Frage an Matthi Bolte von Antonio S. bezüglich Finanzen
Sehr geehrter Herr Bolte,
der Tagespresse habe ich entnommen, dass die Grünen-Fraktion im Landtag NRW gemeinsam mit SPD & CDU sich für eine Erhöhung der Abgeordnetendiäten, m.W. derzeit monatlich 10.226 € brutto, von ca 500 € monatl einsetzt. Dazu folgende Fragen:
1. Aus welchen Gründen wll die Grünen-Fraktion zum gegenwärtigen Zeitpunkt überhaupt eine Diätenerhöhung? Welche persönliche Meinung haben Sie als mein von mir mit meiner Zweitstimme gewählter Landtagsabgeordneter?
2. Wie hoch sind die Kosten dieser Erhöhung insgesamt für den Landeshaushalt NRW im laufenden Jahr sowie in den Folgejahren der mittelfristigen Finanzplanung und wie entwickelt sich im laufenden und in den Folgejahren der Schuldenstand des Landes NRW?
3. Ist der Grünen-Fraktion und ggf. auch Ihnen persönlich bewusst, dass die beabsichtigte Diätenerhöhung die Schulden des Landes NRW weiter erhöhen wird bzw. verhindert, die Schuldentilgung zu verringern?
4. Inwiefern können Abgeordnete Ihrer Einschätzung nach noch Vorbild für allseits geforderte/durchgeführte Einsparungen sein und selbst nicht mit gutem Beispiel vorangehen und bei ihren Bezügen zumindest Erhöhungen vermeiden?
5. Welche Nebeneinkünfte bezieht ein Abgeordneter durchschnittlich? Wie sieht das bei Ihnen persönlich aus? Inwiefern sind Sie der Meinung, dass Ihre Diät (mit oder ohne Nebeneinkünfte) für einen angemessenen Lebensunterhalt nicht ausreichen?
6. M.W. soll die Diätenerhöhung der Alterssicherung dienen. Wie ist die Altersversorgung der NRW-Abgeordenten geregelt, d.h. wie lange ist wieviel mindestens einzuzahlen und was kommt nach welcher Mindesteinzahlungzeit dabei heraus? Inwiefern sind Sie der Auffassung, dass mit der als NRW-Abgeordneter erzielbaren Mindestrente ein angemesssener Lebensunterhalt nicht möglich ist?
Vielen Dank für Ihre Antworten, sie werden mein Wahlverhalten bei der nächsten Landtagswahl (vllt schon in 2012?) maßgeblich beeinflussen.
Mit freundlichen Grüßen
Antonio Schreiber
Sehr geehrter Herr Schreiber,
vielen Dank für Ihren umfangreichen Fragenkatalog. Ihre Fragen beantworte ich gerne, allerdings in einer etwas anderen Reihenfolge:
Zu Frage 6.: M.W. soll die Diätenerhöhung der Alterssicherung dienen. Wie ist die Altersversorgung der NRW-Abgeordenten geregelt, d.h. wie lange ist wieviel mindestens einzuzahlen und was kommt nach welcher Mindesteinzahlungzeit dabei heraus? Inwiefern sind Sie der Auffassung, dass mit der als NRW-Abgeordneter erzielbaren Mindestrente ein angemesssener Lebensunterhalt nicht möglich ist?
Die Altersbezüge der Abgeordneten (wie alle anderen Angelegenheiten der Abgeordneten auch) regelt das Abgeordnetengesetz NRW, das Sie unter https://recht.nrw.de/lmi/owa/br_bes_text?anw_nr=2&gld_nr=1&ugl_nr=1101&bes_id=7204&aufgehoben=N&menu=1&sg=0#NORM abrufen können. Das gesamte System der Abgeordnetenbezüge wurde im Jahr 2005 umfassend neugefasst. Das neue Abgeordnetenrecht ist mit Abstand das transparenteste in Deutschland, weil in keinem anderen Parlament direkt aus dem Abgeordnetengesetz ersichtlich ist, wie hoch die Kosten für eine Abgeordnete oder einen Abgeordneten im Monat sind. Der Landtag hat damals insbesondere die früheren (steuerfreien) Aufwands- und Entfernungspauschalen abgeschafft. Stattdessen müssen heute die Gesamtbezüge versteuert werden, was für die meisten Abgeordneten unterm Strich geringere Bezüge als in der Vergangenheit ergibt. Im Übrigen wurde das Pensionseintrittsalter auf 65 Jahre angehoben (ab der 16. Wahlperiode, also ab Mai 2012, auf 67).
Solange man Abgeordnete oder Abgeordneter ist, zahlt man einen Pflichtbeitrag in ein Versorgungswerk ein. Dieses Versorgungswerk wurde im Jahr 2005 als berufsständisches Versorgungswerk der Landtagsabgeordneten gegründet. Aufgrund der relativ kleinen Zahl von potenziellen BeitragszahlerInnen (die gesetzliche Mindestmitgliederzahl des Landtags beträgt 181) gibt es eine enge Zusammenarbeit mit dem Ärzteversorgungswerk Westfalen- Lippe, wodurch sich zum einen eine gewisse Absicherung und zum anderen eine positive Wirkung auf die Anlagekonditionen ergibt.
Der Pflichtbeitrag beträgt derzeit (d.h. nach der Anhebung der Pflichtbeiträge durch Änderung des Abgeordnetengesetzes) ca. 2100 Euro monatlich. Dieser Betrag wird direkt beim Landtag von den Abgeordnetenbezügen abgezogen und an das Versorgungswerk abgeführt. Versteuert werden allerdings die Gesamtbezüge, d.h. etwa 10700 Euro monatlich. Diese Konstruktion führt dazu, dass die Bezüge durch die Anhebung der Pflichtbeiträge netto gesunken sind, und zwar je nach Steuerklasse um bis zu 200 Euro (das lässt sich allerdings erst nach der Steuererklärung für 2012 genau sagen).
Ihre Frage nach der konkreten Höhe der Versorgungsansprüche lässt sich nicht so einfach beantworten. Beim Versorgungswerk wird für den einzelnen Abgeordneten ein individuelles Konto angelegt, auf dem die Pflichtbeiträge eingezahlt und dann bis zum Pensionseintritt mit 65 Jahren angelegt werden. Der dann angesparte Betrag wird versicherungsmathematisch auf die Lebenserwartung umgerechnet, woraus sich eine monatliche Leibrente ergibt. Die Bezüge sind also individuell verschieden. Um Leistungen aus dem Versorgungswerk zu erhalten, muss man mindestens 30 Monate eingezahlt haben.
Die Frage des angemessen Versorgungsniveaus im Alter ist sicherlich komplex. Ein durchschnittlicher Abgeordneter (d.h. mit 49 Jahren in den Landtag gewählt und 10 Jahre dessen Mitglied) baut in der Zeit des Mandats Ansprüche auf, die nach Auskunft des Versorgungswerks etwa im Bereich dessen liegen, was man in der gleichen Zeit in der Besoldungsgruppe A13 aufbaut. In dieser Gruppe befinden sich u.a. Studienräte oder die LeiterInnen kleiner Grundschulen. Ich halte dieses Versorgungsniveau für Menschen, die aus ihrem normalen Beruf und ihrer normalen Karriereplanung aussteigen, um einige Jahre in einem Land mit 18 Mio. Menschen Verantwortung zu übernehmen, für angemessen. Hinzu kommt, dass wir in NRW eine im Vergleich der Flächenländer deutlich niedrigere Altersentschädigung haben - was ich richtig finde, denn die Ansprüche nach altem Abgeordnetenrecht waren fast doppelt so hoch, zumal man schon mit 60 in Rente gehen konnte.
Zu Ihrer Frage 5: Welche Nebeneinkünfte bezieht ein Abgeordneter durchschnittlich? Wie sieht das bei Ihnen persönlich aus? Inwiefern sind Sie der Meinung, dass Ihre Diät (mit oder ohne Nebeneinkünfte) für einen angemessenen Lebensunterhalt nicht ausreichen?
Ich beziehe keine Nebeneinkünfte. Welche Kolleginnen des Landtags Nebeneinkünfte haben, können Sie auf der Website des Landtags einsehen (unter den Angaben gemäß der Verhaltensregeln, zu finden bei den Abgeordnetenportraits). Wir haben uns als GRÜNE übrigens immer für eine differenziertere und transparentere Darstellung der Nebeneinkünfte eingesetzt.
Ich finde, dass die Abgeordnetenbezüge gut ausreichend sind, um den Lebensunterhalt damit zu bestreiten. In meinem Fall bleiben nach Abzug von Steuern, den Pflichtbeiträgen zum Versorgungswerk und aller mandatsbedingten Kosten für Wahlkreisbüro, Bürobedarf, Reisekosten etc. ca. 3000 Euro im Monat. Für jemanden mit meiner Biographie ist das zweifelsfrei sehr viel Geld. Ich finde es auch wichtig, dass junge Menschen wie ich im Parlament vorkommen, aber ich will nicht der Musterfall eines Landtagsabgeordneten sein. Der Musterfall sollte weiterhin sein: Aus dem normalen Beruf für einige Jahre raus, im Land Verantwortung übernehmen und zurück in den Beruf.
Um das zu gewährleisten, müssen die Abgeordnetenbezüge eine gewisse Höhe haben. Hierdurch soll einerseits die Attraktivität des Mandats für alle Berufsgruppen gewährleistet werden, zum anderen - und das ist wichtiger - ist in der Demokratie die Unabhängigkeit des Mandats von zentraler Bedeutung. Diese Unabhängigkeit umfasst auch eine vernünftige Absicherung im Alter, sodass im Idealfall jede und jeder Abgeordnete dann aussteigen kann, wenn sie oder er nicht mehr will oder kann und nicht aus Gründen der sozialen Absicherung weitermachen muss.
Wie bereits ausgeführt, ging es bei der Änderung des Abgeordnetengesetzes auch nicht um eine Anhebung des Betrags, den die Abgeordneten zur Sicherung ihres Lebensunterhalts haben, sondern allein um die abgeführten Beiträge zum Versorgungswerk. Wegen der o.g. Effekte sinkt das Nettoeinkommen während des Mandats durch diese Änderungen.
Zu Ihrer Frage 2.: Wie hoch sind die Kosten dieser Erhöhung insgesamt für den Landeshaushalt NRW im laufenden Jahr sowie in den Folgejahren der mittelfristigen Finanzplanung und wie entwickelt sich im laufenden und in den Folgejahren der Schuldenstand des Landes NRW? Und zu Ihrer Frage 3: Ist der Grünen-Fraktion und ggf. auch Ihnen persönlich bewusst, dass die beabsichtigte Diätenerhöhung die Schulden des Landes NRW weiter erhöhen wird bzw. verhindert, die Schuldentilgung zu verringern?
Die Kosten der Anhebung der Pflichtbeiträge zum Versorgungswerk liegen jährlich bei 1,1 Mio. Euro. Dieser Betrag wird vollständig im Haushaltsplan des Landtags (Einzelplan 01) erwirtschaftet.
Wie bereits ausgeführt, ist der innovative Ansatz am Abgeordnetenrecht in Nordrhein- Westfalen, dass durch die Lösung mit dem Versorgungswerk keine Kosten für Angelegenheiten der Abgeordneten mehr auf die Zukunft verschoben werden. Es werden nur noch Altersbezüge aus dem Versorgungswerk gezahlt, aus dem laufenden Haushalt bekommen nur noch diejenigen Abgeordneten eine Altersentschädigung, die diese nach altem Recht erhalten, also vor 2005 in den Landtag gewählt wurden. Insofern ist das Abgeordnetengesetz NRW - zumindest mit Blick auf die Abgeordneten, die ab 2005 in den Landtag gewählt wurden - nachhaltig, weil Kosten für Abgeordnete einmal anfallen, solange man im Mandat ist, und danach nie wieder.
Daher müssen in die Mittelfristplanung auch keine zusätzlichen Mittel eingestellt werden.
Zu Ihrer Frage 4. Inwiefern können Abgeordnete Ihrer Einschätzung nach noch Vorbild für allseits geforderte/durchgeführte Einsparungen sein und selbst nicht mit gutem Beispiel vorangehen und bei ihren Bezügen zumindest Erhöhungen vermeiden?
Erhöhungen der Abgeordnetenbezüge sind wohl immer in der gesellschaftlichen Debatte umstritten, jedenfalls habe ich in den Jahren, in denen ich die politische Debatte verfolge, noch nie erlebt, dass in der öffentlichen Diskussion eine Diätenerhöhung - ganz gleich, ob sie sich auf den Betrag bezog, der den Abgeordneten tatsächlich zur Verfügung steht oder auf ihre Alterssicherung - mit einem Übermaß an positiven Kommentaren versehen worden wäre. Andererseits bin ich wie ausgeführt der festen Überzeugung, dass Abgeordnetenbezüge so bemessen sein müssen, dass sie die Unabhängigkeit des oder der einzelnen Abgeordneten sichern und der Verantwortung des Amtes gerecht werden.
Es ist gut und richtig, dass es immer wieder die Diskussion darüber gibt, was eine Demokratie sich die Unabhängigkeit ihrer Parlamentarierinnen und Parlamentarier kosten lassen will. Deshalb halte ich es auch für richtig und notwendig, dass die Abgeordnetenbezüge heute nicht mehr an die Entwicklung in bestimmten Besoldungsgruppen des Öffentlichen Dienstes geknüpft sind, sondern dass sich die Abgeordneten für die konkrete Höhe ihrer Bezüge im demokratischen Verfahren zu rechtfertigen haben. In diesem Zusammenhang geht auch der immer wieder geäußerte Vorwurf der "Selbstbedienung" am Kern der demokratischen Sache vorbei, denn das Bundesverfassungsgericht hat bereits im Jahr 1975 entschieden, dass die Abgeordneten die Pflicht haben, über ihre Bezüge selbst zu entscheiden und diese Entscheidung im demokratischen Verfahren zu vertreten.
Dabei geht es aus meiner Sicht um größtmögliche Transparenz. § 15 Abgeordnetengesetz NRW sieht deshalb vor, dass die Erhöhung von Abgeordnetenbezüge nach einem statistischen Schlüssel zu erfolgen hat, bei dem u.a. die jährliche Einkommensentwicklung im öffentlichen Dienst in Nordrhein-Westfalen, die Veränderungsrate der Renten, des Arbeitslosengeldes II und der Sozialhilfe sowie des Verbraucherpreisindexes die Grundlage bilden.
Zu Ihrer Frage 1. Aus welchen Gründen will die Grünen-Fraktion zum gegenwärtigen Zeitpunkt überhaupt eine Diätenerhöhung? Welche persönliche Meinung haben Sie als mein von mir mit meiner Zweitstimme gewählter Landtagsabgeordneter?
Ich hoffe, dass ich Ihnen bereits in den Antworten auf Ihre Fragen einige Hinweise darauf geben konnte, warum sich die GRÜNE Fraktion dazu entschieden hat, die Änderung des Abgeordnetengesetzes mitzutragen. Die Sicherung der Unabhängigkeit der Abgeordneten ist ein unabdingbarer Bestandteil des demokratischen Systems. Dass die Abgeordneten in Nordrhein- Westfalen sich im Jahr 2005 entschieden haben, sowohl ihre Nettobezüge als auch ihre Altersversorgung abzusenken, halte ich für die richtige Entscheidung, so wie ich es für die richtige Entscheidung halte, die Bezüge auf diesem niedrigen Niveau zu stabilisieren - denn darum und nicht um eine reale Erhöhung ging es bei der Änderung des Abgeordnetengesetzes im Februar.
Sehr geehrter Herr Schreiber,
ich war in der vergangenen Wahlperiode gerne Abgeordneter und ich möchte auch gerne in der nächsten Wahlperiode wieder Abgeordneter sein. Allerdings - und ich schließe darin alle Kolleginnen und Kollegen des letzten Landtags, und zwar aus allen Fraktionen, ein - war ich nicht im Landtag, weil ich damit Geld verdienen konnte und auch Ansprüche für eine Versorgung im Alter aufgebaut habe. Politik braucht Unabhängigkeit, sie macht aber auch Freude, weil man Dinge bewegen und verändern kann. Ich bin mir sicher, dass wir zwischen 2010 und 2012 Vieles verändert haben, und das Nordrhein- Westfalen gerechter, ökologischer, solidarischer und demokratischer geworden ist. Daran habe ich gerne mitgewirkt, und ich habe es genossen, spannende Erfahrungen zu machen und gute Gespräche zu führen.
Ich hoffe, dass ich mit meinen Antworten zu Ihrer Meinungsbildung beitragen konnte. Weitere Fragen beantworte ich gerne.
Mit besten Grüßen
Matthi Bolte