Frage an Martin Gerster von Wolfgang R. bezüglich Finanzen
Sehr geehrter Herr Gerster,
Ich hatte nachfolgende Frage schon an Herrn Struck (SPD Fraktionsvorsitzender) gerichtet. Er kann (will) nicht alle Anfragen beantworten und verweist mich an Sie:
Hat die SPD bei der Planung des Konjunkturprogramms bedacht, dass bei einem sehr großen Teil der Bevölkerung davon nichts ankommt? Grund: Der Gesundheitsfonds, welcher von 90 % der Mitglieder der GKV höhere Beiträge fordert. Da der Bund diesen Fonds unterstützt, hängen beide Maßnahmen unmittelbar zusammen – höhere Beiträge, geringerer Zuschuss und umgekehrt.
Mein Einkommen hat sich dadurch um 1,52 % verringert. Laut Berechnungen von "Finanztest" kann ich im Juli mit einer Entlastung von 0,67 % rechnen. Da ich kein kleines altes Auto habe und meine Kinder erwachsen sind, bedeutet das kombinierte Konjunkturprogramm für mich ein Minus von 0,85 %. Bitte teilen Sie mir mit, wie ich und viele Millionen weitere Bürger, so konsumfreudiger werden sollen? Habe ich etwa etwas übersehen oder ist noch etwas geplant um unsere Konsumlaune anzuregen?
Was hält die SPD davon, wenn in weiteren Stützungsmaßnahmen auch an die gedacht wird, welche die Zeche im Wesentlichen bezahlen werden – die Studenten, welch vollkommen leer ausgehen? Wäre es nicht ein erstrebenswertes Signal, die Studiengebühr befristet vom Bund zu tragen, um der so oft propagierten Bildungsgesellschaft und der Chancengleichheit mehr Nachdruck zu verleihen?
Mit freundlichen Grüßen
Wolfgang Richter
Sehr geehrter Herr Richter,
zunächst möchte ich um Ihre Nachsicht bitten, dass Sie erst jetzt eine Antwort erhalten. Die Verzögerungen bei der Beantwortung hoffe ich dadurch wettmachen zu können, dass ich etwas mehr ins Detail gehe.
Bei den Konjunkturprogrammen ist es tatsächlich so, dass nicht unmittelbar der private Konsum angeregt werden soll. Viel mehr sollen mittelfristig größere Ausgaben und Investitionen „gestemmt“ werden, die sonst nicht durchgeführt worden wären. Zum Beispiel werden im Landkreis Biberach insgesamt rund 2,6 Millionen Euro ausgegeben, davon ca. 660.000 Euro aus den Mitteln des Landkreises. Dieses Geld kommt insbesondere den Schulen zu gute. So werden verschiedene Sanierungsmaßnahmen aus den Mitteln des Konjunkturpakets: Im Kreis-Berufsschulzentrum Biberach wird das Flachdach saniert, im Kreisgymansium Riedlingen die Fenster saniert und in verschiedenen anderen Schulen weitere Maßnahmen durchgeführt (Austausch Beleuchtung etc.). Zusätzlich konnten für insgesamt vier Schulen neue Dreh- und Fräsmaschinen angeschafft werden. Und dies sind nur die geplanten Maßnahmen des Landkreises. Jede Kommune selbst verfügt ebenfalls über Mittel, um in eigener Schwerpunktsetzung Investitionen auf den Weg zu bringen. In Baden-Württemberg sind das ca. 10 Euro pro Einwohner der Gemeinde für Infrastrukturmaßnahmen und im Bildungsbereich ca. 245 Euro pro Kind im Kindergarten bzw. Schulkinder.
Natürlich wird durch diese Maßnahmen der Investitionsstau nicht aufgelöst – aber zumindest ein Anfang wird dadurch gemacht. Um einem leider weitverbreiteten Missverständnis vorzubeugen: Es geht beim Konjunkturpaket nicht um die Verteilung von möglichst vielen Wohltaten auf möglichst viele Personengruppen. Deshalb haben wir uns auch bewusst und gewollt gegen Konsumgutscheine und ähnliches entschieden. Unsere konjunkturellen Maßnahmen fußen auf sieben Säulen:
1. Mit 17,3 Milliarden Euro fördern wir Impulse für mehr Investitionen in Bildungs- und Verkehrinfrastruktur.
2. Wir entlasten die Bürgerinnen und Bürgern von Steuern und Abgaben in Höhe von rund 30 Mrd. Euro. Eine durchschnittlich verdienende Familie (Alleinverdiener, 2 Kinder, 30.000 Euro) hat in diesem Jahr netto 679 Euro mehr in der Tasche, im Jahr 2010 614 Euro.
3. Wir spannen ein Sicherheitsnetz für die Beschäftigten: Befristet auf ein Jahr haben wir die deshalb Bezugsdauer von Kurzarbeitergeld von bisher 12 Monaten auf 18 Monate verlängert. Die Antragstellung und das Verfahren werden vereinfacht. Den Arbeitgebern werden in den kommenden beiden Jahren bei Kurzarbeit die von ihnen allein zu tragenden Sozialversicherungsbeiträge hälftig durch die Bundesagentur für Arbeit erstattet. Für Zeiten der Qualifizierung während der Kurzarbeit wird ihnen der volle Sozialversicherungsbeitrag erstattet. Für die Jahre 2009 und 2010 stehen zusätzliche Mittel von rund 2 Mrd. Euro für Aktivierungs- und Qualifizierungsmaßnahmen insbesondere für Arbeitnehmer über 25 Jahre, die über keinen Berufsabschluss verfügen, und für Jugendliche, die schon lange eine Lehrstelle suchen, zur Verfügung.
4. Stärkung der Automobilindustrie: Auf dieses Thema möchte ich etwas umfangreicher eingehen, da Sie ja gerade die so genannte „Abwrackprämie“ kritisieren. Die Automobilindustrie ist eine Schlüsselbranche unserer Volkswirtschaft. Zusammen mit den Zulieferern leidet sie besonders unter dem Absatzeinbruch. Es geht zum einen darum, diese Schlüsselbranche mit ihren Arbeitsplätzen zu erhalten und zum anderen die Umstellung auf verbrauchsarme und klimafreundliche Fahrzeuge zu beschleunigen.
Zur Ankurbelung des Auto-Absatzes haben wir deshalb eine Umweltprämie in Höhe von 2.500 Euro eingeführt. Wer in diesem Jahr seinen mindestens 9 Jahre alten Wagen verschrottet und gleichzeitig einen umweltfreundlicheren Neu- oder Jahreswagen ab Euro 4 kauft, erhält diese Prämie. Für dieses Programm stehen 1,5 Mrd. Euro zur Verfügung.
Um der Kaufzurückhaltung bei den Neuwagen entgegen zu wirken, haben wir eine befristete Kfz-Steuerbefreiung eingeführt. Kfz-Halter, die im Zeitraum vom 5. November 2008 bis zum 30. Juni 2009 einen neuen Pkw zulassen, müssen ein Jahr lang keine Kfz-Steuer zahlen. Erfüllen Pkw zudem die Abgasnorm Euro-5 oder Euro-6, verlängert sich die Steuerbefreiung bis auf maximal zwei Jahre. Diese Regelung endet auf jeden Fall am 31. Dezember 2010. In einem zweiten Schritt werden wir die gegenwärtige Kfz-Steuer auf eine emissions-bezogene Kfz-Steuer umstellen. Die Umstellung soll zum 1. Juli 2009 erfolgen. Damit wird Rechtsklarheit geschaffen, so erhalten Käufer rasch einen Kaufanreiz und Planungssicherheit. Der Steuertarif soll linear verlaufen und ein gewisser Basisausstoß soll steuerfrei bleiben. Diese Basismenge soll sich in den kommenden Jahren kontinuierlich verringern. Damit sollen Anreize gesetzt werden, schadstoffarme Autos auf den Markt zu bringen. Beide Maßnahmen zusammen kosten bis 2010 rund 900 Mio. Euro.
Für die Jahre 2009 und 2010 werden insgesamt zusätzliche 500 Mio. Euro über Förderprogramme bzw. KfW-Kredite eingesetzt, die z. B. für Hybridantrieb, Brennstoffzell- oder Speichertechnologien verwendet werden können.
Wir wollen erreichen, dass die Finanzierungsziele der Europäischen Investitionsbank (EIB) für Forschungs-, Entwicklungs- und Innovationskredite von 7,2 Mrd. Euro in 2007 auf 10 Mrd. Euro in 2009 aufgestockt werden, um u. a. die Entwicklung moderner Fahrzeugtechnologie voranzutreiben. Darüber hinaus wollen wir, dass das jährliche Kreditvolumen der EIB zur Unterstützung von KMU von ca. 5 Mrd. Euro in 2007 auf jeweils 8 Mrd. Euro in 2009 und 2010 erhöht wird, wovon kleinere Zulieferer der Automobilindustrie profitieren würden.
5. Wir treiben die Modernisierung des Landes voran: Dafür stocken wir das Zentrale Innovationsprogramm (ZIM) für die Jahre 2009 und 2010 um jeweils 450 Mio. Euro auf. Das ZIM fördert Forschungs- und Entwicklungsvorhaben von Betrieben mit bis zu 250 Beschäftigten. Um den in der Wirtschaftskrise gewachsenen Finanzierungsbedarf für Forschungs- und Entwicklungsvorhaben des Mittelstandes zu decken, werden in den Jahren 2009 und 2010 auch einzelbetriebliche FuE-Vorhaben von westdeutschen Unternehmen und größere Unternehmen bis 1000 Beschäftigte in Ost- und Westdeutschland gefördert. Ostdeutsche Unternehmen erhalten dabei höhere Fördersätze.
Überdies werden wir den Breitbandausbau in Deutschland massiv vorantreiben, kurzfristig Versorgungslücken in der Fläche schließen und den Aufbau von leitungsgebundenen und funkgestützten Hochleistungsnetzen forcieren. Zudem wird die staatliche Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) ihre bisherigen Maßnahmen im Bereich der Innovationsförderung und -umsetzung deutlich verstärken.
6. Wir schaffen bessere Bedingungen für Unternehmen: Schließlich bildet der Mittelstand bildet das Rückgrat unserer Volkswirtschaft, das wir in der Krise stärken müssen. Deshalb wird über das bei der KfW bereits laufende Sonderprogramm von 15 Mrd. Euro für den Mittelstand hinaus ein Bürgschaftsrahmen von 100 Mrd. Euro zur Verfügung stehen. Wir haben, zeitlich befristet für zwei Jahre, eine degressive Abschreibung für bewegliche Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens in Höhe von 25 Prozent zum 1.1.2009 eingeführt. Mit der Wiedereinführung der degressiven Abschreibung für bewegliche Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens sollen Investitionsanreize geschaffen und so für eine Stabilisierung des Wachstums gesorgt werden. Die Maßnahme, die vor allem kleine und mittelständische Unternehmen betrifft, entlastet die Unternehmen um 2,5 Mrd. Euro. Zusätzlich zur degressiven Abschreibung haben wir, befristet für zwei Jahre, die Möglichkeit von Sonderabschreibungen in Höhe von 20 Prozent für kleinere und mittlere Unternehmen (KMU) erweitert. Die Betriebe werden damit um 100 Mio. Euro entlastet. Dies hilft, die Liquidität und Eigenkapitalbildung kleiner und mittlerer Unternehmen zu unterstützen. Sie stärkt damit die Investitions- und Innovationskraft.
7. Dennoch führen wir unsere nachhaltige Haushaltspolitik fort: Wir wissen, dass wir in diesen Zeiten aktiv gegen die Wirtschafts- und Finanzkrise ankämpfen müssen und vorübergehend eine Erhöhung der Staatsverschuldung in Kauf nehmen müssen. Wir wissen aber auch, dass wir im Aufschwung diese Schulden zurückzahlen müssen und wollen. Das ist die zweite Seite der Medaille von antizyklischer Finanzpolitik, die wir ebenfalls sehr ernst nehmen. Mit der Tilgung des Sondervermögens werden wir ab 1. Januar 2010 beginnen. Hierfür wird der Anteil des Bundesbankgewinns, der über den im Bundeshaushalt veranschlagten Betrag hinausgeht, verwendet. Der potentiell für die Tilgung einzusetzende Anteil des Bundesbankgewinns steigt, indem der für den Bundeshaushalt vorgesehene Anteil von derzeit bis zu 3,5 Mrd. Euro in den Jahren 2011 und 2012 jeweils um 500 Mio. Euro abgesenkt wird. Damit wird eine verlässliche Perspektive zur vollständigen Tilgung der Verbindlichkeiten auch dieses Sondervermögens in einem überschaubaren Zeitraum eröffnet. Und weiterhin halten wir auch eine Schuldenbremse im Grundgesetz für notwendig. Das Ziel eines ausgeglichenen Staats- und Bundeshaushaltes bleibt bestehen.
Insofern sollte deutlich geworden sein, dass das Konjunkturpaket mehr ist, als die Abwrackprämie und einige Peanuts.
Zu Ihrer Frage nach den Studiengebühren kann ich nur sagen, dass die SPD seit je her gegen Studiengebühren war und sich an dieser Einstellung nichts geändert hat. Die Landesregierungen einzelner Länder haben sich für Studiengebühren ausgesprochen und erheben diese seit einiger Zeit. Eine Übernahme durch den Bund ist rechtlich nicht einfach. Allerdings habe ich mich in der Arbeitsgruppe Finanzen dafür eingesetzt, dass die Studiengebühren zumindest von den Steuern abgesetzt werden können – und zwar sowohl bei den Eltern, wie auch den Kindern, so sie über Einkommen verfügen. Leider war in dieser Legislatur eine Änderung nicht möglich, da hierzu keine parlamentarischen Mehrheiten mit dem Koalitionspartner hergestellt werden konnten. Ich hoffe sehr, dass wir eine Verbesserung der Situation der Studierenden und ihrer Eltern in der nächsten Legislatur schaffen werden.
Mit freundlichen Grüßen
Martin Gerster