Frage an Marlies Volkmer von Jens H. bezüglich Soziale Sicherung
Sehr geehrte Frau Dr. Volkmer,
Nehmen wir an, dass ich eine 30% ige Kürzung der Leistung für 3 Monate erhalte… Alleine diese 1. Stufe der Leistungskürzung würde für mich bedeutet, dass nur noch die Fixkosten (Miete; Strom; Telefon; Monatskarte; Versicherungen usw.) abgedeckt wären. Somit wären 0 € zum Leben (Nahrungsmittel) vorhanden. Sicherlich könnte ich Ersatzleistungen (ich nenne dies mal „Lebensmittelkarten“) beantragen, aber dies nur als Vorschuss. Somit hätte ich dann die nächsten Monate 40 oder 50 % Kürzung oder statt 3 Monate 6 Monate ca. 30% weniger, da ich ja die „Lebensmittelkarten“ zurückzahlen muss. In diesem Fall muss ich entweder noch mehr bei der ARGE „borgen“ bzw. ab dem 4. Monat wieder „Lebensmittelkarten“ beantragen. Also doch: „Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen" oder „entweder essen oder Miete zahlen“. Nehmen wir an, dass ich eine Leistungskürzung erhalte und den darauf folgenden Monat eine Arbeitsstelle finde … Zu erwarten ist, dass ich ca. 1,5 Monate später mein erstes Geld vom neuen Arbeitgeber erhalte. Somit habe ich weder Geld für Nahrungsmittel noch Geld, um überhaupt zur Arbeit fahren zu können.
Kein Geld für Arbeitsbekleidung, kein Geld für sonstige Ausgaben bezüglich der neuen Arbeitsstelle. Haben Sie eine Lösung?
Mindestlohn Viele meiner Teilnehmer in meinen Seminaren erzählen mir, dass das Lohnniveau z. B. bei Zeitarbeitsfirmen (als Helfer) bei ca. 5,20 € bis 5,40 € liegt. Somit steht schon eindeutig fest, dass zusätzlich Harz IV beantragt werden muss, da der Arbeitslohn weit unter den Leistungen von Harz IV liegt. Es steht zu 100% fest, dass man bei Ausübung einer Arbeit Mehraufwand hat. Sei es das Fahrgeld, sei es die Tatsache, dass auch einen zusätzlich Bedarf an Nahrungsmittel besteht. Da gilt der Spruch: „ wer nicht zu essen hat, der kann auch nicht arbeiten“. Es ist nun mal so, dass man zu Hause, wenn man nicht arbeitet, weniger Bedarf an Nahrungsmittel hat. Würden Sie arbeiten gehen?
MFG Jens Heiling
Sehr geehrter Herr Heiling,
vielen Dank für Ihre Fragen auf abgeordnetenwatch.
Zur Kürzung der Grundsicherung für Arbeitsuchende ist die ARGE nur berechtigt, wenn der oder die Leistungsempfänger/in seine/ihre Pflichten zum Abschluss oder zur Erfüllung der Eingliederungsvereinbarung, zur Aufnahme von Arbeit oder zur Meldung in der ARGE nicht erfüllt hat (§ 31 des Zweiten Buchs des Sozialgesetzbuches - SGB II). Es liegt also in der Hand der Arbeitslosen, eine Kürzung zu vermeiden. Ich bin mit Ihnen der Meinung, dass die Lebensführung von gekürztem Alg II nur schwer möglich ist. Die Kürzung ist eine harte Sanktion, die nur nach vorangegangener Belehrung über die Folgen eines Fehlverhaltens erfolgen darf.
Sollte die ARGE aus Sicht des Betroffenen ungerechtfertigt die Leistung kürzen, kann Widerspruch eingelegt werden. Dresdner Bürgerinnen und Bürger können sich dann auch an mich wenden.
Bei Aufnahme einer Arbeit haben bis dahin Arbeitslose Anspruch auf Unterstützung durch die ARGE. Die Überbrückung bis zur ersten Lohnzahlung, die Ausstattung mit Arbeitskleidung und das Fahrgeld sind klassische Eingliederungsleistungen, die gemäß § 16 SGB II in Verbindung mit § 53 SGB III zu erbringen sind. Deshalb sollte die Bestreitung des Lebensunterhalts bei Arbeitsaufnahme kein Problem sein. Auch hier gilt: Wenn die ARGE das ablehnt, kann Widerspruch erhoben werden.
Leider ist es so, dass viele Menschen auch nach der Arbeitsaufnahme noch Leistungen zur Grundsicherung benötigen, weil sie von ihrem Arbeitseinkommen nicht leben können. Das gilt nicht nur für die Zeitarbeitsbranche. Die SPD-Bundestagsfraktion setzt sich deshalb mit Nachdruck für die Einführung des gesetzlichen Mindestlohns ein. Nur so können wir auf Dauer das "Aufstocken" der Löhne durch Alg II entbehrlich machen. Die Position vieler Mitglieder der Unionsfraktionen zieht diesen Prozess unnötig in die Länge, aber wir bleiben dran.
Ich glaube, dass viele Arbeitsuchende auch deshalb eine schlechtbezahlte Arbeit annehmen, weil Arbeit viel mehr ist als Broterwerb. Sozialer Austausch, sich Herausforderungen zu stellen und einen strukturierten Tag zu haben sind für die meisten Menschen enorm wichtig. Das Gesetz bestärkt diesen Wunsch mit dem Anreiz der Freibeträge, die den Mehraufwand durch Erwerbstätigkeit mehr als wettmachen. Menschen, die einer schlecht bezahlten Arbeit nachgehen, haben deshalb immer noch mehr Geld zur Verfügung, als Menschen, die nicht arbeiten.
Wenn ich vor der Wahl stünde, arbeitslos zu bleiben oder einer schlecht bezahlten Arbeit nachzugehen, würde ich mich für die Arbeit entscheiden. Ich unternehme allerdings alles mir mögliche, damit möglichst niemand mehr vor diese Wahl gestellt wird.
Mit freundlichen Grüßen
Marlies Volkmer