Portrait von Martin Gerster
Martin Gerster
SPD
88 %
14 / 16 Fragen beantwortet
Frage von Wolfgang K. •

Frage an Martin Gerster von Wolfgang K. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrter Herr Gerster,
ich beabsichtige ein Verfassungsklage bezüglich Art. 14 GG i.V. mit der Insolvenzordnung unr Beschluß des BGH IX ZB 50/05 einzureichen.
Art. 14 des Grundgesetzes steht konträr zur InsO.
Ich bin Eigentümer einer titulierten Forderung gegenüber einem Schuldner. Dieser Schuldner hat im Jahre 2003 das Verbraucherinsolvenzverfahren beantragt. Es bestehen/bestanden keinerlei Möglichkeiten die in 2 Wochen durch das AG Ulm aufgrund der InsO auszusprechende Restschuldbefreiung zu verhindern.
Art. 14 (3) - Entschädigung erfolgt nicht.

Wie stehen Sie zur InsO in Verbindung mit dem Grundgesetz?
Nach meinen Erkenntnissen und Erfahrungen handelt es sich hier um eine "Staatlich verordnete Enteignung zu Gunsten der Schuldner auf Kosten der Gläubiger.
Übrigens: Der Erlaß von Schulden. verordnet durch Verordnungen/Gesetze sieht das Grundgesetz nicht vor.
Den Schutz des Eigentums wird durch das Grundgesetz in Art. 14 gewährleistet.

Portrait von Martin Gerster
Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr Kubach,
herzlichen Dank für Ihre Frage zur Insolvenzordnung und der Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz. Da ich selbst kein Jurist bin, habe ich Ihre Frage mit dem zuständigen Staatssekretär des Bundesministeriums der Justiz, Herrn Alfred Hartenbach, MdB besprochen, der mich wie folgt über die Rechtslage aus Sicht des Ministeriums informiert hat:

Die Insolvenzordnung (InsO) verbindet in § 1 zwei Hauptziele: Zum einen soll die (bestmögliche) Befriedigung der Gläubiger im Wege einer Gesamtvollstreckung und -Verwertung des gesamten Vermögens des Schuldners gewährleistet werden. Zum anderen soll dem Schuldner jedoch auch ein menschenwürdiges Dasein und somit die Möglichkeit eines schuldenfreien Neuanfangs eröffnet werden. Die Insolvenzordnung wird auch in ihrer gesetzlichen Ausgestaltung den verfassungsrechtlichen Anforderungen an den Schutz des Eigentums gemäß Artikel 14 des Grundgesetzes (GG) gerecht. Gemäß § 1 Satz 2 i. V. m. § 286 InsO kann eine natürliche Person im Wege der gesetzlichen Restschuldbefreiung von den im Insolvenzverfahren nicht erfüllten Verbindlichkeiten gegenüber den Insolvenzgläubigern befreit werden. Die gesetzliche Restschuldbefreiung ist aber nur im Anschluss an ein Insolvenzverfahren möglich und sieht eine sechsjährige Wohlverhaltensperiode ab Eröffnung des Insolvenzverfahrens vor (§§ 287 Abs. 2 Satz 1, 300 Abs. 1 InsO). Die Möglichkeit der Restschuldbefreiung hat der Gesetzgeber darüber hinaus nur dem redlichen Schuldner eröffnet. Zugunsten der Gläubiger sieht § 290 InsO die Möglichkeit der Versagung der Restschuldbefreiung auf Gläubigerantrag vor, wenn dem Schuldner in der Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens, bei dessen Abwicklung, nach Aufhebung des Verfahrens bis zum Ablauf der Wohlverhaltensperiode oder im Anhörungstermin zur Restschuldbefreiung illoyales Verhalten zur Last fällt {vgl. Gesetzesbegründung in Bundestags-Drucksache (BT-Drucks) 12/2443, S. 71 ff.). So scheidet die Restschuldbefreiung zum Beispiel aus, wenn der Schuldner wegen einer Straftat nach den §§ 283 bis 283c des Strafgesetzbuchs (StGB) verurteilt wurde (§ 290 Abs. 1 Nr. 1 InsO). Das gleiche gilt, wenn der Schuldner in einem bestimmten Zeitraum vor Eröffnung des Insolvenz-Verfahrens schriftlich falsche Angaben über seine Vermögensverhältnisse gemacht hat, um einen Kredit zu erhalten (§ 290 Abs. 1 Nr. 2 InsO), oder wenn er durch mutwilliges oder vorsätzliches Verhalten die Befriedigungsaussichten des Gläubigers wesentlich geschmälert hat und im letzten Jahr vor Beantragung des Insolvenzverfahrens oder nach Antragstellung unangemessene Verbindlichkeiten begründet oder Vermögen verschwendet hat (§ 290 Abs. 1 Nr. 4 InsO) und einem unangemessenen luxuriösem Lebensstil frönt (vgl. BGH in ZlnsO 2005, S. 146). Vorsätzlich ein „schönes Leben" auf Kosten der Gläubiger darf sich ein Schuldner, der die Restschuldbefreiung erlangen will, daher nicht machen. Schließlich kann die Restschuldbefreiung auch dann versagt werden, wenn der Schuldner am Insolvenzverfahren nicht kooperativ mitwirkt (§ 290 Abs. 1 Nr. 5 InsO). Während der Restschuldbefreiungsphase hat der Schuldner pfändbare Bezüge aus einem Dienstverhältnis abzutreten und die Obliegenheiten des § 295 InsO einzuhalten. Danach ist der Schuldner insbesondere verpflichtet, eine angemessene Erwerbstätigkeit auszuüben und, wenn er ohne Beschäftigung ist, sich um eine solche zu bemühen und keine zumutbare Tätigkeit abzulehnen. Verstößt der Schuldner gegen diese Obliegenheiten, kann auf Antrag eines Insolvenzgläubigers die Erteilung der Restschuldbefreiung versagt werden (§ 296 InsO). Mit der Restschuldbefreiung ist somit eine unter umfassender Berücksichtigung sowohl der Schuldner- als auch der Gläubigerinteressen verhältnismäßige und ausgewogene Regelung gefunden worden. Eine faktisch lebenslange Haftung dient weder den Interessen des Gläubigers, noch den Interessen des Schuldners oder den Interessen der Allgemeinheit. Zum einen ist der wirtschaftliche Wert des Nachforderungsrechts meist sehr gering. Zum anderen wird einem Schuldner bei einem freien Nachforderungsrecht und einer damit verbundenen lebenslangen Überschuldung die Motivation zu einer Erwerbstätigkeit genommen. Dieser Motivationsverlust führt häufig zur Einstellung der Arbeit und damit zur Belastung der Sozialkassen oder zur Aufnahme einer Beschäftigung im Bereich der Schattenwirtschaft. An dem Einkommen aus einer solchen Tätigkeit können die Gläubiger nicht partizipieren. Wenn jedoch dem Schuldner ein neuer Start ermöglicht wird und er während der Dauer des Verfahrens verpflichtet ist, alles ihm Zumutbare zur Gläubigerbefriedigung zu unternehmen, dann verbessert dieses Verfahren auch die Möglichkeiten einer Haftungsverwirklichung (vgl. BT-Drucks. 12/2443 vom 15. April 1993, S. 71 ff.). Im Gegensatz zum früheren Recht, das den Neuerwerb konkursfrei stellte, wird nun der wichtigste Vermögensbestandteil des Schuldners, seine laufenden und künftigen Einkünfte aus Arbeitsverhältnissen, in das Verfahren einbezogen und zur gleichmäßigen Befriedigung der Gläubiger verwandt. Da der wirtschaftliche Wert einer Forderung gegen einen insolventen Schuldner sehr gering ist, verbessert das Insolvenz- und Restschuldbefreiungsverfahren in der Regel die Verwirklichung der Haftung zwar nicht gegenüber einem einzelnen Gläubiger, wohl aber gegenüber der Gläubigergemeinschaft. Außerhalb eines Insolvenz- und Restschuldbefreiungsverfahrens erlangt nur der Gläubiger Befriedigung an der unzureichenden Haftungsmasse des Schuldners, der am schnellsten vollstreckt oder der aufgrund besonderer Beziehungen, besonderer Umstände und Findigkeit bevorzugt auf das noch vorhandene Vermögen des Schuldners zugreifen kann. Alle anderen Gläubiger gehen leer aus. Im Insolvenzverfahren wird dagegen allen Gläubigern ein allseitiger und gleichmäßiger Schutz ihrer Rechte gegenüber dem Schuldner und den Mitgläubigern gewährleistet. Die Aussicht auf Restschuldbefreiung bildet für den Schuldner den zentralen Anreiz, sich um eine möglichst weitgehende Tilgung seiner Schulden zu bemühen und etwa zu diesem Zweck jede ihm zumutbare Arbeit anzunehmen. Die Gläubiger können demgegenüber hoffen, über dieses besondere Engagement in den sechs Jahren der Wohlverhaltensperiode mehr zu erlangen, als sie bei einer unbegrenzten Nachforderung jemals erhalten würden. Eine Enteignung der Gläubiger im Sinne von Artikel 14 des Grundgesetzes (GG) liegt nach Auskunft des Bundesministeriums der Justiz bei einer Restschuldbefreiung nicht vor. Der Enteignungsbegriff ist beschränkt auf die Entziehung konkreter Rechtspositionen zur Erfüllung bestimmter öffentlicher Aufgaben; er ist also weitgehend zurückgeführt auf Vorgänge der Güterbeschaffung (vgl. BVerfGE 104, 1, 9 f. m. w. N.). Die generell-abstrakte Festlegung von Rechten und Pflichten durch den Gesetzgeber - wie dies bei der Restschuldbefreiung der Fall ist - stellt dagegen eine Inhalts- und Schrankenbestimmung des Eigentums dar (Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG). Inhalts- und Schrankenbestimmungen des Eigentums sind grundsätzlich zulässig, wenn sie den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wahren, insbesondere nicht zu einer übermäßigen Belastung führen und den Eigentümer im vermögensrechtlichen Bereich nicht unzumutbar treffen. Eine solche unverhältnismäßige Belastung ist indes mit der Möglichkeit der Restschuldbefreiung für den Schuldner gemäß vorstehenden Ausführungen nicht gegeben.

In der Hoffnung, Ihre Frage beantwortet zu haben
verbleibe ich
mit freundlichen Grüßen
Ihr
Martin Gerster

Was möchten Sie wissen von:
Portrait von Martin Gerster
Martin Gerster
SPD