Frage an Martin Gerster von Günter L. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Hr.Gerster
Glauben Sie, dass die Wahlkampfthemen Reichensteuer und neue Verfassung bei uns Wählern gut ankommen? Glauben Sie nicht, dass das Wahlkampfthema Deckelung der gesamten Staatsausgaben und der daraus resultierenden total neuen, gerechten Bürgerbesteuerung ein viel glaubwürdigeres Wahlkampfthema wäre? Der Wähler weiss doch sehr wohl, wer für was in der jetzigen politischen Verantwortung dem Bürger alles aufzwingt und sich immer weiter vom demokratischen Verhalten entfernt (Datenabgleich Steuern bei allen Bürgern). Also Mißtrauen uns Wählern gegenüber. Glauben Sie nicht, dass mehr Eigenverantwortung und leistungsgerechte Politik viel besser in der jetzigen Situation beim Bürger ankommt?
Mit freundlichem
Lindner Kressbronn
Sehr geehrter Herr Lindner,
herzlichen Dank für Ihre Frage. Tatsächlich denke ich, dass die SPD mit ihrer Themenauswahl auf dem richtigen Kurs liegt. Allerdings beschränkt sich unser Regierungsprogramm für die Zeit nach der Bundestagswahl 2009 keineswegs auf das Thema Reichensteuer.
Wir wollen den aus dem Ruder gelaufenen Finanzmärkten klare Regeln geben und Transparenz herstellen. Wir stehen für einen wirtschaftspolitischen Kurs, der sich an den Menschen und nicht nur an der Rendite orientiert, was sich anschaulich an unserer Forderung nach einem gesetzlichen Mindestlohn illustrieren lässt. Die SPD ist und bleibt die Partei der sozialen Gerechtigkeit: Dafür stehen wir in Bildungsfragen ebenso wie in der Sozial- und Familienpolitik. Nur mit uns ist die Fortsetzung der Energiewende - weg vom Atomstrom hin zu erneuerbaren Energien gesichert.
Ich lade Sie herzlich ein, sich das Gesamtkonzept einmal im Detail anzusehen: http://www.frankwaltersteinmeier.de/_media/pdf/Entwurf_Regierungsprogramm.pdf
Ihrem Vorschlag einer Deckelung sämtlicher Staatsausgaben vermag ich aufgrund der absehbaren, hoch problematischen Folgen für unser Gemeinwesen wenig abzugewinnen, zumal mir ehrlich gesagt unklar ist, warum daraus zwingend eine "gerechte" Bürgerbesteuerung resultieren sollte. Zumal es - angesichts der Vielfalt unterschiedlicher Interessen, Bedürfnisse und Lebenslagen - "den Bürger" aus meiner Sicht ebenso wenig gibt, wie "den Politiker".
Eigenverantwortung und Leistungsgerechtigkeit sind sicherlich wichtige Richtschnüre politischen Handelns - ohne konkrete Konzepte bleiben sie aber in meinen Augen Leerformeln, die wenig praktischen Wert für die Bewältigung der anstehenden gesellschaftlichen Herausforderungen haben.
Da Sie das Thema Steuergerechtigkeit ansprechen: Für mich stellt es auch einen Teilaspekt sozialer Gerechtigkeit dar, dass alle Bürgerinnen und Bürger im Rahmen Ihrer Leistungsfähigkeit an der Finanzierung öffentlicher Aufgaben beteiligt werden. Deshalb ist es notwendig, auch diejenigen mit einzubeziehen, die sich dieser Verantwortung entziehen wollen, beispielsweise durch Steuerbetrug. Hierzu gilt es aber, dem Staat die notwendigen Mittel in die Hand zu geben. So haben wir beispielsweise im Umgang mit Steueroasen auch auf internationaler Ebene einige Fortschritte erreicht. Daran vermag ich nichts Undemokratisches erkennen.
Mit freundlichen Grüßen
Martin Gerster