Frage an Marlies Volkmer von Peter K. bezüglich Arbeit und Beschäftigung
Sehr geehrte Frau Volkmer,
in der Regel wird der rot-grünen Regierung für die letzten sieben Jahre und aktuell vor allem folgendes vorgeworfen:
- die Arbeitslosigkeit ist entgegen dem Versprechen des Bundeskanzlers auf Rekordhöhe gestiegen (auch ohne "Anpassung der Statistik" - und die tatsächliche Arbeitslosigkeit liegt sicher eindeutig über 4,7 Mill.)
- in den letzten Jahren hat Rot-Grün jedes Mal angekündigt den Stabilitätspakt einzuhalten und jedes Mal dagegen verstoßen
- Deutschland befindet sich unter den wichtigsten Industriestaaten und innerhalb der 25 EU-Staaten beim Wirtschaftswachstum auf dem letzten Platz (Prognose des IWF für 2005: 0.8% Wachstum - die Europäische Kommission kommt auf die gleiche Prognose)
- Rot-Grün ist für die Fehlorganisation von Maut und Dosenpfand und für die Visa-Affäre verantwortlich
- Der Kanzler verkündet eine "Friedenspolitik" obwohl er sich für die Aufhebung des Waffenembargos der EU gegenüber China ausspricht (dabei hat China gerade ein Anti-Abspaltungsgesetz gegen Taiwan beschlossen)
- Der Kanzler toleriert die russische Zwangsversteigerung der Yukos-Hauptfördergesellschaft und die unrechtsstaatliche Verurteilung des Ölmagnaten Chodorkowski zu neun Jahren Haft und Straflager während andere Vertreter der EU Kritik äußern
- Der Kanzler nennt die geplante Mehrwertsteuererhöhung der Union "unsozial", obwohl der ermäßigte Mehrwertsteuersatz von 7% bei der Union erhalten bleibt, während Hans Eichel angekündigt hat, ihn für verschiedene Produkte abzuschaffen
- Der Kanzler wirft Paul Kirchhof vor, daß er in seinem Steuersystem Menschen wie "Sachen" behandelt - dabei lobt der Kanzler sich selbst an anderer Stelle dafür, daß er den Spitzensteuersatz gesenkt und "Steuervergünstigungen" abgebaut hat (und wie hätte Paul Kirchhof Verfassungsrichter werden können, wenn er "Menschen wie Sachen behandelt"?)
Zu diesen Kritikpunkten würde mich ihre Gegendarstellung sehr interessieren.
Sehr geehrter Herr Kurtz,
vielen Dank für Ihre Frage auf Kandidatenwatch. Gerne nehme ich - in aller Kürze - zu den Behauptungen Stellung.
*Arbeitslosigkeit*
Leider ist trotz aller Bemühungen der Bundesregierung im Kampf gegen die Arbeitslosigkeit die Zahl der Arbeitslosen nicht deutlich gesunken. Auch wenn man die Menschen abzieht, die wir mit Hartz IV endlich aus der Sozialhilfe heraus und in die Betreuung hinein geholt haben, bleibt die Arbeitslosigkeit viel zu hoch. Das liegt aber nicht an mangelndem Engagement. Vielmehr haben zahlreiche ungünstige Faktoren die günstigen Wirkungen unserer Maßnahmen aufgehoben. D.h. wenn Rot- Grün nicht so konsequent gegen die Arbeitslosigkeit gekämpft hätte, wären heute noch mehr Menschen arbeitslos. Und zur Erinnerung:
• Unter Kohl lag die Zahl der Erwerbstätigen bei 37,91 Mio. (1998), unter Schröder bei 38,86 Mio. (2004). Das sind 950.000 mehr.
• Unter Kohl lag die Zahl der älteren Arbeitslosen (50 Jahre bis unter 65 Jahre) bei 1,36 Mio., unter Schröder bei 1,08 Millionen. Das ist ein Rückgang um 287.000.
• Unter Kohl lag die Frauenerwerbsquote bei 62% (1998), unter Schröder bei 65% (2004).
Mit der Förderung von Bildung und Betreuung, von Forschung und Entwicklung, mit öffentlichen Investitionen in gute Infrastruktur wollen wir auch künftig dafür sorgen, dass mehr und nachhaltige Arbeitsplätze geschaffen werden.
*Stabilitätspakt*
Der Stabilitäts- und Wachstumspakt verfolgt das Ziel einer gesunden öffentlichen Finanzlage, die eine wichtige Voraussetzung für Preisstabilität und für ein starkes, nachhaltiges Wachstum und damit der Schaffung von Arbeitsplätzen förderlich ist. Die im EG-Vertrag festgeschriebene Grundregel der Haushaltspolitik ist die Vermeidung übermäßiger öffentlicher Defizite durch die Mitgliedstaaten. Im Stabilitäts- und Wachstumspakt haben sich die Mitgliedstaaten verpflichtet, mittelfristig einen nahezu ausgeglichenen Haushalt oder einen Überschuss zu realisieren. Die SPD hält uneingeschränkt am Stabilitäts- und Wachstumspakt fest. Sie setzt sich aber auch für eine wirtschaftspolitisch vernünftige Handhabung ein. Die strikte Einhaltung des Paktes darf nicht dazu führen, dass Wachstum erdrosselt wird,
*Wachstum*
Diese Behauptung ist falsch. Die amtlichen Statistiken der Europäischen Union und der OECD weisen aus: Im Jahr 2004 nahm das Wirtschaftswachstum in Deutschland um 1,6 Prozent zu. In Portugal waren es 1,0 Prozent, in Italien 1,2 Prozent und in den Niederlanden 1,4 Prozent.
Auch in diesem Jahr ist Deutschland nicht Schlusslicht: Die deutsche Wirtschaft wuchs im ersten Quartal 2005 gegenüber dem Vorjahresquartal um 0,8 Prozent. Im gleichen Zeitraum ging das Wachstum in den Niederlanden um 0,5 Prozent zurück, in Italien lag der Rückgang bei 0,2 Prozent, in Malta bei 0,1 Prozent. In Portugal stieg das Bruttoinlandsprodukt um 0,1 Prozent, also auch deutlich weniger als in Deutschland.
Die Europäische Kommission hat zudem errechnet, dass Deutschland wegen der außerordentlichen Belastungen durch die Wiedervereinigung in Höhe von vier Prozent des Bruttoinlandprodukts (rund 80 Milliarden Euro pro Jahr) etwa drei Viertel Prozentpunkte an Wachstum verliert. Umso bemerkenswerter ist, dass Deutschland im europäischen Vergleich auf einem soliden Wachstumskurs ist und dieser sich trotz der weltwirtschaftlichen Verwerfungen seit dem Jahr 2001 verstärkt.
*Dosenpfand*
Diese Behauptung ist falsch. Das Bundesumweltministerium hatte rechtzeitig eine neue Verordnung zum Dosenpfand vorgelegt, die sowohl den Bedürfnissen des Handels als auch denen der Verbraucher gerecht wurde. Diese Novellierung der von CDU-Umweltminister Töpfer zu verantwortenden Verordnung ist an der Blockade der CDU-regierten Länder gescheitert. Bei der Dritten Verordnung zur Änderung der Verpackungsordnung handelt es sich um den endlich erreichten Kompromiss zum Dosenpfand. Die Pfandpflicht wird künftig auf Mineralwasser, Erfrischungsgetränke, Bier und Alkopops in Einweg-Getränkeverpackungen erhoben werden. Milch, Wein, und Fruchtsäfte sind davon ausgenommen, ebenso ökologisch vorteilhafte Verpackungen wie der Getränkekarton und der Standbodenbeutel. Die Pfandpflicht ist nicht mehr vom Erreichen einer Mehrwegquote abhängig, das Pfand soll einheitlich 25 Cent betragen. Mit der Pfandnovelle ist die Verpackungsverordnung europatauglich. Die Verbraucher können überall ihr Pfand zurückbekommen.
*Maut*
Diese Behauptung ist falsch. Das Konsortium Toll Collect ist verantwortlich für die verspätete Einführung der LKW-Maut.
*Waffenembargo*
Im Oktober 2004 und im Mai 2005 hat der Deutsche Bundestag klare Bedingungen für eine Aufhebung des EU-Waffenembargos formuliert (Drs.-Nr. 15/5467). Der jüngste Antrag war insbesondere vor dem Hintergrund des auf Taiwan bezogenen Anti-Sezessionsgesetzes entstanden. Ohne die Erfüllung dieser Bedingungen, zu denen u.a. die Freilassung der seit den Protesten 1989 inhaftierten Personen zählt, ist eine Aufhebung des EU-Waffenembargos abzulehnen. Orientierung müssen in jedem Fall die restriktiven deutschen Rüstungsexportrichtlinien sein. Diese würden auch bei einer formellen Aufhebung des EU-Embargos derzeit keine Lieferung von Waffen an China erlauben.
*Russland*
SPD-Bundestagsfraktion und Bundesregierung äußern bei jeder sich bietenden Gelegenheit ihre Besorgnis in Bezug auf die Praxis von Demokratie und Menschenrechten in Russland. Wir werden auch weiterhin alle Möglichkeiten der Kooperation mit Russland nutzen, um Verbesserungen - z.B. für die Menschen in Tschetschenien - zu erreichen. Noch bestehende oligarchische Strukturen müssen abgebaut und in eine bürgerliche Zivilgesellschaft umgewandelt werden. Das geht nur, indem wir den deutsch-russischen Dialog erweitern und vertiefen. Allen unseren Partnern machen wir deutlich, dass der Kampf gegen den Terrorismus nicht als Vorwand dafür dienen darf, brutal gegen innenpolitische Gegner vorzugehen und unverhältnismäßige Mittel anzuwenden. Der Kampf gegen den Terrorismus rechtfertigt keine Einschränkung der Menschenrechte.
*Mehrwertsteuer*
Diese Behauptung ist falsch. Scharf hat Finanzminister Hans Eichel Darstellungen zurückgewiesen, er habe eine geheime Sparliste erarbeiten lassen. Weder gebe es eine Streichliste mit drastischen Sparmaßnahmen, noch werde in seinem Haus über eine Erhöhung der Mehrwertsteuer nachgedacht.
*Steuerpolitik*
Bundeskanzler Schröder hat Herrn Kirchhof vorgeworfen, dass er Menschen wie Sachen behandelt, weil Herr Kirchhof die Abschaffung der umlagefinanzierten Rente ins Gespräch brachte und sagte, man könnte "eine Versicherungspflicht einführen wie bei der Kfz-Versicherung“. Ich teile die Auffassung des Bundeskanzlers.
Wir wollen gerechte Steuern. Es ist klar: Reformschritte müssen aufkommensneutral sein, denn ein Staat ohne Geld kann nicht handeln. Das Einkommensteuersystem bleibt. Weder der Stufentarif von CDU/CSU noch die einheitliche Kopfsteuer (flat tax) der FDP entsprechen dem Grundsatz eines sozial gerechten Steuersystems. Beides wollen wir nicht.
• Besserverdiener (Ledige ab 250.000 Euro und Verheiratete ab 500.000 Euro im Jahr) zahlen statt 42 % künftig 45 % Steuern. Der Ertrag soll primär für Bildung und Forschung verwendet werden.
• Die Gewerbesteuer bleibt als kommunale Steuer erhalten.
• Die private Erbschaftssteuer und das hiermit zusammenhängende Bewertungssystem werden sozial gerecht und verfassungsfest umgestaltet.
• Wir streben eine effektivere Anwendung des Steuerrechts durch Vereinfachung an. Steuerliche Subventionstatbestände müssen weiter abgebaut werden.
• Wir wollen einfache Steuererklärungen ermöglichen. Nordrhein-Westfalen hat dafür gute Beispiele entwickelt.
• Die Steuerfreiheit von Sonn-, Feiertags- und Nachtarbeitszuschlägen bleibt.
• Wir streben eine Harmonisierung der Bemessungsgrundlagen und der Mindeststeuersätze für Unternehmensgewinne auf Ebene der EU an. Und zur Erinnerung:
• Unter Kohl zahlte eine Familie mit 2 Kindern (Bruttojahreseinkommen 37.550 Euro) – unter Einbeziehung von Kindergeld - noch 2.924 Euro Steuern, unter Schröder 0 Euro Steuern.
• Unter Kohl lag der Eingangssteuersatz bei 25,9%, unter Schröder bei 15%. Das sind rd. 11 Prozentpunkte weniger.
• Unter Kohl zahlten Millionäre keine Steuern mehr, unter Schröder zahlen Millionäre wieder Steuern.
• Unter Schröder: Steuerliche Entlastung von Privathaushalten ( 47,3
Mrd. Euro) und Mittelstand (17 Mrd. Euro), Belastung von Großunternehmen
(5,2 Mrd. Euro).
• Unter Schröder: Mehr als 70 Steuerschlupflöcher wurden geschlossen. Heute bezahlen Einkommensmillionäre fast 6 Mrd. € mehr Steuern als 1998.
UND DIE UNION?
• Mit Merkel fällt die Gewerbesteuer.
• Mit Merkel wird die Steuerfreiheit von Feiertags-, Nacht- und Sonntagszuschlägen abgeschafft.
• Mit Merkel werden 30,3 Mio. Berufspendler und 9,0 Mio. Schichtarbeiter
nicht entlastet, sondern belastet. Deren Kaufkraft fehlt bei der Binnennachfrage. Entlastet werden aber die rd. 1,2 Mio. Spitzenverdiener, deren Steuersatz von 42% auf 39% sinkt. Damit schafft man nicht mehr Wachstum, sondern man verteilt um von unten nach oben.
Ich hoffe, dass ich mit dieser Stellungnahme zur Klärung beigetragen habe. Ich bitte Sie und alle anderen, die das lesen: Gehen Sie zur Wahl! Wählen Sie am 2. Oktober im Wahlkreis Dresden I mit der Erststimme mich und mit der Zweitstimme die SPD.
Mit freundlichen Grüßen
Marlies Volkmer