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Martin Gerster
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Frage von Jörg D. •

Frage an Martin Gerster von Jörg D. bezüglich Wirtschaft

Sehr geehrter Herr Gerster,

Danke für Ihre Antwort, in der Sie mir allerdings unterstellen, daß andere Philosophen "schon weiter" seien und ich diese Plattform als Werbemittel für "fachwissenschaftlich schlecht abgesicherte Konzepte" nutzen würde. Meine Frage richtete sich nicht an die Bewertung unserer Konzeption, sondern ich wollte wissen, wie Sie aufgrund den dargestellten Grundlagen Gerechtigkeit schaffen wollen.

Sie behaupten allerdings, daß die dargestellte Grundlagen "zu stark" vereinfacht wären und der Markt viel "komplexer" wäre. Der Markt ist dabei gar nicht "so komplex", sondern besteht aus Angebot und Nachfrage, die durch die Marktteilnehmer erzeugt werden. Eine genauere Beschreibung des "Marktes" finden Sie hier:
http://www.iovialis.org/counting.php?file=Dilthey-Modell_Auslegung.pdf

Soweit ich Ihr, bzw. das SPD-Gerechtigkeitskonzept verstanden haben, sollen jene Geld an den Staat abgeben, die für ihre Arbeit Einkommen erhalten (in den von mir aufgeführten Grundlagen, Personengruppe C). Damit zwingen Sie erstens, daß Menschen überhaupt etwas arbeiten (schließlich benötigt man Einkommen zum Auskommen) und zweitens verlangen Sie von Menschen mit Einkommen, jene zu finanzieren, die kein Einkommen haben (Personengruppe B) und versuchen diese Leute über "fördern und fordern" (auch Hartz-IV genannt) dazu zu bringen, für ihren Lebensunterhalt ("Überlebensfähigkeit") selbst zu sorgen. Ein Grundeinkommen lehnen Sie argumentativ durch Aussagen von Dr. Füllsack ab, weil damit Deutschland (als "BGE-Land") unter Immigrationsdruck ersticken würde und daß ein BGE einen "Weltstaat" voraussetzt.

Habe ich Ihre Antwort richtig verstanden? Wenn ja - ist es nicht Aufgabe der Politik, Lösungen zu finden, um den genannten Migrationsdruck abzufedern? Ist Ihr "Gerechtigkeitskonzept" heute noch tragbar, wenn mehr Maschinen (Lohn)Arbeiten übernehmen? Liegen wir wirklich mit unseren Grundlagen so falsch?

Im Voraus Danke für Ihre Antwort,

mit freundlichen Grüßen aus Kiew,

Jörg Drescher

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Sehr geehrter Herr Drescher,

auch für diese Zuschrift vielen Dank. Um ihre Frage nach meiner Gerechtigkeitskonzeption zu beantworten, konnte ich leider nicht ganz umhin, Ihr Konzept zu bewerten. Schließlich teile ich die von Ihnen dargelegten Grundannahmen nicht. Was die Feststellung angeht, dass ein Markt aus Angebot und Nachfrage besteht, stimme ich Ihnen ja völlig zu. Nur ist es eben nicht so, dass die Nachfrage am Markt nur aus den Reihen derer kommt, die keine (oder kaum) Mittel haben ihren nicht näher differenzierten Grundbedarf zu decken. Richtig ist wiederum, dass es Teil unserer Politik ist, durch Steuern und Abgaben eine Umverteilung zugunsten der gesellschaftlich bzw. ökonomisch Schwächeren zu erzielen. Dabei kommen unterschiedliche sozialpolitische Instrumente (Kindergeld, Wohngeld, ALG I, ALG II, BaFöG usw.) zur Anwendung, die sich keineswegs über den einfachen Nenner "Hartz IV" zusammenfassen lassen. So gilt das Motto "fördern und fordern" beispielsweise auch bei Integrations- und Zuwanderungsfragen (Sprach- und Intergrationskurse etc.).

Bei meiner Argumentation, dass das bedingungslose Grundeinkommen in nationalstaatlich organisierten Ökonomien nicht funktioniert, geht es mir übrigens weniger um einen möglichen "Migrationsdruck" durch massive Einwanderung. Dies wäre wegen der hohen Konsumpreise, die durch die direkte Steuerfinanzierung des Grundeinkommens notwendig würden, des Rückbaus der Sozialsysteme und den damit einhergehenden hohen Lebenshaltungskosten eher unwahrscheinlich. Vielmehr befürchte ich, dass Finanzmittel aus dem Bereich des Grundeinkommen gewährenden Staates massiv in preiswertere bzw. lukrativere Konsum- und Investitionsstandorte abfließen würden, während staatliche Einnahmen massiv wegbrechen dürften.

Wie gesagt, ich schätze die Motive hinter der Idee des bedingungslosen Grundeinkommens - halte es aber für vollkommen unrealistisch. Ähnlich sieht es der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, der dem Modell des Solidarischen Bürgergeldes (einer Variante des Grundeinkommens) in seinem aktuellen Jahresgutachten ein ganzes - überaus lesenswertes - Kapitel (4.IV) widmet ( http://www.sachverstaendigenrat-wirtschaft.de/download/gutachten/jg07_iv.pdf ).

Das Fazit des Expertengremiums lautet: "Als Alternative zu den in den letzten Jahren erfolgten schrittweisen Reformen in den einzelnen Sozialversicherungszweigen wird von verschiedener Seite die Abschaffung der Sozialsysteme in ihrer bisherigen Form und die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens gefordert. Simulationsrechnungen für das Solidarische Bürgergeld zeigen, dass seine Einführung in der von seinem Urheber, dem thüringischen Ministerpräsidenten Althaus, vorgeschlagenen Form eine immense Finanzierungslücke von fast 230 Mrd Euro in den öffentlichen Haushalten hinterlassen würde. Modifiziert man das ursprüngliche Althaus-Konzept so, dass seine Finanzierbarkeit gewährleistet ist - das ist die Mindestanforderung, die an jedes ernst zu nehmende Konzept zu stellen ist - verliert der Vorschlag seine vordergründige Attraktivität."

Diese Kritik dürfte auch für die anderen - weniger konkreten - Ausgestaltungsmodelle des bedingungslosen Grundeinkommens gelten. Sobald mir diesbezüglich jedoch seriöse Machbarkeitsstudien zur Kenntnis gebracht werden, bin ich gerne bereit, meine Position zu überdenken.

Was die Frage nach der Automatisierung angeht, fürchte ich, dass es auf dem Weg in die Wissensgesellschaft keine Umkehr gibt. Nur auf Nachhaltigkeit abzielende technologische Innovationen können ausreichend neue Arbeitsplätze schaffen, die unsere internationale Konkurrenzfähigkeit sicherstellen. Allerdings müssen diese auch den ökologischen "Grenzen des Wachstums" gerecht werden, um unseren Globus nicht langfristig zu ruinieren. Die Erfolgsgeschichte der regenerativen Energien wäre ein Beispiel, wie so etwas gelingen kann. Um im Wettlauf um solche Produkte mithalten zu können gilt es, vor allem Menschen aus bildungsfernen Schichten zu motivieren und zu qualifizieren. Die zu geringen Studierendenzahlen und die geringe Durchlässigkeit unseres Bildungssystems für Kinder aus sozial schlechter gestellten Familien zeigen, dass es auf diesem Weg noch viel zu tun gibt. Ein gesichertes Grundeinkommen alleine ist nicht genug, um die Betroffenen aus ihrer wachsenden Abkopplung von der gesellschaftlichen Entwicklung zu befreien.

Mit freundlichen Grüßen

Martin Gerster

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