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Martin Hahn
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Frage von Annette S. •

Frage an Martin Hahn von Annette S. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Hallo Herr Hahn,

warum wurden wir Bürger nicht über die dramatischen Auswirkungen des Fiskalpaktes informiert und warum ist keine, wie im Grundgesetz dafür geforderte Volksabstimmung über ein so relevantes Thema erfolgt?

MFG Schuster

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Antwort von
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Sehr geehrte Frau Schuster,

vielen Dank für Ihre E-Mail und Ihr Interesse an unseren Positionen zum Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) und Fiskalpakt. Ich will Ihnen gerne erläutern, warum die Grüne Bundestagsfraktion in der Mehrheit für die beiden neuen Instrumente der Euro-Rettung gestimmt hat.
Der dauerhafte ESM soll Euro-Ländern im Krisenfall helfen um zu verhindern, dass die Notlage eines einzelnen Landes zu einer Notlage der gesamten Währungsunion wird. Im Gegensatz zu seinem Vorläufer, der Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität (EFSF), zahlen die Euro-Länder in den ESM tatsächlich Kapital ein und geben nicht nur Garantien aus. Das erhöht dessen Glaubwürdigkeit und soll ermöglichen, dass der ESM am Markt zu günstigen Konditionen Geld aufnehmen und den Zinsvorteil an die Länder in Not weiterreichen kann. Deutschlands Anteil am Eigenkapital des ESM beträgt 22 Milliarden Euro, dazu kommen Gewährleistungen in Höhe von 168 Milliarden Euro. Kredite werden vom ESM nur vergeben, wenn der Empfängerstaat Auflagen erfüllt und seine Schulden damit perspektivisch wieder tragen kann. Regelmäßig wird überprüft, ob sich das unterstützte Land an die vereinbarten Vorgaben hält, denn nur dann werden weitere Gelder gezahlt. Wir sind der Überzeugung, dass der ESM ein wichtiger Baustein ist, um die Eurozone langfristig zu stabilisieren: er schafft verbindliche Regeln, die chaotische Einzelrettungen zum Höchstpreis verhindern.
Mit dem Fiskalpakt einigten sich 25 der 27 EU-Staaten darauf, nationale Schuldenbremsen einzuführen. Wir haben vor der Abstimmung hart mit der Bundesregierung um eine Erweiterung des Fiskalpaktes um wachstumsfördernde Elemente gerungen. Denn so wichtig eine nachhaltige Haushaltskonsolidierung ist, die europäischen Länder brauchen auch Rahmenbedingungen, die es ihnen möglich machen, sich durch wachsende Einnahmen tatsächlich aus den Schulden zu befreien. Die einseitige Sparpolitik der letzten zwei Jahre hat es jedoch nicht geschafft, die Krisenstaaten tatsächlich aus der Krise herauszuführen. Eine tiefere Rezession, mehr Arbeitslose und eine verschärfte soziale Schieflage waren die Folge. Bereits von Beginn an haben wir Grüne kritisiert, dass die Sparauflagen im Rahmen der Anpassungsprogramme nicht realistisch sind und kurzfristige quantitative Erfolge vor langfristige Strukturreformen stellen. Deshalb war es uns so wichtig, dass gegen den ursprünglichen Widerstand der Bundesregierung neben der Finanztransaktionssteuer nun auch einen Pakt für nachhaltiges Wachstum und Beschäftigung vereinbart wurde. Andere grüne Forderungen bleiben weiter offen. So haben wir uns außerdem für die Einrichtung eines Schuldentilgungsfonds nach Vorschlag des Sachverständigenrates der Bundesregierung ausgesprochen, welcher eine echte und langfristige Perspektive für Schuldenabbau beinhaltet, anstatt nur die akutesten Brände löschen zu wollen.
Sowohl beim ESM als auch beim Fiskalpakt hat sich die Grüne Bundestagsfraktion für starke Parlamentsrechte eingesetzt. Unser Prinzip lautet: Keine Entscheidung ohne parlamentarische Mitbestimmung! Der Deutsche Bundestag muss zweimal zustimmen bevor ein Land unter den Rettungsschirm schlüpfen darf: Die Parlamentarier müssen im ersten Schritt zustimmen, dass einem Mitgliedsstaat grundsätzlich geholfen werden soll und dann in einem zweiten Schritt die detaillierten Bedingungen der Hilfe annehmen. Auch eine mögliche Erhöhung des Volumens des ESM oder eine Änderung der Hilfsinstrumente unterliegt der vorherigen Zustimmung des Plenums. Dank unseres grünen Sieges vor dem Bundesverfassungsgericht sind auch im Rahmen des
Fiskalvertrages umfassende Informations- und Mitwirkungsrechte des Parlamentes sichergestellt. Mit dem Rückenwind aus Karlsruhe konnten wir gegen heftigen Widerstand der Koalition durchsetzen, das EU-Beteiligungsgesetz, dass die Rechte des Bundestags regelt, an die Neuerungen des Fiskalvertrags anzupassen.

Mit freundlichem Gruß
Martin Hahn

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