der Grund ist, sich mit dem Thema der Bildung für nachhaltige Entwicklung zu beschäftigen. Die von der SPD-Bundestagsfraktion durchgeführte Veranstaltung, auf die Sie sich beziehen, würdigt zum dritten Mal lokales Engagement und mutige Initiativen von Menschen, die sich an vielen Orten für eine nachhaltige Entwicklung einsetzen. Hatten wir in den Vorjahren die großen Themen „Demografischer Wandel“ und „Klimaschutz vor Ort“, war in diesem Jahr die Bildung für nachhaltige Entwicklung angesichts der Halbzeit ein guter Anlass, die Veranstaltungsreihe unter dieses Motto zu stellen.
Über 30 Projekte aus den Bereichen der Vor- und Schulbildung sowie Ausbildung und universitären Bildung sowie von anderen Bildungsträgern präsentierten sich. Damit verfolgen wir die Intention, eine Brücke von Bundes- und Kommunalpolitik zu schlagen und die Sichtbarkeit von guten Beispielen zu erhöhen, um gleichzeitig Anregungen zur Nachahmung zu geben. Darüber hinaus engagiert sich die SPD-Fraktion von Beginn an für die Umsetzung der Bildungsdekade. Prof. de Haan, Vorsitzender des Nationalkomitees zur UN-Dekade ‚Bildung für nachhaltige Entwicklung’ würdigte in der vergangenen Woche das initiierende Engagement der SPD-Fraktion und insbesondere das von Ulla Burchardt, Vorsitzende des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung.
Die Weltdekade ist wie die nachhaltige Entwicklung kein Projekt, dass sich vom Parlament beschließen und von der Regierung exekutieren lässt. Ohne das Engagement und die Beteiligung vieler Menschen aus den unterschiedlichsten gesellschaftlichen Bereichen ist eine nachhaltige Zukunftsgestaltung nicht zu machen! Es muss darum gehen, Eigenverantwortung zu würdigen und zu stärken. Die Gemeinwohlverantwortung der Politik ist dabei stets zu berücksichtigen. Es geht aber immer wieder um das Motto „Global denken, lokal handeln“. Wenn Lehrpläne diesen Grundsatz berücksichtigen, dann wird Verantwortung für das individuelle Handeln greifbar.
Nach meinem Verständnis muss demnach Bildung für nachhaltige Entwicklung in zwei Deutungen gedacht und umgesetzt werden: Zum einen Bildung als Grundvoraussetzung für soziale Nachhaltigkeit und als Schlüssel zu gesellschaftlicher Teilhabe und in diesem Sinne sind die Indikatoren der Nachhaltigkeitsstrategie (Schulabbrecherquote und Hochschulabsolventenquote) ausgewählt worden. Zum anderen Bildung für nachhaltige Entwicklung als Bildungsansatz, der Gestaltungskompetenz jedes Einzelnen stärkt, mit der Komplexität von Zukunftsproblemen umzugehen und adäquate Lösungen zu entwickeln. Hier teile ich nicht Ihre Einschätzung, dass Zweites relevanter sei als das Erstere. Beides ist wichtig.
Mit meiner Arbeit widme ich mich dem Thema vor allem im Parlamentarischen Beirat für nachhaltige Entwicklung und in der Wahlkreisarbeit. Der Beirat zeichnet sich dadurch aus, dass er in besonderer Weise querschnittsorientiert und sachgerecht Nachhaltige Entwicklung behandelt. Denn dort wird fraktionsübergreifend und konsensorientiert gearbeitet und seine Mitglieder halten von dort aus die Verbindungen zu allen Fachausschüssen. Nachhaltigkeitsbildung wird dort im regelmäßigen Austausch mit der UNESCO und den Bundesländern behandelt.
Nur beipflichten kann ich Ihnen in der Einschätzung, die Sie in Ihrem separaten Schreiben abgeben, welches Sie an mich persönlich adressiert haben, dass das Konzept der Nachhaltigkeit und auch der Bildung für nachhaltige Entwicklung größerer Aufmerksamkeit bedarf. Das konstatiert auch die ‚Bonn’ Declaration, das Abschlussdokument der UN-Weltkonferenz für Bildung für nachhaltige Entwicklung, die Ende März in Bonn stattgefunden hat. Das Problem ist, die Begriffe werden beliebig verwendet und dadurch leider nur allzu oft sinnentstellt und sinnentleert. Das zu ändern, ist wie Sie wissen, keine einfache Aufgabe!
Lassen Sie mich abschließend betonen, dass Bildung für nachhaltige Entwicklung nicht an Ländergrenzen enden kann. Leider liegt der Bereich Bildung ausschließlich in der Kompetenz der Bundesländer. Ich trete dafür ein, bundesweit deutlichere Vorgaben für eine Bildung für nachhaltige Entwicklung in den Lehrplänen aufzunehmen und hoffe, dass Bildung in Deutschland endlich als gesamtgesellschaftliche Aufgabe begriffen wird.
Ich hoffe, ich konnte Ihre Anfrage zu Ihrer Zufriedenheit beantworten.
Überdies möchte ich Sie auf das Informationsangebot zu unserer Veranstaltung hinweisen. Eine Dokumentation zu den vorgestellten Projekten sowie weiterführende Informationen finden sich im Internetangebot der SPD-Fraktion unter www.spdfraktion.de und unter diesem Link: http://www.spdfraktion.de/cnt/rs/rs_dok/0,,47053,00.html
Mit freundlichen Grüßen
Matthias Miersch