Frage an Martin Haller von Oliver L. bezüglich Arbeit und Beschäftigung
Sehr geehrter Herr Haller,
wie stehen Sie zu den besonderen Loyalitätspflichten von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in Einrichtungen in kirchlicher Trägerschaft, die weit über jene des Tendenzschutzes hinausgehen und das Privatleben der Menschen zum Gegenstand von Arbeitsverträgen machen? Stimmen Sie der Aussage zu, dass beispielsweise die Rechtmäßigkeit einer Kündigung aufgrund einer Scheidung oder anderer privater Lebensverhältnisse, zumal bei Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, deren Tätigkeit nicht im direkten Zusammenhang mit der Verkündigungsarbeit der betreffenden Kirche steht, mit den Grundwerten der Sozialdemokratie nicht in Einklang zu bringen ist?
Mit freundlichen Grüßen
Oliver Lösch
Sehr geehrter Herr Lösch, lieber Oliver
Die Rechte von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern zu schützen ist ein zentraler sozialdemokratischer Grundwert. Jede Person hat grundsätzlich das Recht auf Achtung seines Privat- und Familienlebens. Dies wird auch in Art. 8 der europäischen Menschenrechtskonvention garantiert. Andererseits haben die Religionsgemeinschaften, die unter dem Schutz der Religions- und Vereinsfreiheit (Art. 9 und 11 Grundgesetz) stehen, das Recht die notwendigen Maßnahmen zu treffen, um ihre Glaubwürdigkeit zu wahren. Dies halte ich ausdrücklich für notwendig - wobei auch Parteien und Gewerkschaften sich stellenweise hierauf berufen. Hieraus ergibt sich ein Spannungsverhältnis, dass in jedem Einzelfall bei Verstoß gegen vereinbarte Loyalitätspflichten einer tiefen und umfangreichen Abwägung der gegenläufigen Interessen bedarf, bei der auch die vom Beschäftigten ausgeübte Tätigkeit sowie die beruflichen Entwicklungschancen einbezogen werden müssen. Es ist daher zu begrüßen, dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte im September letzten Jahres wegweisend in diesem Sinne die Rechte von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in Kirchen gestärkt hat.