Frage an Martina Zander-Rade von Hans Q. bezüglich Wissenschaft, Forschung und Technologie
Sehr geehrte Frau Zander- Rade,
in der Schulpolitik wird die sogenannte Inklusion flächendeckend eingeführt.
Über das Für ist viel geschrieben und gestritten worden. Grundsätzlich befürworte ich sie auch, aber die Umsetzung in unseren Schulen ist katastrophal, Förderschüler müssen z.B. nun mit einer bis zu drei mal größeren Lerngruppe zurecht kommen. Die Lehrer sind weitgehend allein gelassen bei der Bewältigung ihrer neuen Aufgabe, zusätzliche Stunden für schwächere Schüler werden nur in einer lachhaften Anzahl von einigen Stunden wöchentlich genehmigt. Verhaltensgestörte Schüler belasten das Lernklima der Klassen zusätzlich etc.
Wie sehen Sie diese Probleme und wie wollen die Grünen mit einer leeren Stadtkasse dies angehen?
Mit freundlichen Grüßen
Hans Queisser
Sehr geehrter Herr Queisser,
seit 2007 ist die UN-Konvention für die Rechte von behinderten Menschen von der Bundesrepublik Deutschland anerkannt und im Dezember 2008 vom Bundestag ratifiziert. Das Übereinkommen verbietet die Diskriminierung von Menschen mit Behinderungen in allen Lebensbereichen und garantiert ihnen die bürgerlichen, politischen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechte. Seit dem 26. März 2009 ist die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen in Berlin verbindlich. Die UN-Konvention verpflichtet die staatlichen Organe gemäß Artikel 4 dazu, die „volle Verwirklichung aller Menschenrechte und Grundfreiheiten für alle Menschen mit Behinderungen ohne jede Diskriminierung aufgrund von Behinderung zu gewährleisten und zu fördern.“ Damit stehen die staatlichen und gesellschaftlichen Institutionen in der Pflicht, den Gestaltungs- und Handlungsraum von Menschen mit Behinderungen zu garantieren und durch aktives Handeln möglich zu machen.
Somit haben selbstverständlich auch alle Kinder mit Behinderungen einen Rechtsanspruch, gemeinsam mit gesunden Kindern zur Schule zu gehen. Die Schule der Zukunft ist die inklusive Schule - eine Schule für alle, in der jedes Kind die Förderung bekommt, die es braucht.
Die Realität sieht in Berlin anders aus: Die Zahl der bewilligten Schulhelferstunden geht immer mehr zurück und steht jedes Jahr erneut in der Diskussion. Im Schuljahr 2009/2010 wurden von 17.000 beantragten Schulhelferstunden nur 8.200 bewilligt - weniger als die Hälfte. Ein Jahr zuvor waren es noch knapp 10.000 von 15.000 beantragten Stunden. Das Budget, das der Senat zur Verfügung stellt, darf nicht mehr überschritten werden. Zuvor gab es noch eine Art Dispositions-Fonds, falls doch noch mehr Fälle auftraten. Dieser wurde jedes Jahr in Anspruch genommen. Im Schuljahr 2009/2010 fehlten rund 1,5 Millionen Euro für die Finanzierung. Für 2011 ist absehbar, dass die im Haushalt veranschlagten 8,7 Millionen wieder nicht ausreichen.
Das Konzept des rot-roten Senats sieht also vor, Inklusion „kostenneutral“ zu verwirklichen, indem die Förderzentren aufgelöst und die Sonderpädagogen an Regelschulen verlagert werden sollen. Das wird mit uns nicht machbar sein.
Wir wollen eine bedarfsgerechte Finanzierung und ein verändertes Bewilligungsverfahren. Bislang müssen die Stunden - auch für schwerstbehinderte Kinder - jedes Jahr neu beantragt werden.
Beim Umbau zur inklusiven Schule muss jederzeit eine adäquate personelle und sächliche Ausstattung gewährleistet sein. Kinder und Jugendliche mit Behinderungen, deren Eltern und die Schulen müssen sich in Zukunft auf ausreichende Unterstützung verlassen können. Weiterhin wollen wir Kompetenzzentren und Anlaufstellen für Eltern und Kinder mit Behinderungen aufbauen. Es braucht Beratungsstellen, an die sich Eltern mit ihren Sorgen wenden können, um Informationen sowie kompetente fachliche Unterstützung und individuelle Förderung für ihr behindertes Kind erhalten zu können.
Wir werden die inklusive Schule schrittweise und gemeinsam mit den Beteiligten umsetzen - ohne rot-rote Rechentricks, die de facto die Förderstunden herunterschrauben.
Klar ist, dass Berlin in einer schwierigen finanziellen Lage ist und deshalb zusätzliche Mittel, egal für welchen Bereich, kaum möglich sind. Wichtig ist deshalb zuallererst, dass Entlastungen, die durch sinkende Schülerzahlen entstehen, weiterhin dem Bildungsbereich zugutekommen. Außerdem muss die Effizienz von Mitteln geprüft und brachliegende Ressourcen genutzt werden. Klar ist aber auch, dass bei Bildung als Zukunftsaufgabe nicht gespart werden darf und für unsere Prioritäten - Inklusion, Verbesserung der Ganztagsbetreuung, Sanierung von Schulen, um nur einige Beispiele zu nennen, zusätzliche finanzielle Mittel erforderlich sind.
Mit freundlichen Grüßen
Martina Zander-Rade