Frage an Matthias Groote von Annette S. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Groote,
wie Sie wissen gibt es in den verschiedenen Mitgliedsstaaten der EU recht unterschiedliche Bedingungen, um eine Staatsbürgerschaft zu erlangen. Angesichts sinkender Geburtenraten und der Notwendigkeit die Einwanderung zu regeln, halte ich es für sinnvoll, die Schwelle für Migrant(inn)en zur Staatsbürgerschaft und die damit verbundenen Rechte und Pflichten in den Mitgliedsländern aneinander anzugleichen.
Was werden Sie in dieser Legislaturperiode für die Vereinheitlichung des Staatsbürgerschaftsrechts in den verschiedenen Mitgliedsstaaten unternehmen?
Es soll meiner Meinung nach in allen Mitgliedsstaaten die gleichen Bedingungen für den Erwerb der Staatsbürgerschaft geben. Z.B. könnte wie 2006 in Portugal beschlossen, automatisch jedes in der dritten Generation geborenene Kind und möglichst unbürokratisch die Staatsbürgerschaft des Landes erhalten, in dem es aufwächst.
Mit freundlichen Grüßen
Annette Stilleke-Holobar
Sehr geehrte Frau Stilleke-Holobar,
vielen Dank für Ihre Anfrage zu dem meines Erachtens sehr wichtigen Thema der Harmonisierung des Staatsbürgerschaftsrechts. Die Vergabe der Staatsbürgerschaft an Menschen die aus Nicht-EU-Ländern in einen europäischen Mitgliedsstaat eingewandert sind, ist ein originär nationalstaatliches Recht. Der Nationalstaat entscheidet eigenständig über die Kriterien die Immigranten erfüllen müssen, um politische Beteiligungsrechte, aber auch soziale Fürsorgerechte zu erhalten.
Leider haben Sie Recht damit, dass dies in den Mitgliedsstaaten sehr uneinheitlich geregelt ist. Im Zuge der Vollendung des gemeinsamen Binnenmarkts, der den freien Verkehr von Waren, Kapital, Dienstleistungen und Menschen garantieren soll, sind diese unterschiedlichen Regeln allerdings ein Hemmnis. Darum setzen sich die Kommission und auch das Europäische Parlament seit dem Vertrag von Amsterdam (1997) dafür ein, die Rechtsstellung von Drittstaatsangehörigen an die der Unionsbürger anzugleichen. (z.B. Richtlinie 2003/109/EG)
Allerdings sind europäische Regelungen zur Vereinheitlichung des Staatsbürgerschaftsrechts ein extremer Eingriff in die nationalstaatliche Souveränität. Bisher haben sich die europäischen Mitgliedsstaaten, insbesondere diejenigen mit sehr restriktiven Auflagen zur Einbürgerung (ius sanguinis Prinzipien, die bis zur Einwanderungsrechtsreform der Regierungskoalition von SPD und Grünen im Jahr 2000 auch in Deutschland galten), gegen gemeinschaftliche Regelungen durch ein Veto im Rat zur Wehr gesetzt. Deswegen konnten die bisherigen Vorschläge der Kommission für eine einheitliche Wartezeitbegrenzung für langfristig aufenthaltsberechtigte Immigranten auch noch nicht beschlossen werden.
Trotzdem gibt es in den Mitgliedsstaaten eine spürbare Tendenz zur Vereinheitlichung von Asyl-, Integrations- und Staatsbürgerschaftspolitik. Die EU konnte also zu vermehrter Kooperation unter den europäischen Mitgliedsstaaten beitragen. Auf dem Ratstreffen von Tampere 1999 haben die Staats- und Regierungschef gemeinsame Leitlinien zum Umgang mit Migration in die EU festgelegt und sich auch zur engeren Zusammenarbeit und Erarbeitung gemeinsamer Regeln verpflichtet (siehe http://ec.europa.eu/justice_home/fsj/immigration/fsj_immigration_intro_de.htm ). 2005 legte die Kommission eine Gemeinsame Integrationsagenda vor.
Insgesamt bleibt abzuwarten, ob die Kommission weitere legislative Initiativen in diesem Bereich einbringen wird. Seit dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon ist das Europäische Parlament gleichberechtigter Gesetzgeber zusammen mit dem Rat in der europäischen Migration- und Asylpolitik. Die sozialdemokratischen Europa-Abgeordneten befürworten eine gemeinschaftliche Integrations- und Migrationspolitik und werden sich bei der legislativen Ausgestaltung aktiv für eine gerechte und europäische Einwanderungspolitik einsetzen.
Ich hoffe, dass ich Ihre sehr interessante Frage damit beantworten konnte. Auf der Internetseite des Bereichs Justiz und Inneres der Kommission (Link siehe oben) finden Sie aktuelle Informationen zum Sachstand der Debatte.
Für weitere Fragen stehe ich Ihnen natürlich gerne zur Verfügung und verbleibe
Mit freundlichen Grüßen,
Matthias Groote