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Frage von Felix F. •

Frage an Martin Burkert von Felix F. bezüglich Bundestag

Was halten Sie von der EU-Verfassung? Haben bzw.haetten Sie ebenfalls dafuer gestimmt, wie nahezu alle Abgeordneten, oder haetten Sie auch einmal einen kritischen Blick in dieses Werk geworfen? Was sagen Sie zum Beispiel dazu, dass kein einziger befragter Abgeordneter, der von "Frontal" befragt wurde, wusste, welche Politikbereiche vollstaendig in die Entscheidungsbefugnis der EU uebergehen, wobei die meisten sogar meinten, dies wuerde gar nicht geschehen? Und wie rechtfertigen Sie, wenn Sie dieser Verfassung zustimmen, dass eine Entdemokratisierung durch die Verletzung der Gleichheit der Wahl stattfindet?

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Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr Faulhaber,

haben Sie vielen Dank für Ihre Email vom 3. August 2005 über das Forum kandidatenwatch.de. Sie sprechen in Ihrer Email Ihre Sorge darüber an, dass mit der EU-Verfassung eine Entdemokratisierung einhergeht. Diese Bedenken kann ich Ihnen nehmen, da genau das Gegenteil der Fall ist. Erlauben Sie mir, dass ich Ihnen im Folgen-den, die wichtigsten Punkte erläutere:

1. Das europäische Parlament wird gestärkt

Durch die EU-Verfassung wird das Europäische Parlament als Mitgesetzgeber erheblich gestärkt. Das bisherige Mitentscheidungsverfahren wird – als sogenanntes „ordentliches Gesetzge-bungsverfahren“ – zum Regelverfahren im Bereich der EU-Gesetzgebung. Die Mitentscheidungsrechte des Parlaments wurden fast unverändert aus dem Entwurf des Europäischen Konvents übernommen. Sie sind mehr als verdoppelt. In 80% der Fälle kann künftig kein Gesetz der EU gegen den Willen des Europäischen Parlaments beschlossen werden. Außerdem sieht die EU-Verfassung eine Öffnungsklausel vor, mit der künftig in weiteren europäischen Gesetzgebungsfeldern das Europäische Parlament zum gleichberechtigten Mitgesetzgeber werden kann.

Besonders gestärkt wurde die Rolle des Europäischen Parlaments als Mitgesetzgeber und demokratischer Kontrolleur im Bereich „Freiheit, Sicherheit, Recht“. In den wichtigen Bereichen Asyl (Art. III-266), Einwanderung (Art. III-267), Eurojust (Art. III-273), Europol (Art. III-276), polizeiliche Zusammenarbeit (Art. III-275, Abs. 2) sah der Vertrag von Nizza lediglich ein einfaches Stellungnahmerecht des Europäischen Parlaments vor. Mit der EU-Verfassung wird es auch hier zum gleichberechtigten Mitgesetzgeber.

Zu den weiteren wichtigen Politikbereichen, in denen das Europäische Parlament gemäß EU-Verfassung künftig auf gleicher Außenhöhe mit dem Rat agieren kann, zählt u.a. auch die Gemeinsame Agrarpolitik (Art. III-231, Abs. 2). Auch hier hatte das EP bis-lang lediglich das Recht zur einfachen Stellungnahme. Schon heute ist das Europäische Parlament im Bereich des Binnenmarktes, ge-meinsam mit dem Rat, Gesetzgeber der Europäischen Union.

Darüber hinaus werden die bisherigen Rechte des Europäischen Parlaments beispielsweise in den folgenden Feldern nachhaltig gestärkt: Strukturfonds und Kohäsionsfonds - ab 2007 - (Art.III-223), Handelspolitik - Umsetzungsmaßnahmen (Art. III-315 Absatz 2), Wirtschaftliche, finanzielle und technische Zusammenarbeit mit Drittländern (Art. III 319 Absatz 2), Festlegung der Finanzvor-schriften - ab 2007 - (Art.III-412 Abs. 1)

Zudem wird das Europäische Parlament künftig eine größere Rolle bei der Wahl des Präsidenten der Europäischen Kommission spielen. Bislang wurde dieser von den Regierungen der Mitgliedstaaten ernannt. Damit werden das EP gestärkt und die Europawahlen aufgewertet. Europas Bürgerinnen und Bürger erhalten bei den Eu-ropawahlen dann eine echte Wahl zwischen unterschiedlichen Programmen und Persönlichkeiten. Dadurch wird schließlich auch die demokratische Legitimation des EU-Kommissionspräsidenten erheblich verbessert.

2. Das Europäische Parlament und das Initiativrecht in der EU

Es gehört zu den Eigenheiten des politischen Systems der Europäi-schen Union, dass allein die Europäische Kommission das Recht besitzt, EU-Gesetzgebungsakte zu initiieren. Dieses Initiativmonopol hat seinen Ursprung in der Gründungsphase der Europäischen Union. Im Wesentlichen soll es das Gemeinschaftsinteresse schüt-zen und die Anliegen kleinerer Mitgliedstaaten wahren. Die Tatsache, dass das Europäische Parlament weiterhin nicht über ein Initiativrecht für EU-Gesetzgebungsakte verfügt, hängt zusammen mit dem besonderen Charakter der Europäischen Union als Bürger- und Staatenunion. In der EU ist die klassische Gewal-tenteilung, die wir in den europäischen Nationalstaaten kennen, und die eine mehr oder weniger klare Trennung von Judikative, Exekutive und Legislative vorsieht, so nicht gegeben. Es handelt sich vielmehr um eine einzigartige Form des Zusammenwirkens von Europäischem Parlament, Rat und EU-Kommission. Vor diesem Hintergrund wird die Frage eines Initiativrechts für das Euro-päische Parlament auch in diesem selbst kontrovers diskutiert. Letztlich hat sich das Europäische Parlament aber bislang stets mit überwältigender Mehrheit für die Beibehaltung des Initiativmonopols der Kommission ausgesprochen. Denn dies gerade vor dem Hintergrund der Begehrlichkeiten der EU-Mitgliedstaaten die beste ist Gewähr dafür, dass sich am Ende europäische Gemeinschafts- und nicht nationale Partikularinteressen durchsetzen.

Das Europäische Parlament hat ein eigenes Selbstverständnis von seiner Rolle als Kontrolleur der Arbeit von Kommission und Rat sowie als gleichberechtigter Mitgesetzgeber gemeinsam mit dem Rat entwickelt. Sollte sich das politische System der EU in Zukunft weiter in Richtung eines (Bundes-)Staates mit föderalen Strukturen, einer gemeinsamen Finanzverfassung und einer klassi-schen Gewaltenteilung entwickeln, wird sicherlich auch das Euro-päische Parlament ein eigenes Initiativrecht einfordern und erhalten.

3. Die nationalen Parlamente werden gestärkt

Auch auf nationaler Ebene wird das Demokratieprinzip gestärkt. In der Europäischen Verfassung werden die besondere Rolle und die Bedeutung der nationalen Parlamente und ihrer Rechte bei der Gestaltung europäischer Politik hervorgehoben. Die nationalen Parlamente, in Deutschland auch der Bundesrat, erhalten ein neuartiges politisches „Frühwarnsystem“ und die Möglichkeit, gegen zu weitgehende EU-Vorhaben zu klagen (Subsidiaritätsklage).

4. Der Deutsche Bundestag wird gestärkt

Der Vertrag über eine Verfassung eröffnet neue Beteiligungsmöglichkeiten für die nationalen Parlamente. Der Deutsche Bundestag will diese Chancen offensiv und konstruktiv nutzen. Daher haben die Koalitionsfraktionen im Zuge der Ratifizierung der EU-Verfassung ein Begleitgesetz zur Stärkung und Ausweitung der Rechte des Deutschen Bundestages in Angelegenheiten der Euro-päischen Union vorgelegt. Maßgeblich geht es um die Kontrolle der Subsidiarität durch nationale Parlamente. Die EU hat nur dann gesetzgeberisch tätig zu werden, wenn sie im Rahmen ihrer Zu-ständigkeiten besser zu handeln in der Lage ist als Mitgliedstaaten, Regionen oder Kommunen. Diesem Recht steht aber die Pflicht des Bundestages gegenüber, sich innerstaatlich sorgfältig, umfassend und frühzeitig in die europapolitischen Entscheidungsprozes-se einzubringen.

Neue Informationspflichten der Bundesregierung gegenüber Bundestag Zukünftig muss die Bundesregierung alle Entwürfe für Europäi-sche Gesetzgebungsakte, Standpunkte von Europäischem Parlament und Rat im Gesetzgebungsverfahren sowie alle Dokumente der EU-Kommission frühest möglich und umfassend dem Bundestag zuleiten. Die Bundesregierung ist angehalten, den Bundestag und seine Ausschüsse kontinuierlich über Gesetzesinitiativen der EU zu unterrichten und zeitnah entsprechende Bewertungen und Stellungnahmen vorzulegen. Der Bundestag soll nicht mit Informationen überfrachtet, sondern problem- und zielorientiert in europäische Gesetzgebungsprozesse eingebunden werden.

Subsidiaritätsrüge
Der Bundestag hat zukünftig ein Rügerecht bei vermuteten Verstößen gegen das Subsidiaritätsprinzip. Dieses Prinzip soll garantieren, dass die EU in Bereichen ihrer nicht ausschließlichen Zuständigkeit nur tätig wird, sofern und soweit die Ziele der geplanten Maßnahmen weder von Mitgliedstaaten noch Regionen oder Kommunen ausreichend verwirklicht werden können. Sowohl Bundestag als auch Bundesrat können durch Stellungnahmen binnen einer Sechswochenfrist nach Übermittlung eines Gesetzge-bungsentwurfs gegenüber den EU-Organen einen Verstoß rügen. Damit stehen Kommission, EP und Ministerrat in der Pflicht, berechtigten Bedenken der nationalen Parlamente Rechnung zu tragen und in ihre Überlegungen einfließen zu lassen.

Subsidiaritätsklage
Mit dem geplanten Begleitgesetz wird die Bundesregierung verpflichtet, zukünftig den Bundestag umgehend und umfassend zu informieren, wenn die EU ihren Gesetzgebungsprozess abgeschlossen hat. Einerseits werden wir damit besser erkennen kön-nen, was an neuen EU-Regelungen für Deutschland hinzukommt, insbesondere was durch den Bundestag innerstaatlich umzusetzen ist. Anderseits eröffnet die Verfassung sowohl Bundestag als auch Bundesrat die Möglichkeit zu klagen, wenn sie Bedenken haben, das endgültig beschlossene Europäische Gesetz verstoße gegen das Subsidiaritätsprinzip. Da die Klage innerhalb von zwei Monaten beim Europäischen Gerichtshof zu erheben ist, braucht der Bundestag zwingend die nun vorgesehene schnelle Information durch die Regierung.

Brückenklausel
Die EU-Verfassung beinhaltet noch immer eine ganze Zahl von Politikfeldern, in denen im Rat auch zukünftig einstimmig zu entscheiden ist. Um jedoch ohne aufwändige Verfassungsänderungen den Übergang von der Einstimmigkeit in die qualifizierte Mehrheit möglich zu machen, kann der Europäische Rat die Initiative ergreifen, dass im Ministerrat zukünftig mit qualifizierter Mehrheit entschieden wird. Damit könnten in einer immer größer werdenden EU Blockaden überwunden werden. Jedoch steht allen nationalen Parlamenten innerhalb von sechs Monaten dagegen ein Vetorecht zu. Sollte ein einziges Parlament Widerspruch einlegen, wäre die Initiative des Europäischen Rates gescheitert. Bundestag und Bun-desrat steht gemeinsam innerhalb von sechs Monaten ein Vetorecht zu.

Ich hoffe, dass ich Sie mit meinen – hoffentlich nicht zu ausführlichen – Erläuterungen zufrieden stellen konnte.

Selbstverständlich können Sie sich jederzeit wieder an wenden, falls Sie noch Fragen haben.

Mit freundlichen Grüßen

Martin Burkert, Stadtrat