Frage an Martin Schmeding von Hans Werner D. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Geehrter Herr Schmeding,
ich will, dass es endlich auch auf Bundesebene ein Abstimmungsrecht gibt.
Es soll aus den Stufen Volksinitiative, Volksbegehren und Volksentscheid bestehen und fair geregelt sein.
Dies ist nicht nur die wirksamste Methode gegen Politikverdrossenheit, sondern auch eine Garantie dafür, dass sich Alle an der Lösung unserer immensen Problem beteiligen können.
Ich bitte Sie, das auch zu unterstützen.
Mit besten Grüßen,
Hans W. Steisslinger
Geschätzter Herr Steisslinger,
Sie schlagen in Ihrer Frage implizit das SCHWEIZER MODELL DER VOLKSABSTIMMUNGEN vor. Ich bin seit sieben Jahren GRENZGÄNGER und beobachte Diskussionen in verschiedenen Kantonen. Nicht immer ist die deutsche Öffentlichkeit sich auch wirklich über die Dimension des Themas im Sinne der Vor- und Nachteile bewusst.
Ich trete seit Jahren für eine stärkere BÜRGERBETEILIGUNG auf kommunaler Ebene ein. Insbesondere bei öffentlichen Bauprojekten von erheblicher finanzieller Tragweite halte ich einen Bürgerentscheid für dringend geboten. Die Grünen haben in der Ba-Wü Landesregierung mit der Absenkung des Quorums einen entscheidenen Schritt für mehr Bürgerbeteiligung mit initiiert und durchgesetzt. Bei Volksabstimmungen auf Landes- und Bundesebene bin ich ZURÜCKHALTENDER.
Das Schweizer Modell zeigt, dass es auch zu einer "Entscheidungs-Inflation" kommen kann. In der Schweiz wird das Stimmvolk vier Mal im Jahr zu Volksabstimmungen auf Bundesebene gebeten, in der Regel mindestens drei verschiedenen Themen. Gleichzeitig finden bei diesen Abstimmungsterminen Volksabstimmungen über kantonale oder gemeindliche Initiativen ab. Es ist inzwischen die Regel, dass das Stimmvolk zu MINDESTENS ZEHN VERSCHIEDENEN ENTSCHEIDUNGEN auf Bundes-, auf Kantons- und auf Gemeindeebene pro Abstimmungstermin gebeten wird. Dabei handelt es sich selten um "Ja-Nein-Fragen", sondern um Abstimmungen über komplexe Sachverhalte. Dies führte zu zwei zentralen Entwicklungen:
(1) NICHT-TEILNAHME BEI VOLKSABSTIMMUNGEN
Schweizer Abstimmungstermine haben selten Beteiligungen von mehr als 30%. Ohnehin ist es so, dass aufgrund der hohen Migrationsquote in der Schweiz ein nennenswerter Anteil der Wohnbevölkerung nicht stimmberechtigt ist. Bei inzwischen mehr als 8 Mio. Bevölkerung ist es inzwischen die Regel, dass die Wahlbeteiligungen bei nationalen Abstimmungen zwischen 1-2 Mio. liegen. Kommt es dann (wie bei der Abstimmung über die Masseneinwanderungsinitiative geschehen), zu einem extrem knappen Wahlausgang, bedeutet dies, dass quasi eine "kleine Minderheit" die Geschicke des Landes bestimmt. Schweizer Journalisten sprechen in Kommentaren häufiger von "DER DIKTATUR DER MINDERHEIT".
(2) PAROLEN "MEINER PARTEI" ENTSCHEIDEND
Weil die Menschen häufig gar nicht mehr in der Lage sind, die Fülle der Abstimmungsunterlagen und letztlich auch die Zahl der Abstimmungen zu bewältigen, fragen die meisten teilnehmenden Menschen letztlich danach, was "Ihre Partei" für eine ABSTIMMUNGSPAROLE zur Volksabstimmung getroffen hat. Zu einem Großteil spiegelt sich in Volksabstimmungen das Meinungsbild des Nationalrates und des Ständerates wieder.
Politische Entscheidungen sind selten auf einfache "Ja-Nein-Entscheidungen" zu reduzieren. Volksabstmmungen auf Landes- und Bundesebene sind für mich daher derzeit kein erstrebenswertes politisches Ziel. Unser System baut auf der politischen Mitsprache in Parteien. Alle 4-5 Jahren werde Parlamente und Regierungen neu gewählt, mit Beteiligungen, die zumindestens auf Landes- und Bundesebene i.d.R. deutlich über 50% liegen.
Ich bitte alle Bürger*innen, sich in die Parteien einzubringen, dort ihre Argumente vorzutragen, sich einzumischen und für Ihre Sachen zu streiten. Mit Blick auf unsere Erfahrungen in den vergangenen 100 Jahren halte ich diese Form der parlamentarischen Demokratie für den richtigen Weg. Wir werden mit Volksabstimmungen auf allen Ebene die POLITIKVERDROSSENHEIT nicht entscheidend begegnen können, sondern möglicherweise erreichen wir dadurch genau das Gegenteil.
Zukunft wird aus Mut gemacht. Haben wir Mut, unser Land zu verändern. Bitte unterstützen Sie die Grünen bei diesem Vorhaben.
Liebe Grüße
gez. Martin Schmeding