Frage an Martin Gerster von Wolfgang R. bezüglich Finanzen
Sehr geehrter Herr Gerster!
In der Monitor-Sendung vom 4.2. und ARD Dokumentation vom 15.2. „Wie solidarisch ist Deutschland?“, wird über die zunehmende Kluft zwischen Arm und Reich berichtet, wobei Deutschland die Europäische Spitzenposition einnimmt. Die Regierungsparteien sind dafür verantwortlich, denn sie haben in den letzten ca. 15 Jahren dafür gesorgt, dass Reichen durch verschiedene Steueränderungen immer reicher werden, Arme aber arm bleiben und die „Mitte“ gegen den Abstieg kämpft. Diese Entwicklung ist ein sozialer Sprengstoff, der zur Entstehung des 4. Reiches führen könnte. Wie sehen Sie das? In der Story im Ersten vom 15.2. „Milliarden für Millionäre“ wird berichtet, dass dubiose Cum-Ex-Aktien-Deals durch Gesetzeslücken zu Lasten des Fiskus stattfanden. Obwohl es den Finanzministern seit über 10 Jahren bekannt ist, wurde die Gesetzeslücke nicht geschlossen. In einem Artikel der Zeitschrift „Die Welt“ wird berichtet, dass den Krankenkassen durch Flüchtlinge ein Milliardendefizit entsteht, weil die Regierung nur etwa die Hälfte der Kosten übernimmt. Das führt zu Beitragserhöhungen, welche die Reichen nicht belastet. In der Flüchtlingsfinanzierung haben CDU-Mitglieder eine Erhöhung der Mehrwertsteuer vorgeschlagen, was natürlich die ärmere Bevölkerung am meisten belastet. Laut Grundgesetz (Art. 14 GG) verpflichtet das Eigentum zu sozialer Verantwortung. Was hält Ihre Partei davon, die Reichen wenigsten in diesem Fall einmal mehr zu belasten? Bitte erklären Sie mir, warum Ihre Partei es gut für unser Land und das Volk findet, dass nur die Reichen immer wohlhabender werden? Die Reichen können im Gegensatz zum Normalbürger ihre Geldmengen gar nicht in den Konsum leiten, was nachteilig für die Wirtschaft und Steuereinnahmen ist. Wie sehen Sie das? Wenn es keine triftigen Argumente gibt, gehe ich davon aus, dass Politiker durch ihre Handlungsweise zu Gunsten der Reichen, davon profitieren.
Mit freundlichen Grüßen,
Wolfgang Richter
Sehr geehrter Herr Richter,
vielen Dank für Ihre Frage. Ich stimme Ihnen zu, dass die aktuelle Verteilungsentwicklung des gesellschaftlichen Wohlstands in Deutschland problematisch ist. Gleichzeitig meine ich, dass Ihre Kritik zu pauschal ist. Denn neben der ungleicher werdenden Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums ist doch fairerweise auch festzuhalten, dass Deutschland die wirtschaftlichen Turbulenzen der vergangenen Jahre wesentlich besser überstanden hat, als viele andere europäische Volkswirtschaften. Wir konnten im vergangenen Jahr einen Beschäftigungsrekord verzeichnen. Der Grundstein dafür wurde in den Jahren unter Gerhard Schröder gelegt und auch wenn es in vielen Einzelpunkten Korrekturbedarf gab, besteht unter Fachleuten weitgehend Einigkeit, dass die unter Rot-Grün ergriffenen Reformen den Grundstein für Konsolidierung des damals kränkelnden Wirtschaftsstandortes Deutschland gelegt haben.
Wenn Sie an den vergangenen Bundestagswahlkampf zurückdenken, werden Sie feststellen, dass die SPD damals mit einem umfassenden Steuer- und Finanzkonzept angetreten ist, das u. a. eine Anhebung des Spitzensteuersatzes für Gutverdienende, die Wiedereinführung der Vermögensteuer, die Heraufsetzung der Abgeltungsteuer für Kapitalerträge sowie eine Finanztransaktionssteuer beinhaltete. Wahlsieger wurde die Union, deren zentrales Wahlversprechen der Verzicht auf Steuererhöhungen war und der diese Festlegung angesichts der gegebenen Mehrheitsverhältnisse auch in den Koalitionsverhandlungen durchsetzen konnte. Im Gegenzug wiederum konnte die SPD u. a. die Einführung des mittlerweile geltenden Mindestlohns durchsetzen, der vor allem Menschen mit sehr niedrigen Einkommen hilft - und gegen den von Seiten der Arbeitgeber massiv polemisiert wurde.
Ohne dem kommenden Wahlkampf vorzugreifen würde ich also sagen, dass es innerhalb der SPD nicht am Willen mangelt, die Aufwendungen zur Finanzierung einer solidarischen Gesellschaft so auszugestalten, dass die wirklich starken Schultern auch größere Lasten tragen müssen. Es liegt aber letztlich in der Hand der Wählerinnen und Wähler für politische Konstellationen zu sorgen, in denen dieser Willen auch unverwässertes Regierungsprogramm werden kann.
Nebenbei: Inwiefern sich die Spekulationen zur Belastung der Krankenkassen durch Flüchtlinge bewahrheiten, ist meiner Ansicht nach gegenwärtig nicht seriös zu beantworten. Je nachdem wie gut es gelingt, die zu uns kommenden Menschen in den Arbeitsmarkt zu integrieren, können sich auch gänzlich andere Effekte einstellen. Klar ist, dass sowohl unsere Konzepte zur Finanzierung des Gesundheitssystems als auch unsere Vorstellungen bezüglich eines fairen Steuersystems – einschließlich der Bekämpfung von Steuervermeidung – deutlich von denen unseres Koalitionspartners abweichen. Zugunsten der Schwächeren und zuungunsten der wirtschaftlich Privilegierten in unserer Gesellschaft.
Mit freundlichen Grüßen
Martin Gerster