Frage an Martina Koeppen von Roland W. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrte Frau Köppen,
als die Hamburger Krankenhäuser von der damaligen Hamburger Regierung verkauft werden sollten, gab es ein Volksbegehren, welches sich 2004 mit einer 3/4tel-Mehrheit gegen den Verkauf aussprach. Die Hamburger Regierung hat die Krankenhäuser trotzdem verkauft.
Über 30.000 Menschen beteiligten sich gerade an dem Bürgerentscheid zum Bebauungsplan Langenhorn 73. Am 1. März evozierte die Senatskommission für Wohnungsbau den Bürgerentscheid.
Im Juni 2011 wurden mit rund 116.000 Stück mehr als das Doppelte der notwendigen Unterschriften gesammelt. Mit dieser beeindruckenden Beteiligung ist das Volksbegehren für einen 100%igen Rückkauf der Energienetze zustande gekommen.
Ihr SPD-Bürgermeister Scholz führte Geheimverhandlungen, läßt die Öffentlichkeit nicht die Vertragsbedingungen erfahren und will - gegen fachkundigen Rat - maximal 25,1% erwerben aber im wesentlichen alles beim Alten, sprich: beim Energiekonzern belassen.
Ich glaube, gerade diese Verhaltensweisen der Regierenden bewirken die exponentiell steigende Politikverdrossenheit und befürchte durch diese selbstherrliche und undemokratische Praxis eine ernsthafte Gefährdung unserer Demokratie.
1) Welche Konsequenzen aus diesem Verhalten Ihres Ersten Bürgermeisters in Bezug auf unsere Identifikation mit dieser parlamentarischen Demokratie erwarten Sie als SPD-Abgeordnete?
2) Demnächst stimmen Sie mit ab über die Beteiligung an der Rekommunalisierung der Hamburger Stromnetze. Viele Experten - Verbraucherzentrale, Bund der Steuerzahler, beauftragte Gutachter - haben sich für die 100%ige Rekommunalisierung eingesetzt und in der Anhörung vor einer städtischen Minderheitsbeteiligung von nur 25% gewarnt. Sie übernehme lediglich Kosten und Risiko aber keine Mitbestimmungsrechte. Und wie wir Hamburger ja aus Erfahrung mit Atomstromkonzernen wissen, hat die Stadt Hamburg auch mit wesentlich mehr Anteilen nichts zu sagen. Halten Sie 25% für ausreichend - und wenn ja, warum?
Sehr geehrter Herr Wiegmann,
vielen Dank für Ihre Fragen. Ich freue mich, dass Sie so engagiert für politische Inhalte streiten und dass Sie mir Gelegenheit geben, meine Sicht der Dinge darzulegen.
Zunächst möchte ich Sie gerne auf einige meiner vorigen Antworten zum gleichen Thema hinweisen, in denen ich Stellung zu meiner Haltung für den 25,1%tige Rückkauf beziehe. Dort dürfte auch Ihre Frage beantwortet werden, ob und warum ich das Mitspracherecht der Stadt für ausreichend halte (ja) und ob ein 100%tiger Rückkauf nicht besser wäre (nein).
Sie haben jedoch noch einige konkrete Fragen gestellt und Implikationen gemacht, auf die ich näher eingehen möchte.
Zunächst einmal gab es keine oft erwähnten „Geheimverhandlungen“ unseres Bürgermeistert. Er ist mit einem klaren Mandat der Bürgerschaft ausgestattet worden, ein entsprechendes Konzept zu erarbeiten, dass auf einem Beschluss der SPD-Fraktion aus dem Jahr 2010 basiert.
Das Ziel der SPD war es immer vor allem, die Energiewende zu ermöglichen und verbindliche Klimaziele zu fixieren. Dies ist mit der 25,1%tigen Beteiligung am ehesten zu gewährleisten. Ein vollständiger Rückkauf hätte juristische Auseinandersetzungen mit ungewissem Ausgang zur Folge und würde uns zudem noch keinen einzigen Schritt näher bringen, die Ziele zu erreichen. Politische Gestaltungsfähigkeit ist in meinen Augen wichtiger als der bloße Grad der Beteiligung.
Das Ergebnis der „Geheimverhandlungen“ von Olaf Scholz hat dieser öffentlich in einer Regierungserklärung vorgestellt (im November 2011). Einzelheiten zu den Verträgen wurden ebenfalls veröffentlicht (Drucksache 20/2494).
Dass einige Sachverständige der Entscheidung widersprechen mag daran liegen, dass sie eine andere Perspektive haben. Kaum eine politische Entscheidung ist je „perfekt“ und sicherlich hat die Stadt mehr Gestaltungsmöglichkeiten bei einem 100%tigen Rückkauf. Aber dies ist keine theoretische Diskussion, sondern sie findet in einem sehr realen Zusammenhang statt. Und der lässt uns begründet annehmen, dass ein vollständiger Rückkauf zur Hängepartie mit ungewissem Ausgang wird und uns für sich genommen kein Stück näher an die angestrebten Klimaziele bringt.
Ihre Bedenken zur Politikverdrossenheit in diesem Zusammenhang halte ich für unangebracht. Hier handelt es sich keineswegs um selbstherrliches, undemokratisches Verhalten, sondern um eine in der Demokratie sehr gewöhnliche politische Auseinandersetzung. Die Vorwürfe der Kritiker des Teilrückkaufs sollte man nicht mit den Empfindungen der Unentschlossenen oder Unbeteiligten verwechseln. Es ist völlig legitim und gut für unsere Gesellschaft, wenn es verschiedene Meinungen und Lösungsansätze zu politischen Fragen gibt. Dennoch sollte man sich fair behandeln und den demokratischen Entscheidungsprozess stattfinden lassen.
Die Einbeziehung von Mitteln der direkten Demokratie kann sehr sinnvoll sein, aber in unseren Grundzügen bleiben wir doch aus gutem Grund eine repräsentative Demokratie. Das ist keine Selbstherrlichkeit, sondern grunddemokratisch. Ich werde weiterhin dafür argumentieren, dass der Senat einen guten Weg für die Stadt und ihre Menschen gefunden hat. Die Gegenseite konnte mich nicht überzeugen
Ich hoffe, ich konnte Ihre Frage beantworten und wünsche Ihnen alles Gute.
Mit freundlichen Grüßen
Martina Koeppen