Frage an Martin Gerster von Daniel K. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen
Sehr geehrter Herr Gerster!
Sie haben der Verlängerung des Afghanistan-Einsatzes zugestimmt.
Wurde den MdB vor der Abstimmung irgendwelche Unterlagen zugänglich gemacht, die den Hintergrund dieses "Kriegs-Einsatzes" beleuchten? Was ich damit meine:
Ist Ihnen bekannt, dass die USA während dieses Einsatzes sogenannte GBU - Bomben über Afghanistan abwarfen und dies in einer ungeheuerlich großen Anzahl immer noch tun.
Diese Tatsache ist nachzulesen unter:
http://www.af.mil/news/story.asp?id=123062444
GBU = guided bomb unit sind mit Alt-Uran angereichert und verursachen verheerende Schäden sowohl bei der Zivilbevölkerung als auch bei allen eingesetzten Soldaten. Wie wollen Sie unsere Soldaten vor diesen Folgen schützen?
Christoph R. Hörstel hat ein Buch mit dem Titel "Sprengsatz Afghanistan" veröffentlicht. Hierin geht es um seine Erfahrungen, die er vor Ort in Afghanistan gemacht hat. Dieses Buch wäre bzgl. zukünftiger Abstimmungen sehr lesenswert.
Würden Sie trotz der Erkenntnisse der GBU-Bomben zukünftig wieder für den Afghanistan-Einsatz stimmen?
Daniel Kliewe
Sehr geehrter Herr Kliewe,
haben Sie vielen Dank für Ihre Frage. In der Tat habe ich der Verlängerung des Mandats der deutschen Beteiligung an der NATO-geführten internationalen Sicherheitsunterstützungsgruppe in Afghanistan (ISAF) zugestimmt. Zu dieser Entscheidung stehe ich nach wie vor.
Ziel des ISAF-Einsatzes ist es, ein sicheres Umfeldes zu schaffen, um Afghanistan langfristig zu stabilisieren und weitere Entwicklungserfolge zu ermöglichen. Insofern verfolgt ISAF keine militärische, sondern eine politische Zielsetzung. In der Öffentlichkeit werden vorwiegend die militärischen Aspekte des Engagements diskutiert und häufig das ISAF-Mandat mit der „Operation Enduring Freedom“ vermischt. Auch wenn ich mir der Tatsache bewusst sind, dass in der Praxis die Grenzen zwischen beiden Mandaten immer mehr verschwimmen, halte ich dennoch nichts davon das Engagement der ISAF als „Kriegseinsatz“ zu interpretieren.
Trotz einiger Rückschläge und Schwierigkeiten, erachte ich die ISAF-Mission für notwendig. Denn auch wenn einfache und rasche Lösungen für die Probleme des Landes nicht in Sicht sind, gibt es beispielsweise im Gesundheits- und Bildungsbereich durchaus nennenswerte Fortschritte. Die Kindersterblichkeit im Land ist zurückgegangen und 85 % der Afghanen haben mittlerweile Zugang zur medizinischen Versorgung. 75 % der Jungen und 35 % der Mädchen gehen inzwischen zur Schule. Seit 2001 wurden landesweit 3.500 Schulen gebaut, die Zahl der Schülerinnen und Schüler hat sich auf rund sechs Millionen mehr als verfünffacht. Die afghanische Wirtschaft kommt voran: Die Exporte steigen, das Bruttoinlandsprodukt wächst jährlich mit zweistelligen Raten. Das Pro-Kopf-Einkommen hat sich in den letzten fünf Jahren auf rund 220 Euro verdoppelt. Auch wenn diese und weitere Fortschritte nicht ausreichen, sie eröffnen den Afghanen neue Chancen.
Tatsache ist aber: Der Einsatz in Afghanistan ist für unsere Soldaten hochriskant. Mögliche Folgeschäden, die sich aus der Verwendung von Uranmunition ergeben könnten, sehe ich – angesichts der generellen Bedrohungslage durch Anschläge und Angriffe – eher als Nebenaspekt. So weit ich weiß, schätzen auch die Weltgesundheitsorganisation WHO
( http://www.who.int/mediacentre/factsheets/fs257/en ) und die Internationale Atomenergiebehörde
( http://www.iaea.org/NewsCenter/Features/DU/index.shtml ) die Auswirkungen von Uranmunition als verhältnismäßig gering ein.
Zu Ihrer Frage, welche Unterlagen den Bundestagsabgeordneten zum Thema
Afghanistan zur Verfügung gestellt wurden, möchte ich auf den Abschlussbericht der im Oktober 2006 eingerichteten SPD-Task-Force Afghanistan verweisen:
http://www.spdfraktion.de/cnt/rs/rs_datei/0,,8761,00.pdf
Das Dokument vermittelt einen guten Einblick in die Diskussion innerhalb unserer Fraktion. Selbstverständlich werden die Abgeordneten des Deutschen Bundestages umfassend über die Lage, Entwicklung und Hintergründe der entsprechenden Auslandseinsätze informiert, beispielsweise durch das Auswärtige Amt und das Bundesministerium der Verteidigung.
Ich versichere Ihnen, dass sich niemand die Entscheidung für oder gegen einen internationalen Einsatz leicht macht. Dennoch steht die Bundesrepublik Deutschland hier in der Pflicht. Es geht im Kern um zwei Dinge: um die Zukunft Afghanistans und um unsere eigene Sicherheit. Die afghanische Bevölkerung vertraut auf deutsche Hilfe und die internationale Gemeinschaft auf unsere Solidarität. Ein Abzug zum jetzigen Zeitpunkt würde alles Erreichte in Frage stellen. Gegenwärtig sehe ich die Zeit, das Mandat zu beenden, erst dann gekommen, wenn Afghanistan aus eigener Kraft für Frieden und Sicherheit seiner Bevölkerung sorgen kann.
Mit freundlichen Grüßen
Martin Gerster