Frage an Martin Gerster von Walter T. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen
Guten Tag Herr Gerster,
mir fällt (unangenehm) auf, dass Sie die KRIEGS-Einsätze der Bundeswehr bei allen Abstimmungen im Deutschen Bundestag immer befürwortet haben.
Glauben Sie allen Ernstes, dass die Bundesrepublik am Hindukusch verteidigt wird? Was sagen Sie den Angehörigen der Soldaten, die in Afghanistan fallen und im Zinksarg nach Deutschland zurückkommen? Ein paar leere und nichtssagende Worte, die die Toten nicht wieder lebendig machen? Das, was Sie und die meisten Ihrer "Genossen" hier veranstalten, hat mit der SOZIALdemokratie, die ich bis 1995 immer gewählt habe, nichts mehr zu tun.
Walter Tritschler
88400 Biberach
PS. Abschliessende Frage eines neugierigen Biber-Schwaben: Haben Sie selbst eigentlich auch mal Uniform getragen, also Wehrdienst geleistet?
Sehr geehrter Herr Tritschler,
auch für diese Zuschrift vielen Dank. Um Ihren letzten Punkt zuerst aufzugreifen: Nein, ich habe vor 20 Jahren den Wehrdienst verweigert und würde dies aus persönlichen Überzeugungen wieder so handhaben. Kurz vor Antritt meines Zivildienstes wurde ich allerdings bei der Nachmusterung vom Kreiswehrersatzamt als „T5“ eingestuft, sodass ich bedauerlicherweise den Dienst nicht antreten konnte, obwohl mir bereits eine Stellenzusage vorlag.
Seit die Frage nach Wehr-/oder Zivildienst für mich zur Entscheidung anstand, hat sich die geopolitische Lage unseres Landes jedoch massiv verändert und die Bundeswehr mit ihr. Der Kalte Krieg ist Vergangenheit, die Ausrichtung der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik musste sich einer Gegenwart orientieren, in der neue Akteure und Konflikte die internationale Politik bestimmen. Das von Peter Struck geprägte Schlagwort von der Verteidigung Deutschlands am Hindukusch mag griffig und aus journalistischer Sicht gefällig sein, mir erscheint es angesichts der Ernsthaftigkeit und Komplexität des Themas für eine vernünftige Diskussion eher ungeeignet.
Wie schon an anderer Stelle http://www.abgeordnetenwatch.de/martin_gerster-575-37590.html#questions deutlich gemacht, bin ich mir der Risiken der entsprechenden Einsätze durchaus bewusst und hoffe inständig, dass der Konflikt keine weiteren deutschen Opfer fordert und sich der Stabilisierungsprozess in Afghanistan erfolgreich entwickelt. Ich kann jedoch nicht ignorieren, dass sich dessen Ausgang in der Tat auf die Sicherheitslage in Deutschland auswirkt. Und genau deshalb erscheint mir ein durchaus wünschenswerter Abzug der deutschen Kontingente nur unter der Bedingung erstrebenswert, dass das Land nicht im Chaos versinkt und erneut zu einer Zuflucht für den internationalen Terrorismus wird. Würde dieser auch in Deutschland Opfer fordern, hätte auch ich einen Teil dieser Verantwortung zu tragen.
Tatsache ist: In sicherheitspolitischen Fragen wie dieser stehen stets Menschenleben im In- und Ausland auf dem Spiel und Ereignisse wie die Tragödie von Kunduz zeigen, dass auch Unschuldige zu Opfern werden können. Die Abstimmungen über Militäreinsätze unter deutscher Beteiligung, gehörten deshalb zu den schwierigsten und ambivalentesten Entscheidungen, die ich als Abgeordneter und Sozialdemokrat zu fällen hatte. Ich habe es mir nie leicht gemacht zuzustimmen und immer gründlich abgewogen, ob mich die zur Verfügung stehenden Informationen zu Zielen und Risiken von der Notwendigkeit der entsprechenden Einsätze überzeugen konnten. In der vergangenen Legislaturperiode habe ich am 09.03.2007 deshalb beispielsweise mit “Nein“ gestimmt, als es um den Einsatz von Tornados zur Luftaufklärung ging, bei der ich eine unsaubere Abgrenzung von der Operation Enduring Freedom (OEF) befürchtete. Insofern ist Ihre der Frage zugrundeliegende Prämisse bezüglich meines Abstimmungsverhaltens unzutreffend.
So sehr ich ihre pazifistischen Grundansichten teile, so sehr habe ich versucht, bei den entsprechenden Abstimmungen nach bestem Wissen und Gewissen verantwortungsvoll zu entscheiden. Deshalb eine persönliche Bitte: In den vergangenen Jahren habe ich Sie in verschiedenen Funktionen und durch verschiedene Aktivitäten als sehr engagierten und meinungsstarken Menschen kennenglernt und schätze Sie sehr. Ich bitte Sie jedoch, bei der Bewertung meiner Arbeit und hier ganz konkret meines Abstimmungsverhaltens so differenziert zu urteilen, wie ich es auch von mir selbst erwarte.
Ob und inwiefern ich den Einsatz in Afghanistan bei zukünftigen Abstimmungen weiter unterstützen werde, habe ich noch nicht entschieden. Das Informationsverhalten von Minister Jung, durch den dem Parlament wichtige Informationen (möglicherweise gezielt) vorenthalten wurden, hat mich schwer enttäuscht. Mein Vertrauen in die politisch Verantwortlichen im Bundesministerium der Verteidigung ist deutlich gesunken.
Mit freundlichen Grüßen
Martin Gerster