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Martin Gerster
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Frage von Michael K. •

Frage an Martin Gerster von Michael K. bezüglich Finanzen

Sehr geehrter Herr Gerster,

auf Grund eines Artikels in den STN, bzgl. der Schlechterstellung von Altverträgen bei der Lebensversicherung, sind wir bei unserer Recherche auf den Finanzausschuss gestoßen.
Wie in der Drucks.17/11395 dargelegt, hegten Sie bzw. die SPD nach den Anhörungen durchaus Zweifel, was Sie jedoch nicht davon abhielt, den Beschluss durch Stimmenthaltung dennoch durchzuwinken.
Was den konkreten Fall anbelangt, skizzieren wir Ihnen gerne die konkreten Folgen Ihres Tuns:
Um die noch junge Familie abzusichern und um Vorsorge fürs Alter zu treffen, haben wir 1978 und 1989 2 Lebensversicherungen abgeschlossen, fällig jeweils 2014. Die prognostizierten Ablaufsummen waren 120 tDM und 200 tDM, wobei behauptet wurde, dass diese Nenn-Beträge nach aller Erfahrung am Ende weit übertroffen werden. Die garantierten Beträge sind nun 2012 auf mittlerweile 57.000 EUR und 68.000 EUR zusammengeschmolzen. Die noch nicht garantierten Leistungen, die bei inkrafttreten Ihrer Beschlüsse enfallen, betragen 6.000 EUR und 10.000 EUR. Diese Einbußen von 16.000 EUR sind für uns sehr viel Geld. Eine weitere Gemeinheit ist, diese Änderungen so kurzfristig umsetzen zu wollen, dass für den Bürger keine Möglichkeit besteht, entsprechend zu reagieren und zur Schadensbegrenzung evtl. vorzeitig zu kündigen.
Hier wird man tatsächlich um die Früchte seiner persönlichen Vorsorge betrogen. Die Versicherungen machen weiterhin Milliarden-Gewinne und schicken ihre Mitarbeiter auf Incentive-Lustreisen - der kleine Bürger aber, der versucht sich für´s Alter einigermaßen abzusichern, muss das bezahlen.
Der jüngeren Generation kann man nur raten, im Moment zu leben - blauäugige Vorsorge wird, obwohl sie dringend notwendig wäre, durch die Politik nur bestaft.
Warum haben Sie nicht, wie Ihre linken und grünen Oppositions-Kollegen auch, dagegen gestimmt?
Konnten Sie solche Auswirkungen wirklich nicht absehen?
Wir bitten um Ihre Stellungnahme.

Mit besten Grüßen,
H. K.
Michael Kohler

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Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr Kohler,

vielen Dank für Ihre kritische Nachfrage. Es ist nicht immer leicht, mit einem Stimmverhalten, das sich auf die drei Optionen Zustimmung, Enthaltung und Ablehnung beschränkt, die komplexen Abwägungen hinter dem getroffenen Votum deutlich zu machen. Im Falle des von Ihnen thematisierten Gesetzesvorhabens gilt dies in besonderem Maße, da hier - wie Sie der erwähnten Drucksache entnehmen können - sachfremde Themenkomplexe innerhalb eines einzelnen Gesetzgebungsprozesses gebündelt wurden.

Tatsache ist, dass durch die auch von Ihnen kritisierten Änderungen ein an sich unproblematisches Gesetz für die SPD-Bundestagsfraktion nicht mehr zustimmungsfähig gemacht wurde. Da wir das Grundanliegen eines einheitlichen europäischen Zahlungsmarktes (SEPA) jedoch mittragen, stand eine Ablehnung des Gesamtgesetzes nicht zur Debatte. Vom "Durchwinken" kann angesichts der von Seiten meiner Fraktion geäußerten Kritik aber auch keine Rede sein. Übrigens hätte selbst eine Ablehnung unsererseits das Gesetz nicht verhindert, da es mit der Koalitionsmehrheit im Ausschuss beschlossen wurde.

Auf dieser Klarstellung aufbauend, möchte ich gerne detailliert darauf eingehen, warum wir uns auch mit Blick auf den Änderungsantrag zum VAG für eine Enthaltung entschieden haben und wie wir diese Position in den Gesetzesberatungen begründet haben.

Zunächst einmal sind aus unserer Sicht keineswegs alle mit dem Antrag vorgenommenen Änderungen verfehlt. So halten wir die Regelungen zur Umsetzung des Unisex-Urteils zur Gleichbehandlung von Frauen und Männern des EuGH für in Ordnung.

Weiterhin stellt das aktuelle Niedrigzinsumfeld die deutschen Versicherer unstreitig vor eine wachsende Herausforderung. Nicht nachvollziehbar ist aber, warum die von CDU/CSU und FDP angestrebte Stabilisierung der deutschen Lebensversicherungsunternehmen ausschließlich über Vermögensumschichtungen zwischen den verschiedenen Versichertengruppen erfolgen sollte. Das Interesse der Versicherungskunden, die ihr Vermögen im Vertrauen auf die Sicherheit und Rentabilität in Lebensversicherungen angelegt haben, wird damit nicht hinreichend berücksichtigt.

Wie folgt wirken sich dabei die problematischen Neuregelungen im Bereich der Lebensversicherung für die Verbraucherinnen und Verbraucher aus:

• Laut Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 26. Juli 2005 sind die Versicherungsnehmer an den durch ihre Prämienzahlungen geschaffenen Vermögenswerten angemessen zu beteiligen. Hierzu gehören unter anderem die Bewertungsreserven aus der Differenz zwischen dem Markt- und dem Buchwert der Kapitalanlagen. Bisher ist deshalb bei Vertragsende an die Kunden die Hälfte der ihnen zugeordneten Bewertungsreserven auszuzahlen.

• Für Bewertungsreserven auf Aktien und Immobilien gilt das auch weiterhin. Eingeschränkt wird künftig aber die Beteiligung der ausscheidenden Versicherungsnehmer an den Bewertungsreserven aus festverzinslichen Papieren, die in der Praxis den Großteil der Kapitalanlagen der Versicherer ausmachen. Nunmehr ist rechnerisch zunächst zu prüfen, ob und gegebenenfalls inwieweit ein Versicherungsunternehmen diese Reserven zur Sicherstellung der dauernden Erfüllbarkeit der Verpflichtungen aus den verbleibenden Versicherungsverträgen benötigt. In dem Umfang, in dem dies in Niedrigzinsphasen - wie derzeit - der Fall ist, entfällt eine Auszahlung und die Bewertungsreserven verbleiben im Unternehmen zugunsten der Versichertengemeinschaft. Nach Meinung der Bundesregierung wird dadurch ein fairer Interessenausgleich zwischen den ausscheidenden und den verbleibenden Kunden erreicht.

• Mit der Einführung des europäischen Binnenmarktes für Versicherungen erfolgte in Deutschland eine Trennung zwischen den Bestandsversicherungen, die bis Mitte 1994 abgeschlossen wurden, und den nachfolgenden neuen Versicherungsverträgen. Die damals vorhandenen Rückstellungen für Beitragsrückerstattungen (RfB) wurden vollumfänglich dem Altbestand zugeordnet und haben sich - im Vergleich zu den RfB des Neubestands - überproportional gut entwickelt. Die Funktion der RfB, die Überschussbeteiligung für die Kunden zu stabilisieren und der Garantiezusagen der Versicherer zu sichern, beschränkt sich damit auf die jeweiligen Teilbestände.

• Aus Mitteln des Altbestands und künftig anfallenden Überschüssen müssen die Unternehmen nunmehr einen dritten kollektiven RfB-Teil bilden, der die Risikotragfähigkeit des gesamten Versicherungsbestands - unabhängig vom Zeitpunkt des Vertragsabschlusses - sichern soll. Durch diese Teilkollektivierung der RfB soll einer Ungleichbehandlung der Versicherungsnehmer entgegengewirkt werden. Tendenziell verringert dies die Überschussbeteiligungen der Versicherten mit Altverträgen vor 1994.

Sowohl die Neuregelung der Beteiligung an den Bewertungsreserven als auch die Teilkollektivierung der RfB belasten daher einseitig die Versicherungsnehmer. Eine Kompensation hierfür wurde von der Bundesregierung offenbar weder angedacht noch geprüft. Denkbar wäre es etwa, die Versicherten stärker an den kapitalmarktunabhängigen Gewinnen wie den Kosten- und Risikogewinnen zu beteiligen. Wenn sich die Versicherungsnehmer mit einer geringeren Beteiligung an den Vermögenswerten begnügen sollen, die mit ihren Beiträgen geschaffen wurden, müssen nach Ansicht der SPD zumindest auch die Unternehmen selbst einen Beitrag zur langfristigen Finanzierbarkeit der Versicherungsverträge leisten.

Die Bundesregierung bestritt vehement, dass die Lebensversicherungen, die kurz nach Inkrafttreten der Neuregelungen ausgezahlt werden, durch den Wegfall von Bewertungsreserven deutlich verringert werden. Diese Einschätzung teilen wir nicht. Ob die Rechtsänderungen mit dem einschlägigen Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 2005 noch vereinbar sind, muss gegebenenfalls auf dem Rechtsweg geklärt werden.

Daraufhin erklärten Bundesregierung und Koalitionsfraktionen in der Sitzung des Finanzausschusses am 12. Dezember 2012, dass derart große Einschnitte für einzelne Versicherte nicht beabsichtigt gewesen seien. Das Bundesfinanzministerium kündigte an, die Abschläge - bezogen auf das jeweilige Unternehmen - per Rechtsverordnung auf durchschnittlich fünf Prozent der auszuzahlenden Versicherungsleistungen zu deckeln. Mit dieser Regelung sollen die Kürzungen für den einzelnen Versicherungsnehmer auf unter zehn Prozent begrenzt und somit „Härten“ vermieden werden. Die BaFin sagte zu, bei Bedarf im Wege der Missstandsaufsicht tätig zu werden, und kündigte außerdem an, die Umsetzung der Neuregelungen durch die Versicherer zu kontrollieren.

Die Erkenntnis, dass sich Bundesregierung und Koalitionsfraktionen der Konsequenzen ihrer Gesetzgebung für die Bürgerinnen und Bürger nicht bewusst waren, ist erschreckend. Doch mit diesem Eingeständnis von CDU/CSU und FDP sind die grundsätzlichen Einwände der SPD-Bundestagsfraktion nicht erledigt. Höchst bedenklich ist außerdem, dass die Regierung - und nicht der Gesetzgeber selbst - gerade beschlossene Rechtsänderungen noch vor ihrem Inkrafttreten korrigiert. Wir haben deshalb im Finanzausschuss gefordert, das Versicherungsaufsichtsgesetz im Frühjahr 2013 erneut auf den Prüfstand zu stellen und nach sorgfältiger Folgenabwägung notwendige Änderungen nachzuholen.

Auf Antrag der SPD-regierten Länder Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg und Rheinland-Pfalz rief der Bundesrat am 14. Dezember 2012 den Vermittlungsausschuss zum SEPA-Begleitgesetz an. Damit konnten die Änderungen des VAG nicht wie geplant am 21. Dezember 2012 in Kraft treten. Die Vertreter der SPD werden sich in den anstehenden Verhandlungen für die berechtigten Interessen der Verbraucherinnen und Verbraucher einsetzen.

Ich hoffe, Ihnen mit diesen Ausführungen deutlich gemacht zu haben, welche Abwägungen wir mit unserem Stimmverhalten zum Ausdruck bringen wollten und wie wir darüber hinaus versuchen, die Fehlentscheidung der Bundesregierung zu korrigieren.

Mit freundlichen Grüßen

Martin Gerster

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