Frage an Martin Gerster von Michael W. bezüglich Finanzen
Hallo Hr. Gerster, zum Thema steuerliche Abzugsfähigkeit von Verlusten eine Frage. In meinem Fall betrifft es ein Aktiendepot im oberen 5-stelligen Bereich, welches ich in kritischen Phasen wie zur Zeit mit gekauften Put-Optionen absichere. Dazu rechne ich pro Quartal mit einer Kaufsumme von 5000€, im Jahr also mit 20000€ , die im schlechtesten Falle als Verlust von mir abgeschrieben werden müssen. Wenn ich sonst keine weiteren Termingeschäfte vornehme, werde ich also ab 2021 jedes Jahr 20000€ in den Topf dazu bekommen.
Ich kann natürlich auch alle Aktien verkaufen, dann bin ich auch abgesichert gegen Verluste. Falls ich dabei auch noch z.B. 5000€ Gewinne mache, werden 1250€
Abgeltungssteuer fällig, während andererseits 20000€ Verlust angefallen sind.
Ist es das, was von der SPD in diesem Fall erwünscht ist??
Mit freundlichen Grüßen
Michael Weber
PS:
Auszug aus dem Interview von DZB Zertifikate dazu mit Lothar Binding:
Es betrifft aber nicht nur Trader. Es gibt Anleger, die Optionen zur Depotabsicherung nutzen, Derivate also defensiv einsetzen, um Risiken im Depot zu reduzieren. Werden die Derivate mit Verlust verkauft, weil die Absicherung nicht nötig geworden ist, können sie diese Verluste nicht mit Gewinnen aus anderen Wertpapieren verrechnen.
Diese Konstellation ist im privaten Bereich doch sehr selten. Nur die wenigsten Privatanleger setzen Optionen gezielt zur Risikosteuerung ein. Solche Strategien werden eher von Profis genutzt. Und da greifen wir ja gar nicht ein. Professionelle, gewerbliche Investoren können Gewinne und Verluste wie bisher unbegrenzt steuerlich gegeneinander
Selbst wenn es so wäre, dass nur wenige Anleger Derivate in dieser Form einsetzen, würden Sie diese hart treffen. Denn durch die Begrenzung der Abzugsfähigkeit auf 10.000 Euro im Jahr ist es jetzt tatsächlich möglich, dass ein Anleger Steuern zahlen muss, obwohl er wirtschaftlich Verluste erzielt hat. Ist das Steuergerechtigkeit?
Steuergerechtigkeit ist so eine Sache. Anleger profitieren mit privaten Kapitaleinkünften vom günstigen Abgeltungssteuersatz. Es ist ein enormes Entgegenkommen des Staates, dass Gewinne aus Wertpapiergeschäften im Rahmen der Abgeltungsteuer vergleichsweise niedrig besteuert werden. Um Steuergerechtigkeit herzustellen, müssen wir dies erstmal überdenken.
Was nicht das Problem löst, dass eine Depotabsicherung mit Derivaten für Privatanleger in Zukunft nicht mehr sinnvoll ist. Denn Verluste aus Termingeschäften lassen sich nur noch mit Gewinnen aus Termingeschäften ausgleichen. Anleger könnten sich damit sogar genötigt sehen, zusätzlich in Derivate zu investieren, um ein steuerliches Minus zu vermeiden. Widerspricht das nicht der grundsätzlichen Idee?
Nein. Die Idee ist es, solche risikobehafteten Geschäfte im privaten Bereich nicht steuerlich zu fördern. Wenn private Anleger sich in Zukunft zweimal überlegen, ob sie an der Terminbörse riskante Wetten eingehen wollen, und wenn wir dazu beigetragen haben, dass sie davon Abstand nehmen, dann haben wir unser Ziel erreicht.
Sehr geehrter Herr Weber,
gerne erläutere ich die Hintergründe der von Ihnen angesprochenen Änderung in der Einkommensbesteuerung. Die längere Bearbeitungszeit bitte ich angesichts der besonderen Umstände in der Corona-Pandemie und dem damit verbundenen hohen Arbeitsaufkommen zu entschuldigen.
In dem von Ihnen angefügten Interview nennt mein Fraktionskollege und finanzpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion, Lothar Binding, bereits den wichtigsten Aspekt der Gesetzesänderung: Nur sehr wenige private Anleger fahren eine derart riskante Anlagestrategie, dass ihre Investitionen mit Termingeschäften abgesichert werden müssten. Eine solche Absicherung schützt zwar das Depot des individuellen Anlegers, geht aber im Falles des Kurssturzes letztendlich zulasten anderer Anleger. Eine solche Strategie steht selbstverständlich jedem frei. Allerdings stellt sich die Frage, ob das Eingehen hoher Risiken durch Verlustverrechnung – im bisherigen hohen Maße – steuerlich begünstigt, und so vom Gemeinwesen mitgetragen werden muss. Die SPD-Bundestagsfraktion ist der Ansicht: Muss es nicht.
Es ist völlig klar: Wer am Aktienmarkt hohe Risiken eingehen möchte, darf dies auch weiterhin tun, und kann diese Risiken z.B. mit Put-Optionen absichern. Auch weiterhin ist eine unterjährige Verlustverrechnung in Höhe von bis zu 10.000 Euro möglich, sofern die Gewinne mit Termin- oder Stillhaltergeschäften erzielt wurden. Und auch weiterhin können Verluste auf Folgejahre vorgetragen und verrechnet werden. Aber ich stehe dazu, dass die Änderung sinnvoll und sachgerecht ist. Die bisherige Regelung führte zur steuerlichen Begünstigung einer hochriskanten Anlagestrategie, die aus einer gesamtwirtschaftlichen Perspektive weder nachhaltig ist, noch realen Wert schafft. Dies korrigieren wir nun. Auf Ihren individuellen Fall darf und möchte ich nicht eingehen. Aber grundsätzlich existieren weniger riskante Strategien zur Kapitalanlage und Risikoabsicherung, die nicht zulasten Dritter geht. Hier hoffen wir, die Anreizsetzung hin zu nachhaltigerem Anlageverhalten zu verschieben.
Da Sie ebenfalls die Abgeltungssteuer explizit ansprechen: Grundsätzlich ist die SPD der Überzeugung, dass Arbeitslohn und Kapitalerträge steuerlich gleichgestellt sein sollten. Es ist schlicht nicht gerecht, dass mit der aktuellen Besteuerung ausgerechnet die Einkünfte gering besteuert werden, die tendenziell wohlhabenden Menschen zufließen, und Lohnarbeit gegenüber Kapitalerträgen fiskalisch benachteiligt wird.
Die Einführung der Abgeltungsteuer ist unseren früheren Erfahrungen mit Steuerhinterziehung und Kapitalflucht geschuldet. Peer Steinbrück begründete sie damals mit "Lieber 25 Prozent von X als 42 Prozent von Nix." Mittel- und langfristig setzen wir uns aber dafür ein, Kapitalerträge im Rahmen der persönlichen Einkommensbesteuerung heranzuziehen. So würde der individuelle Hintergrund – ob es sich etwa um Sparer und Kleinanleger handelt oder aber um Großanleger – steuerlich berücksichtigt. Denkbar und sinnvoll wäre eine Reform bei der Besteuerung von Kapitaleinkünften im Rahmen einer weiterreichenden Einkommensteuerreform, in der beispielsweise der Spitzensteuersatz erst bei höheren Einkommen und dafür etwas stärker greift.
Auch wenn die Stoßrichtung meiner Antwort Sie voraussichtlich nicht zufriedenstellen wird, hoffe ich, dass Sie die Argumentation nachvollziehen können. Mit freundlichen Grüßen, bleiben Sie gesund!
Martin Gerster