Frage an Martin Gerster von Thomas B. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Gerster,
momentan sieht es so aus, als ob in unserem Lande versucht wird, per Steuerrecht etlichen NGOs wie Change.org oder campact.org die Gemeinnützigkeit und somit deren finanziellen Grund zu entziehen, sie auszutrocknen,( sind sie denn gefährlich?)- wie stehen Sie dazu?
Mit freundlichen Grüßen
Th. B.
Sehr geehrter Herr B.,
vielen Dank für Ihre Frage zum Gemeinnützigkeitsrecht. Ich bin fest davon überzeugt, dass es sich bei den aktuellen Entscheidungen der Finanzämter nicht um eine "organisierte Aktion" handelt. Vielmehr weisen die Entscheidungen der Finanzämter und zum Beispiel das sog. "Attac-Urteil" vom 26. Februar die Schwachstellen des geltenden Gemeinnützigkeitsrechts auf. Vereine, die den Status der Gemeinnützigkeit er- bzw. behalten möchten, müssen ihre Aktivitäten auf die konkret im Gesetzestext genannten 25 Tätigkeitsbereiche beziehen. Diese sind §52 Abgabenordnung (AO) [https://www.gesetze-im-internet.de/ao_1977/__52.html] abschließend definiert. Darunter fällt zum Beispiel die Förderung von Kunst und Kultur (Nr. 5), des Naturschutzes (Nr. 8), oder der Entwicklungszusammenarbeit (Nr. 15). Die Verfolgung politischer Ziele, so der Bundesfinanzhof (BFH) zum Attac-Urteil, sei im Steuerrecht nicht gemeinnützig. Laut des BFH-Präsidenten Rudolf Mellinghoff dürfen gemeinnützige Organisationen zwar durchaus politisch aktiv sein. Ihr gemeinnütziger Zweck muss jedoch dabei im Vordergrund stehen. Politische Kampagnen quasi als "Selbstzweck" sein aber kein in der Abgabenordnung definierter Grund für eine Gemeinnützigkeit. So jedenfalls das oberste deutsche Finanzgericht.
Grundsätzlich halte ich es zunächst für wichtig, das deutsche Rechtsstaatsprinzip und die Gewaltenteilung zu achten. Der Justiz obliegt es weiterhin jeden Einzelfall gesondert zu betrachten und darüber zu entscheiden. Daraus resultierende Urteile habe ich zunächst einmal zu akzeptieren - auch wenn sie mir persönlich vielleicht nicht gefallen - und mich ansonsten für eine Gesetzesänderung einzusetzen.
Dies wollen wir als SPD. Das BFH-Urteil und die Entscheidungen der Finanzämter zeigen, dass der Katalog gemeinnütziger Zwecke in der Abgabenordnung zu eng gefasst ist. Ich persönlich erachte eine Erweiterung um beispielsweise die Zwecke "Einsatz für Grundrechte, Frieden, Klimaschutz oder Steuergerechtigkeit" als sachgerecht. Im Koalitionsvertrag mit CDU/CSU haben wir vereinbart, dass wir das Gemeinnützigkeitsrecht verbessern wollen, um die Kultur zivilgesellschaftlichen Engagements und Ehrenamts zu fördern und zu stärken. Daran werden wir unseren Koalitionspartner erinnern.
Leider wird eine Änderung in diesem Bereich dennoch nicht einfach, da die verschiedenen Parteien unterschiedliche Vorstellung davon haben, welche Zwecke als gemeinnützig einzustufen sind und welche nicht. Dazu erinnere ich bspw. an die Kritik von CDU/CSU und FDP an der "Deutschen Umwelthilfe".
Ich setze mich daher dafür ein, dass demokratiefördernde Kampagnenplattformen auch finanziell weiterhin Bestand haben können.
Mit freundlichen Grüßen
Martin Gerster