Frage an Markus Rösler von Andreas S. bezüglich Umwelt
Sehr geehrter Herr Dr. Rösler,
Jedes Jahr verliert Deutschland Grün- und Ackerland an zusätzliche Siedlungs- und Verkehrsflächen, die zusammen so groß sind wie Frankfurt am Main. Weiterhin werden Naturflächen zu Neubaugebieten: Zur Zeit versiegeln wir in der Bundesrepublik Deutschland eine Fläche von 60 Hektar täglich, eine aus ökologischer Sicht verheerende Entwicklung, wenn wir an die elementare Bedeutung der Naturflächen für Biodiversität und Klimaschutz denken.
Ein besonderes Problem: Einerseits wird bezahlbarer Wohnraum dringend gebraucht, andererseits darf die Versiegelung weiterer Naturflächen für den Wohnungsbau aus ökologischen Erwägungen keine Option sein.
Meine Fragen in diesem Zusammenhang:
- Teilen Sie meine Ansicht, dass der sogenannte Flächenfraß nicht nur verlangsamt, sondern gestoppt werden muss?
- Sind Sie für die Erschwerung der Ausweisung von Neubaugebieten auf Naturflächen?
- Welche Maßnahmen und Ziele verfolgen Sie und Ihre Partei in diesem Zusammenhang?
Mit freundlichen Grüßen und besten Wünschen,
A. S..
Werter Herr Schönberger,
herzlichen Dank für Ihre Nachricht und für die spannenden und wichtigen Fragen, die Sie mir darin gestellt haben.
Sehr gerne gehe ich auf das Thema Flächenverbrauch ein, weil dessen Verringerung für mich als naturschutzpolitischer Sprecher der Grünen im Landtag auch persönlich ein wichtiges Anliegen ist.
Zu ihrer ersten Frage Ziel "Netto-Null im Flächenverbrauch":
Ja.
Wir Grüne und auch ich persönlich verfolgen weiterhin das Ziel des Netto-Null-Flächenverbrauches, das aber - alles andere wäre schlicht unehrlich - nicht kurz, sondern nur mittelfristig erreichbar ist.
Wir müssen die Versiegelung jedweder offener Flächen, sei es Acker, Aue oder eine Streuobstwiese von früher weit über 10 ha / Tag in BW über derzeit 5-6 ha / Tag in BW noch weiter runterfahren - bis wir zu diesem Ziel "Netto-Null" kommen.
Leicht ist das nicht, Sie wissen das.
Auch ich werde weiterhin - wiewohl als Landespolitiker nur selten direkt zuständig - für das eine oder andere neue Bau- oder Gewerbegebiet plädieren. Allerdings sollte dann - so meine Zielstellung - im Gegenzug dazu an anderer Stelle wenn möglich Boden entsiegelt werden.
Im übrigen handelt es sich durchgängig um Kulturlandschaften, die wir neu versiegeln. "Natur" gibt es bei uns im Ländle quasi nicht mehr, nur der Nationalpark darf und soll sich in diese Richtung entwickeln.
Die Umsetzung des Ziels Netto-Null gestaltet sich zäh - und ich sehe dringlichen Bedarf, entsprechende Regelungen in eine neue und erweiterte Ökokonto-Verordnung des Landes einzubauen. In der laufenden Legislaturperiode habe ich mich speziell dafür eingesetzt.
Ihre zweite Frage nach einem Erschwernis für die Bebauung bislang unversiegelter Flächen (das meinen Sie mit "Naturflächen" sicherlich) beantworte ich ebenfalls mit Ja.
Die Instrumente hierfür allerdings müssen ggf. neu entwickelt werden. Berücksichtigen müssen wir die sehr stark verankerte Planungshoheit der Gemeinden, in die einzugreifen zwar der frühere verkehrs- und umweltpolitische Sprecher der CDU-Landtagsfraktion, Winfried Scheuermann, empfahl, doch ist diese Planungshoheit der Gemeinden - teils völlig zu Recht - eine "heilige Kuh".
Wichtig sind daher die sogenannten "Plausibilitätshinweise" der Regierungspräsidien als Landesbehörden. Demzufolge müssen Kommunen für die Gründe darlegen, warum sie wie viele neue Wohneinheiten... benötigen. Hier gibt es in der konkreten Umsetzung noch "Luft nach oben". Es handelt sich aber um das zentrale Element dessen, was wir als Land beeinflussen können.
Speziell zum Schutz der naturschutzfachlich hochwertigen hochstämmigen Streuobstwiesen haben wir 2020 im neuen Biodiversitätsstärkungsgesetz den §33a neu eingeführt: Dieser soll dazu dienen, Streuobstwiesen speziell in Ortsrandlagen besser vor Bebauung zu schützen und ganz im Sinne Ihrer Frage die Versiegelung zu erschweren (allerdings nicht unmöglich zu machen - ist weiter eine Frage der Abwägung, auch wenn jetzt Belange des Naturschutz höher gewichtet werden müssen als früher).
Die Antwort auf Ihre dritte Frage zu Zielen und Maßnahmen, die wir planen, ergibt sich z.T. schon aus dem bisher Geschriebenen.
In der nächsten Wahlperiode wollen wir den täglichen Flächenverbrauch für Siedlungszwecke auf drei Hektar pro Tag absenken. Dazu wollen wir in Modellregionen handelbare Flächenausweisungszertifikate erproben (in der Hoffnung, daß wir an der Regierung sind und wir dieses Instrument mit Koalitionspartner/n umsetzen können!). Die heute mögliche Baugebietsausweisung mit beschleunigtem Verfahren und ohne Umweltprüfung nach Paragraf 13b Baugesetzbuch lehnen wir in der derzeitigen Form ab.
Ein weiteres Instrument, um den Flächenverbrauch zu senken, ist es, unsere Ortszentren weiter zu revitalisieren und vorhandene Infrastruktur für umweltfreundliche Verkehrsmittel freizugeben. Wir wollen den Kommunen beispielsweise die Innenentwicklung erleichtern und die Pflicht einführen, die Potenziale zur Innenentwicklung zu erfassen und offenzulegen. Natürlich wissen wir, daß wir kurzfristig nicht ohne neue Ausweisung von Wohnflächen und auch Flächen für Gewerbe auskommen werden. Deswegen wollen wir durch eine Vielzahl von Förder-Programmen und Maßnahmen den Grundsatz „Innenentwicklung vor Außenentwicklung“ fördern und umsetzen. Zu diesen Maßnahmen gehört beispielsweise der Flächentausch und umfassender Geschosswohnungsbau. Hier müssen alle Beteiligten gemeinsam – und insbesondere auch die Kommunen – an Strategien und neuen Ansätzen arbeiten.
Darüber hinaus gibt es Aussagen hierzu in unserem Landtagswahlprogramm:
"Um den Flächenverbrauch einzudämmen, soll bezahlbarer Wohnraum durch Bauen nach oben entstehen. Wir wollen ein Förderprogramm für Dachausbauten und Aufstockungen für private Hausbesitzer*innen sowie kleine und mittlere Wohnungsunternehmen, beispielsweise mit der landeseigenen Förderbank L-Bank, auf den Weg bringen. Voraussetzung für die Förderung ist die Schaffung von bezahlbarem Wohnraum. Auch das Wohnraumförderprogramm kann dazu beitragen, nachhaltig mit Flächen umzugehen. Deshalb wollen wir dort Erbbaurechtsmodelle fördern. Nachdem verschiedene Hemmnisse für Aufstockungen in der Landesbauordnung ausgeräumt wurden, wollen wir ein entsprechendes Förderprogramm auflegen."
Durch die intensive Bautätigkeit sind in den vergangenen Jahren viele wertvolle Bodenflächen verlorengegangen.
Für unsere Landwirtschaft und den Naturschutz wollen wir diesen anhaltend hohen Flächenverbrauch reduzieren.
Herzliche Grüße nach Korntal-Münchingen
Ihr Markus Rösler