Frage an Matthias Dietrich von Stephan R. bezüglich Bildung und Erziehung
Sehr geehrter Herr Dietrich,
seit mehreren Jahren wird der deutschen Referenzorthographie (oder zumindest dem, was davon noch übrig ist...) und damit der Sprache insgesamt durch die sog. "Rechtschreibreform" schwerer Schaden zugefügt.
Zum einen wurde ein wissenschaftlich mehr als umstrittenes, unausgegorenes und handwerklich mangelhaftes Konzept gewählt, zum anderen wurde über die Köpfe der Bevölkerung hinweg (wozu schon das Volk befragen...?) von den beteiligten Politikern und "Fachministern" entschieden.
Neben dem Umstand, daß wir hier vor dem größten kultus- und kulturpolitischen Fehler der Nachkriegsgeschichte stehen, der teilweise einer Kulturzerstörung gleichkommt, geht es hier an die Festen unseres demokratischen Verständnisses:
Gegen den erklärten Willen der Mehrheit der Bundesbürger (auch durch noch so tendenziöse Fragestellung hat es kaum eine Umfrage geschafft, diese eindeutige Tendenz zu widerlegen!) wurde hier Kulturgut leichtfertig aufs Spiel gesetzt; ein Volksentscheid g e g e n die "Rechtschreibreform" wurden vielleicht zwar nicht dem Buchstaben, sicher aber dem Geiste nach verfassungwidrig vom Parlament gekippt (s. Schleswig-Holstein).
Bildung ist Ländersache, Sprache ist Volkes Sache:
Wie wollen Sie auf das wachsende Chaos in der Rechtschreibung, das sich vor allem an unseren Schulen verheerend auswirkt, reagieren?
Wie viele Reformen und Änderungen der "Reform" müssen wir und besonders unsere Kinder noch über sich ergehen lassen? Wie wollen sich sich einbringen, um den längst überfälligen Schritt der Rückkehr zur bewährten traditionellen Rechtschreibung auch in den Schulen und Behörden anzugehen?
Vielen Dank schon im voraus für Ihre Antwort.
Mit freundlichen Grüßen
Stephan Rupp
Sehr geehrter Herr Rupp!
Recht gebe ich Ihnen insofern, als die Rechtschreibreform tatsächlich über die Köpfe der Bürger hinweg durchgezogen wurde. Die Enstehung der "Idee" einer Rechtschreibreform habe auch ich damals nicht wirklich mitbekommen. Das Volk hätte von Anfang an besser informiert werden müssen; auch wäre eine stärkere Aufnahme von Kritikpunkten im Detail angebracht gewesen. Eine Beschränkung auf eindeutig mehrheitsfähige Verbesserungen wäre angebracht gewesen und das Volk hätte nach sachlicher Abwägung von pro und contra zustimmen müssen. Trotz dieser teilweise gravierenden Fehler sollte aber nun nicht die ganze Reform in Frage gestellt werden. Ich teile Ihre grundsätzlich ablehnende Haltung gegenüber der Reform nicht. Auch aus der praktischen Arbeit mit den Kindern und Jugendlichen weiß ich, dass von diesen die Reform keineswegs so negativ gesehen wurde wie von manchen Erwachsenen. Zudem hat sich das Schreiben nach der neuen Rechtschreibung als durchaus praktikabel erwiesen - von einigen Details mal abgesehen. Bei aller notwendigen Kritik wurde viel zerredet. Das Chaos ist aber weniger durch die Rechtschreibreform an sich als durch die wenig volksnahe, unkoordinierte, im Zank erfolgte und ständig -- teils destruktiv - von Gegnern untergrabene Durchführung bewirkt worden. Hätte man sich von Anfang an auf durchsetzungsfähige Teile beschränkt, hätte man sicherlich Zank vermieden und die Zustimmung weiter Teile der Bevölkerung gehabt. Einen Volksentscheid über die Reform halte ich nun für nicht mehr angebracht, zumal es ja nun zu einem Kompromiss gekommen ist. Die Umfang der Reform wird zudem häufig überschätzt und bei vielen Texten lässt sich nicht auf Anhieb erkennen, ob sie nach der alten oder neuen Rechtschreibung geschrieben worden sind. Fazit: Angesichts der gegenwärtigen Sachlage würde ich mich nicht für eine Rücknahme der Reform einsetzen.
Mit freundlichem Gruß
Matthias Dietrich