Marlene Schönberger
Marlene Schönberger
Bündnis 90/Die Grünen
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Frage von Ruth S. •

Haben Sie sich jemals mit einer jüdischen Gruppe getroffen, die Zionismus kritisiert? Wenn ja, welche?

Mit großem Interesse verfolge ich Ihre Arbeit, sehr lobenswert finde ich Ihr Bekenntnis zur Transparenz und die Auflistung von Ihren Treffen mit Lobbygruppen. Als (linker) Jude in Deutschland frage ich mich jedoch: haben Sie sich jemals mit einer jüdischen Gruppe getroffen, die Zionismus kritisiert? Wenn ja, welche? Erkennen Sie einen Unterschied zwischen Antisemitismus, Antizionismus und Kritik am Handeln der rechtsradikalen israelischen Regierung? Finden Sie es problematisch, wenn goyische Deutsche antizionistische Juden als Antisemiten bezeichnen? Das passiert ja in letzter Zeit oft. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

Marlene Schönberger
Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Vielen Dank für Ihre Frage. Sowohl als Abgeordnete wie auch als Politikwissenschaftlerin ist es mir ein Anliegen, mich mit den unterschiedlichsten Perspektiven auseinanderzusetzen. Dass es zu einer geschichtsträchtigen Bewegung – die als Antwort auf den europäischen Antisemitismus und dessen genozidale Absichten entstanden ist – unterschiedliche Positionen gibt, halte ich für selbstverständlich. Kritik hat schließlich auch für die Ausdifferenzierung eine wichtige Rolle gespielt: So ist Zionismus keine homogene Bewegung oder Ideologie, sondern vielschichtig und plural. Ich stehe dazu im Austausch mit Menschen, die ganz unterschiedliche Positionen vertreten – wozu auch Meinungen gehören, die ich ausdrücklich nicht teile. Das gilt auch für meine Arbeit als Abgeordnete: Grundsätzlich bin ich immer gesprächsbereit und habe in der Vergangenheit auch an Formaten und Runden teilgenommen, in denen Zionismus kritisch diskutiert wurde.  

Ich denke, dass man sich mit der Geschichte der innerjüdischen Diskussion um Zionismus beschäftigen sollte, dabei aber ein paar Tatsachen nicht aus den Augen verlieren darf:  

  1. Die überwiegend ablehnende Haltung der europäischen Jüdinnen*Juden gegenüber dem Zionismus hat sich spätestens mit der Shoa diametral verschoben. Heute empfindet die Mehrheit der Jüdinnen*Juden in Europa Israel als wichtigen Bestandteil der eigenen Identität – was nicht mit einer affirmativen Haltung zur gegenwärtigen Regierung gleichzusetzen ist. 

  2. Der politische Zionismus wurde in seiner Entstehung von den herrschenden Ideologien seiner Zeit beeinflusst. Dazu gehörten auch Kolonialismus und Nationalismus. Doch handelt es sich wie gesagt um eine heterogene Bewegung, genauso gab es religiöse und sozialistische Ausformungen, die im Mandatsgebiet Palästina auch gegen die britische Kolonialbewegung kämpften.  

  3. Israel ist ein Land von Geflüchteten. Die größten Einwanderungswellen, aus z.B. Nordafrika, Russland, oder Polen fanden nicht statt, weil die Menschen vom Zionismus überzeugt waren, sondern weil sie vor Pogromen, Hunger, Verfolgung und Ausgrenzung flohen. Daher ist Israels Bevölkerung keineswegs weiß, wie es zum Teil behauptet wird. 

  4. Die Shoa hat auf grausame Art und Weise unter Beweis gestellt, wozu Antisemitismus führt. Es handelt sich um eine grundlegende Haltung zur Welt, deren Ziel die Vernichtung all dessen ist, was Antisemit*innen für „jüdisch“ halten. 

  5. Antisemitismus lebt auch nach der Shoa fort. Der 7. Oktober 2023 hat leider gezeigt, dass Antisemit*innen, sobald sie die Mittel haben, das Vernichtungsunternehmen wieder in die Tat umsetzen. 

  6. Europäische und deutsche Kultur sind geprägt von Antisemitismus und Rassismus. Jeder Mensch, der in dieser Gesellschaft lebt, kann diese Ideologien reproduzieren, sofern er sich nicht kritisch mit ihnen auseinandersetzt. Es ist das Kennzeichen herrschender Ideologien, dass sie selbst von denjenigen reproduziert werden (können), die von ihnen betroffen sind. Ich empfehle hierzu „Dominanzkultur“ der Rechtsextremismusforscherin Birgit Rommelspacher.  

  7. Antizionismus und Kritik am Zionismus sind notwendigerweise dazu angehalten, einen Umgang mit dem Ziel des Antisemitismus zu finden. Das ist keine abstrakte Gewalt oder Vorurteil, dass sich unspezifisch gegen alle möglichen Menschen richten kann und in der Hinsicht nicht universalisierbar. Es ist der zum Teil in die Tat umgesetzte Versuch, das, was Antisemit*innen für „jüdisch“ halten (und hier geht es nicht um das tatsächlich jüdische, sondern um eine Projektion) zu vernichten. Betroffen sind an erster Stelle Jüdinnen*Juden. Diese Gewalt kann sich aber auch gegen nichtjüdische Menschen und Einrichtungen richten, sofern sie als „jüdisch“ markiert werden.  

Insofern müssen wir uns alle damit auseinandersetzen, wie wir uns zum Antisemitismus stellen, damit wir ihn nicht reproduzieren. Wir sind alle dazu angehalten, Kritik ernst zu nehmen. Kritik, die nicht begründbar ist, ist ein Vorwurf und der ließe sich durch Argumente entkräften. Lassen sich Argumente nicht entkräften, sollte man sich mit der Kritik auseinandersetzen.  

Ich halte es für einen Trick, davon zu sprechen, dass man sachlich-politische Kritik an der israelischen Regierung nicht von Antisemitismus unterscheiden könnte. Die Antisemitismusforschung hat aus ganz unterschiedlichen Perspektiven objektive Merkmale festgelegt, an denen wir Antisemitismus erkennen können. Das Problem liegt vielmehr darin, dass es vielen Menschen an dem Wissen dazu mangelt. Der Vorwurf, dass es sich nicht unterscheiden ließe, dient vielmehr dazu, genau diese Menschen weiter zu verunsichern.  

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