Frage an Matern von Marschall von Sabine P. bezüglich Gesundheit
Sehr geehrter Herr von Marschall,
die letzten Mittwoch im Bundestag beschlossene Gesetzesnovelle zur Änderung des Infektionsschutzgesetzes nennt explizit die Inzidenzzahl von 100 als Maßstab für die Gültigkeit der "Notbremse".
Da diese nicht ins Verhältnis gesetzt wird zur Anzahl der Tests ist sie wenig aussagekräftig. Würde gar nicht getestet läge sie bei 0, je mehr Tests durchgeführt werden, desto höher wird sie steigen. Auf dieser Zahl baut jedoch die gesamte Strategie bzgl. Schließungen und Öffnungsschritten der Regierung auf.
Nun meine Frage:
Was hat Sie persönlich dazu bewogen, dem Gesetz zuzustimmen, das ausschließlich diesen Wert als Entscheidungsgrundlage nimmt?
Sehr geehrte Frau P.,
haben Sie vielen Dank für Ihre Zuschrift, die mich über die Plattform „abgeordnetenwatch.de“ erreichte.
Derzeit wird bundesweit eine Sieben-Tage-Inzidenz von 153 registriert. Erfahrungsgemäß kommen diese höheren Zahlen binnen zwei Wochen auf den Intensivstationen an. Das heißt: Deutschland befindet sich mitten in der dritten Welle.
Die mittlerweile in Deutschland dominante Virusvariante B.1.1.7 ist nach bisherigen Erkenntnissen deutlich infektiöser und verursacht offenbar schwerwiegendere Krankheitsverläufe. Täglich werden mehr Covid-19-Patienten auf den Intensivstationen eingeliefert, darunter auch immer mehr jüngere. Noch immer sterben jeden Tag viele Menschen an der Infektion. Auch die Fälle derer, die unter Langzeitfolgen – genannt: „Long Covid“ – leiden, häufen sich.
Die Impfkampagne kann indes nur zum Erfolg führen, wenn das Infektionsgeschehen gleichzeitig reduziert wird. Denn damit sinkt die Wahrscheinlichkeit, dass das Virus sogenannte Escape-Varianten bildet. Gegen solche Varianten könnten die vorhandenen Impfstoffe weniger wirksam sein, und die Impfkampagne würde in ihrer Wirksamkeit insgesamt gefährdet.
Die jetzt bundesgesetzlich geregelten Maßnahmen waren im Wesentlichen schon Inhalt der Beschlüsse der letzten Ministerpräsidentenkonferenz. Da diese aber von den Ländern nicht einheitlich und damit in der Summe auch nicht wirksam umgesetzt wurden und zudem die rechtliche Konstruktion des Gremiums schwach war, schien eine bundeseinheitliche Regelung zwingend; sie entspricht auch den Vorstellungen weiter Teile unsrer Bevölkerung.
Ziel der Maßnahmen ist es, die Verbreitung des Virus so weit einzuschränken, dass einer Überlastung unseres Gesundheitssystems vorgebeugt wird. Wir brauchen also einen Indikator, der es ermöglich, vorherzusagen, wie viele Corona-Patienten in den nächsten Wochen medizinische Hilfe benötigen werden. Von besonderer Bedeutung ist der Wert von 100 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner. Dieser Wert markiert die Grenze, ab der es den Gesundheitsämtern nicht mehr möglich ist, die Infektionsketten nachzuvollziehen und zu durchbrechen. Deshalb wird bei Inzidenzen über 100 die Eindämmung der Pandemie wesentlich erschwert. Es droht eine exponentielle Verbreitung des Virus.
Ein Schlüsselproblem bei der Konzeption der Notbremse war für mich die Abhängigkeit der Maßnahmen von bestimmten Inzidenzwerten. Der Inzidenzwert hat bisher eine recht verlässliche Prognose über die Pandemieentwicklung erlaubt. Er hängt aber stark von der Anzahl der durchgeführten Tests ab. Seine Bewertung ändert sich außerdem mit der steigenden Impfquote und der Verbreitung von Virus-Varianten. Die festgelegten Schwellenwerte sind deshalb eine Momentaufnahme für die Gefährlichkeit des Virus. Sie eignen sich bei der heute gegebenen Test- und Impfquote, um vorauszusagen, wann eine Überlastung unseres Gesundheitssystems droht und mit welchen Maßnahmen dieser Überlastung vorgebeugt werden soll. Diese Bewertung kann sich ändern. Deshalb muss auch das Gesetz angepasst werden, sobald sich aus der Gesamtschau der Einflussfaktoren eine andere Bewertung ergibt. Diesem Umstand tragen wir Rechnung, indem wir die Geltung des Gesetzes bis zum 30. Juni befristen. Auch vor diesem Stichtag beobachten wir die Veränderungen des Infektionsgeschehens genau.
Sehr geehrte Frau Parodi, die Bekämpfung der Corona-Pandemie dauert länger an als wir alle es uns wünschen können. Ich bin mir der Tragweite der Maßnahmen bewusst und halte auch deshalb die Befristung der Maßnahmen zum 30. Juni 2021 für dringend geboten. Bis dahin müssen wir in der Impfkampagne weitere Fortschritte erzielen. Mittlerweile hat mehr als ein Viertel der Deutschen eine Corona-Impfung erhalten. Diesen Weg müssen wir weiter beschreiten.
Mit freundlichen Grüßen
Matern von Marschall