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Marlies Volkmer
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Frage von Lars E. •

Frage an Marlies Volkmer von Lars E. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrte Frau Dr. Volkmer,

morgen soll der Bundestag über den Referentenentwurf vom Juni 2007 unter anderem zur Umsetzung der EU-Richtlinie 2006/24/EG (Vorratsdatenspeicherung) entscheiden. Ich möchte dies zum Anlass nehmen, an Ihre Antwort auf die Frage von Herrn Thomas im April dieses Jahres anzuknüpfen.

Sie drückten damals Ihre Skepsis gegenüber der undifferenzierten Datensammlung ohne Vorliegen eines Verdachtes auf eine Straftat aus. Im Licht der zwischenzeitlichen Entwicklung betrachtet ist diese Skepsis sicher mehr als berechtigt: Die vom Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages im September gehörten Sachverständigen beurteilen diesen Teil des Entwurfs mit großer Mehrheit negativ, die Begründungen sind über die Internetseite des Bundestages im Detail nachzulesen. Naturgemäß beurteilen Sachverständige das Vorhaben primär aus dem Blickwinkel ihres eigenen fachlichen Hintergrundes. Wenig verwunderlich, wenn von den lediglich zwei positiven Gutachten eins aus der Feder des Vertreters einer Ermittlungsbehörde stammt. Auch wenn andere prominente Vertreter von Ermittlungsbehörden, wie der Vorsitzende des Bundes der Kriminalbeamten Herr Jansen, sich wesentlich zurückhaltender zur Sinnhaltigkeit dieser Maßnahme äußern.

Sicher hat kein Bundestagsabgeordneter die zeitlichen Kapazitäten und in allen Bereichen das tiefe Detailwissen, um bei jeder Abstimmung aus eigener Kenntnis eine völlig fundierte Entscheidung zu treffen. Aus diesem Grund ist ein Großteil der Arbeit in Fachausschüsse verlagert, die wiederum Sachverständige bestellen.

Insbesondere bei so sensiblen Themen, die derart gravierende Folgen für im Grundgesetz der BRD verankerte Grundrechte haben, ist strikte Fraktionsdisziplin ein fragliches Leitmotiv.

Ich frage Sie deshalb: Werden Sie am Freitag das klare Credo der vom Rechtsausschuss des Bundestages bestellten Sachverständigen ignorieren und die offizielle Haltung der SPD-Fraktion im Bundestag mit Ihrer Stimme stützen?

Mit freundlichem Gruß

L. E.

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Antwort von
SPD

Sehr geehrte Dame, sehr geehrter Herr,

vielen Dank für Ihre Äußerung zur Vorratsdatenspeicherung. Wegen der großen Zahl von Stellungnahmen, die mich aus Dresden zu diesem Thema erreicht haben, ist es mir leider nicht möglich, Ihnen individuell zu antworten. Ich hoffe auf Ihr Verständnis und möchte Ihnen einen umfassenden Überblick über das Gesetz zur Novelle der Telekommunikationsüberwachung und zur Umsetzung der europäischen Richtlinie zur so genannten Vorratsdatenspeicherung zu geben.

Das Gesetz
• novelliert die geltenden Vorschriften der Strafprozessordnung zur Telekommunikationsüberwachung und anderen verdeckten Ermittlungsmaßnahmen,
• setzt die EU-Richtlinie zur so genannten Vorratsdatenspeicherung in deutsches Recht um
• und sorgt für grundrechtswahrende Verfahrenssicherungen bei heimlichen Ermittlungsmaßnahmen.

Bereits unter rot-grüner Regierung hatte die Novelle ihren Anfang genommen. Der vom Bundesjustizministerium erarbeitete Entwurf konnte aufgrund des vorzeitigen Endes der 15. Legislaturperiode zunächst nicht weiterverfolgt werden. Das nun vorliegende Gesetz hat diese Arbeiten weitergeführt. Zwischenzeitliche Entwicklungen sind in ihm berücksichtigt. Zum einen sind es Anpassungen wegen der Notwendigkeit, die eingangs erwähnte EU-Richtlinie umzusetzen, zum anderen waren Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts unter anderem zum einfachgesetzlichen Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung zu beachten.

Die Rechtspolitiker der SPD-Bundestagsfraktion haben bei dem Gesetz einerseits im Auge behalten, dass der Staat für unsere Sicherheit zu sorgen hat und daher die berechtigten Strafverfolgungsinteressen des Staates angemessen berücksichtigt werden müssen.

Andererseits greifen verdeckte Ermittlungsmaßnahmen aber regelmäßig in die Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger ein, so dass für ihre Anordnung strenge Voraussetzungen gelten und der Rechtsschutz wirksam ausgestaltet sein müssen. Deshalb haben wir das Telekommunikationsüberwachungsrecht weiter rechtsstaatlich eingegrenzt. Dadurch liegen die Hürden für die Durchführung einer Telekommunikationsüberwachung in Zukunft noch höher als jetzt. Dabei gilt künftig wie bisher, dass sie – wie künftig bei jeder eingriffsintensiven verdeckten Ermittlungsmaßnahme auch – grundsätzlich nur durch einen Richter angeordnet werden darf.

Hürde Nr. 1: Vorliegen einer schweren Straftat
Neu ist dabei, dass Straftaten grundsätzlich nicht in Frage kommen, die im Höchstmaß mit weniger als fünf Jahren Freiheitsstrafe bedroht sind. Die Tat muss – auch diese ausdrückliche Regelung ist neu – auch im konkreten Einzelfall schwer wiegen.

Hürde Nr. 2: Kernbereichsschutz
Eine Telekommunikationsüberwachung ist unzulässig und hat zu unterbleiben, wenn tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen, dass durch die Überwachung allein Erkenntnisse aus dem Kernbereich der privaten Lebensgestaltung erlangt würden.

Hürde 3: Berufsgeheimnisträgerschutz
Soll ein Berufsgeheimnisträger wegen des Ermittlungsverfahrens gegen einen Dritten, an dem er selbst in keiner Weise beteiligt ist, überwacht werden, gilt Folgendes:

Das Vertrauensverhältnis zu Seelsorgern, Strafverteidigern und Abgeordneten wird absolut geschützt. Sie haben eine besondere verfassungsrechtliche Stellung. Deshalb sind sie von allen Ermittlungsmaßnahmen ausgenommen, die sich auf die Informationen beziehen, die ihnen in ihrer Eigenschaft als Berufsgeheimnisträger anvertraut wurden.

Bei Ärzten, Rechtsanwälten, Journalisten und allen anderen zeugnisverweigerungsberechtigten Berufsgeheimnisträgern wird ausdrücklich klargestellt, dass sie in Ermittlungsmaßnahmen künftig nur nach einer sehr sorgfältigen Verhältnismäßigkeitsabwägung im Einzelfall in Ermittlungsmaßnahmen einbezogen werden dürfen. Für die Abwägung wird es zudem einen ausdrücklichen Maßstab im Gesetz geben: Betrifft das Verfahren keine Straftat von erheblicher Bedeutung, ist in der Regel nicht vom Überwiegen des Strafverfolgungsinteresses auszugehen. Eine Straftat ist nur dann von erheblicher Bedeutung, wenn sie
- mindestens dem Bereich der mittleren Kriminalität zugerechnet werden kann,
- den Rechtsfrieden empfindlich stört und
- dazu geeignet ist, das Gefühl der Rechtssicherheit der Bevölkerung erheblich zu beeinträchtigen.
Ergibt die Prüfung also, dass es bei der Ermittlung nicht um eine erhebliche Straftat geht, sind jegliche Ermittlungsmaßnahmen gegen den Berufsgeheimnisträger regelmäßig unzulässig, weil unverhältnismäßig.

Hürde Nr. 4: Berufsgeheimnisträgerschutz bei Verstrickung
Besteht gegen den Berufsgeheimnisträger, etwa einen Journalisten, selbst ein Beteiligungs- oder Begünstigungsverdacht, so können nach geltendem Recht zum Beispiel Unterlagen bei ihm beschlagnahmt werden, wenn diese für die Aufklärung einer Straftat relevant sind. Künftig muss sich die Annahme des Verstrickungsverdachts auf bestimmte Tatsachen gründen, so dass eine sorgfältige, sich auf konkrete Tatsachen stützende Prüfung erforderlich werden wird.

Hürde Nr. 5: Beweisverwertungsverbot bei Zufallsfunden
Ein Zufallsfund ist Material, das auf eine Straftat hindeutet, aber nichts mit der Untersuchung zu tun hat, wegen derer eine Durchsuchung angeordnet wurde. Bei Journalisten dürfen solche Zufallsfunde künftig nicht als Beweise in einem Verfahren wegen Geheimnisverrats oder wegen sonstiger Straftaten, die mit einem Höchstmaß von unter fünf Jahren Freiheitsstrafe bedroht sind, verwertet werden.

Das neue Gesetz enthält darüber hinaus Anpassungen wegen der Notwendigkeit, die EU-Richtlinie zur sogenannten Vorratsdatenspeicherung (2006/24/EG) in deutsches Recht umzusetzen. Auch hier haben wir im Bewusstsein der Verantwortung für eine wirksame Kriminalitätsbekämpfung unsere Verpflichtung für Bürgerrechte ernst genommen und dafür Sorge getragen, dass die EU-Vorgaben so grundrechtsschonend wie möglich gestaltet wurden. So ist es Deutschland gegen den Widerstand vieler anderer Mitgliedstaaten gelungen, dass die Mindestspeicherungsdauer auf sechs Monate (statt der ursprünglich auf EU-Ebene diskutierten 36 Monate) beschränkt wurde. Dies ist ein vom Deutschen Bundestag wirksam unterstützter Verhandlungserfolg der Bundesregierung auf EU-Ebene.

Die wegen der Umsetzung künftig zu speichernden Daten sind im Wesentlichen die Verkehrsdaten, die von den Telekommunikationsunternehmen schon heute üblicherweise zu Abrechnungszwecken gespeichert werden. Das sind insbesondere die genutzten Rufnummern und Kennungen sowie Uhrzeit und Datum der Verbindungen. Neu hinzu kommt nur, dass bei der Mobilfunktelefonie auch der Standort (Funkzelle) bei Beginn der Mobilfunkverbindung gespeichert wird. Daten, die Aufschluss über den Inhalt der Kommunikation geben, dürfen dagegen nicht gespeichert werden.

Zu den Telekommunikationsverkehrsdaten gehören neben den Daten über Telefonverbindungen auch solche Daten, die bei der Kommunikation über das Internet anfallen. Diese müssen nach der EU-Richtlinie künftig ebenfalls gespeichert werden. Auch in diesem Bereich werden nur Daten über den Internetzugang und die E-Mail-Kommunikation gespeichert. Dabei speichert das TK-Unternehmen lediglich, welchem Teilnehmeranschluss eine bestimmte Internetprotokoll-Adresse (IP-Adresse) zu einem bestimmten Zeitpunkt zugewiesen war sowie die Daten über die E-Mail-Versendung, nicht dagegen, welche Internetseiten besucht wurden oder welchen Inhalt eine E-Mail hatte.

Die Daten werden – wie bisher – nur bei den TK-Unternehmen gespeichert. Wie bisher schon können Polizei und Staatsanwaltschaft grundsätzlich nur dann auf die Daten zugreifen, wenn dies zuvor durch einen richterlichen Beschluss erlaubt wurde. In diesem Beschluss legt der Richter genau fest, welche Daten das Unternehmen aus seinem Bestand herausfiltern und den Strafverfolgungsbehörden übermitteln muss.

Für alle verdeckten Ermittlungsmaßnahmen gilt darüber hinaus eine Reihe von Verfahrensregelungen. Sie verbessern den Grundrechtsschutz aller, die von verdeckten Ermittlungsmaßnahmen betroffen sind:

• Richtervorbehalt bei allen eingriffsintensiven verdeckten Ermittlungsmaßnahmen.
• Konzentration der Zuständigkeit für die Anordnung einer Maßnahme beim Ermittlungsgericht am Sitz der Staatsanwaltschaft, um dessen größere Spezialisierung zu erreichen.
• Umfassende, gerichtlich kontrollierte Benachrichtigungspflichten.
• Einführung eines nachträglichen Rechtsschutzes bei allen verdeckten Ermittlungsmaßnahmen.
• Einführung von einheitlichen Kennzeichnungs-, Verwendungs- und Löschungsregelungen.

Trotz schwerwiegender politischer und verfassungsrechtlicher Bedenken habe ich dem Gesetzentwurf zugestimmt. Einerseits weil die Notwendigkeit bestand, die EU-Richtline in deutsches Recht umzusetzen und es andererseits den Rechtspolitikern der SPD-Fraktion gelungen ist, hohe Hürden für die Umsetzung dieser problematischen Restriktion einzuziehen, da gerade Freiheitsrechte wie das Recht auf informelle Selbstbestimmung einen konstitutiven Charakter für die Existenz unseres Gemeinwesens haben.

Mit freundlichen Grüßen

Marlies Volkmer