Frage an Marlies Volkmer von Kai Ö. bezüglich Finanzen
Werden Sie dem Europäischen Stabilitäts-Mechanismus (ESM) zustimmen und damit auf die Souveränität des deutschen Staates, der Gerichte und deutscher Gesetze verzichten?
Erachten Sie es als richtig, dass der ESM-Rat außerhalb jeglicher Gerichtsbarkeit steht und ihre Entscheidungen unumstößlich sind?
Sehr geehrter Herr Öhls,
viele Dank für Ihre Fragen. Nach langen Diskussionen und reiflichen Überlegungen zu Fiskalpakt und Europäischem Stabilisierungsmechanismus (ESM) habe ich in der Abstimmung am Freitagabend das Ratifizierungsgesetz zum ESM abgelehnt, jedoch für den Fiskalpakt votiert.
In Bezug auf den ESM war ich von Anfang an kritisch, wollte jedoch keine voreilige Entscheidung treffen. Bis zuletzt, in der Fraktionssitzung kurz vor der abschließenden Beratung, habe ich die Gründe für und wider dieses Instrument abgewogen. Am Ende überwogen für mich deutlich die zu erwartenden negativen Konsequenzen:
Zusammen mit den bereits bisher bei der Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität (EFSF), dem Europäischen Finanzstabilisierungsmechanismus (EFSM) sowie beim Griechenland-Paket eingegangenen Verpflichtungen wird der deutsche Anteil durch den ESM-Vertrag auf insgesamt 310,3 Mrd. Euro ansteigen. Zusätzlich sieht der Vertrag vor, dass Deutschland gegebenenfalls auch für den finanziellen Ausfall anderer ESM-Länder haften muss. Daher gehe ich davon aus, dass Deutschland durch den ESM-Vertrag ein Maß an finanzieller Haftung übernehmen muss, das die aus dem Demokratieprinzip des Grundgesetzes abzuleitende Obergrenze überschreitet.
Weiterhin lehne ich die mangelhafte demokratische Kontrolle und Intransparenz des ESM ab. Der Bundestag verfügt zwar über um-fassende Entscheidungs-, Kontroll- und Beteiligungsrechte gegen-über der Bundesregierung und dem Regierungsvertreter im ESM-Gouverneursrat, die eigentliche Arbeit des ESM verläuft jedoch intransparent und ohne parlamentarische Kontrolle.
Weiterhin werden mit dem ESM Kompetenzen und Hoheitsrechte an die Europäische Union übertragen. In diesem Zusammenhang kritisiere ich vor allem, dass die Bundesregierung diese Kompetenzübertragung den Bürgerinnen und Bürgern gegenüber verschleiert hat.
Zuletzt halte ich auch den Umgang der Bundesregierung mit dem Parlament für inakzeptabel. Die Regierung hat bei der Errichtung und Ausgestaltung des ESM die Rechte des Bundestages auf Mitwirkung verletzt. Das wurde auch vom Bundesverfassungsgericht bestätigt.
Bei meiner Entscheidung für den Fiskalpakt habe ich es mir eben-falls nicht leicht gemacht. Dem „nackten“ Fiskalpakt hätte ich nicht zustimmen können, da er die Krise eher verschärft als eingedämmt hätte. Doch die SPD hat hart mit der Bundesregierung verhandelt – das Ergebnis kann sich sehen lassen. Die Ergänzung des Fiskalpakts durch einen europäischen Wachstums- und Beschäftigungspakt ist ein großer Erfolg der deutschen Sozialdemokratie. Es ist keine Selbstverständlichkeit, als Oppositionspartei einer Bundesregierung einen solchen Kurswechsel abzuringen.
Wir haben erreicht, dass sich die Bundesregierung zu erheblichen Impulsen für mehr Wachstum und Beschäftigung in Europa bekennt. Dazu gehört, dass die nicht abgerufenen Mittel aus den Strukturfonds der laufenden Finanzperiode zukünftig gezielt für wachstums- und beschäftigungsfördernde Maßnahmen eingesetzt werden. Zusätzlich ist geplant, das Programm für europäische Projektanleihen aufzustocken und das Kapital der Europäischen Investitionsbank zu erhöhen, um zusätzliche Investitionen zu mobilisieren. Insgesamt stehen damit rund 130 Milliarden Euro für Wachstumsimpulse zur Verfügung.
Dank uns wird die Finanztransaktionssteuer nun endlich kommen, leider nicht in allen, aber doch zumindest in voraussichtlich zehn Partnerländern. Damit können auch die Verursacher der Krise an den Kosten ihrer Überwindung beteiligt werden. Das Gesetzgebungsverfahren soll noch in diesem Jahr abgeschlossen werden.
Die Bundesregierung hat in den Verhandlungen auch unserer Forderung zugestimmt, ein Sofortprogramm gegen Jugendarbeitslosigkeit auf den Weg zu bringen. Mit einer „Jugendgarantie“ soll jedem Jugendlichen spätestens vier Monate nach Schulabschluss oder Eintritt in die Arbeitslosigkeit eine Arbeits- oder Ausbildungsstelle angeboten werden. In den Mitgliedstaaten mit besonders hoher Jugendarbeitslosigkeit sollen durch zeitlich befristete Lohnzuschüsse Anreize für Unternehmen gesetzt werden, Jugendliche auszubilden oder neu einzustellen.
Die Ergebnisse der Konferenz der Regierungschefs vom Donnerstagabend waren noch nicht Bestandteil der Gesetzentwürfe, hierzu erfolgt eine erneute Abstimmung in einer Sondersitzung des Bundestags. Diese Änderungen lehne ich zum größten Teil ab, vor allem bin ich gegen die vorgesehen Regelung, dass die angeschlagenen Banken direkten Zugang zu den Mitteln des Rettungsfonds erhalten sollen.
Auch den vereinfachten Zugang für Staaten zu den Geldern der Rettungsfonds sehe ich kritisch. Die Ländern müssten danach nur einen Vertrag unterzeichnen, dass sie die Vorgaben aus dem Stabilitäts- und Wachstumspakt und die Vorgaben der Kommission pünktlich erfüllen - wozu sie sowieso verpflichtet sind. Auch die Kontrolle durch die Troika entfällt hier.
Ich hoffe, Ihnen meine Position zu diesem ebenso komplexen, wie wichtigen Thema verständlich gemacht zu haben.
Mit freundlichen Grüßen
Marlies Volkmer