Frage an Markus Koob von Sabine W. bezüglich Menschenrechte
Moria: was sind die nächsten Schritte, um den Menschen dort zu helfen? 400 Kinder sind nur ein Bruchteil der Betroffenen. Setzen Sie sich dafür ein, dass Deutschland mehr Menschen aufnimmt? Was hindert uns noch daran?
Sehr geehrte Frau Weiner,
ich bedanke mich bei Ihnen für Ihre Nachricht zur aktuellen Situation in Moria, die mir die Gelegenheit gibt, die getroffenen Entscheidungen der Koalition etwas näher zu erläutern.
Auch mich und meine Kollegen der CDU/CSU-Bundestagsfraktion machen die Geschehnisse in Moria traurig und bestürzt. Die Bilder, die uns täglich aus Lesbos erreichten, sind nur schwer erträglich, denn die Lebensbedingungen werden dem humanitären Anspruch, den wir in der Europäischen Union an uns zurecht stellen, nicht gerecht. Als Abgeordnete leiten uns in dieser überaus schwierigen Lage vor allem zwei Grundüberzeugungen: Humanität und Ordnung. Geordnete Verfahren sowie ein geregelter Zugang zu unseren Asylsystemen sind die Voraussetzung, dass Europa auch in Zukunft in der Lage ist, humanitäre Aufnahmen in einem Umfang zu leisten, welche die Mitgliedstaaten bewältigen können und nicht überfordern. Gleichzeitig müssen die Anstrengungen verstärkt werden, diejenigen in ihre Herkunftsländer zurückzuführen, die keinen Anspruch auf Schutz in Europa haben.
In den kommenden Jahren gilt es, Wege der legalen Zuwanderung beispielsweise in Form von Ausbildungs- und Studienplätzen oder über Arbeitsmigration weiter zu stärken. Ein entsprechendes Zuwanderungsgesetz wurde deshalb bereits beschlossen. Das Recht auf Schutz vor Krieg und (politischer) Verfolgung muss aber auf die Menschen beschränkt bleiben, die hierauf auch wirklich einen Anspruch haben. Allen anderen muss dennoch selbstverständlich vor Ort geholfen werden.
Die Bundesregierung ist insbesondere vor diesem Hintergrund bereits seit Jahren intensiv bemüht, unsere griechischen Partner zu unterstützen, damit die Unterbringung von Schutzsuchenden menschenwürdigen Bedingungen entspricht und die Asylverfahren schnell und angemessen durchgeführt werden. Dazu gehören neben personeller, technischer und finanzieller Unterstützung der Verwaltungsstrukturen, insbesondere im Asylbereich, auch die Lieferung diverser angeforderter Sachleistungen. Erst im Frühjahr 2020 wurde zweimal der ECHO-Zivilschutzmechanismus (EUCPM) durch Griechenland aktiviert und deshalb Container zur medizinischen und sanitären Versorgung sowie Unterkunftsmaterialien durch Mitgliedstaaten der EU geliefert. Bereits im Dezember 2019 waren deutsche Hilfsgüter im Wert von 1,56 Mio. Euro nach Athen geliefert worden und Deutschland leistete schon im März 2020 im Rahmen des EU-Katastrophenschutzverfahrens Soforthilfe mit Hilfsgütern im Wert von weiteren 2,4 Mio. Euro (u. a. Winterzelte und Feldbetten).
In Reaktion auf die Bitte Griechenlands um Hilfsgüter unmittelbar nach dem Brand auf Lesbos hat Deutschland unverzüglich Schritte in die Wege geleitet, um den Bedarf mit abzudecken. Das THW hat in der Nacht vom 10. September auf den 11. September 2020 Material zusammengeführt und dieses mit einem ersten Konvoi nach Griechenland transportiert. Dabei handelt es sich um ca. 1.400 Feldbetten, 78 Zelte, 400 Schlafsäcke und Iso-Matten, die am Morgen des 15. September 2020 in Athen eingetroffen sind. Am 14. September 2020 ist ein zweiter THW-Konvoi mit 6.000 Schlafsäcken, 2.000 Decken, 2.160 lso-Matten Richtung Griechenland aufgebrochen. Ein dritter THW-Konvoi ist seit dem Morgen des 16. September 2020 mit 450 Familienzelten, 2 Sanitärcontainern und 5.500 Schlafsäcken auf dem Weg. Ein vierter THW-Konvoi wird in wenigen Tagen mit weiteren 500 Decken, 3.500 Schlafsäcken, 1.000 Faltkanistern, 1.000 Gewebeplanen und 2 Sanitärcontainern nach Griechenland aufbrechen. Zudem ist der Transport von 10.000 Koch-Sets und 48 Waschtischen vorgesehen. Zusätzlich werden 20 Sanitärcontainer vom THW über eine Spedition nach Griechenland verbracht, die dort voraussichtlich ab dem 26. September 2020 eintreffen werden. Zudem stellt das THW 295 große Müllbehälter zur Verfügung, die in Kürze in Athen eintreffen werden.
Aber auch andere europäische Staaten ließen Griechenland Hilfe bei der Versorgung der Migranten und Flüchtlinge zukommen. So wurden Griechenland seit 2015 insgesamt EU-Mittel in Höhe von 2,64 Mrd. Euro für den Bereich Migrationsmanagement zur Verfügung gestellt. Die europäischen Staaten inklusive Griechenland hatten Verbesserungen vorgenommen. Zudem hat Griechenland allein in diesem Jahr knapp 25.000 Menschen auf das griechische Festland gebracht. Im März lebten noch 20.000 Migranten in Moria, im September „nur“ noch 12.500. Die Verhältnisse wurden also durchaus verbessert. Aber ja, wir – auch Deutschland – hätten noch mehr tun müssen, um die Lage auf den griechischen Inseln massiv zu verbessern. Diese Herstellung zufriedenstellender und lebenswürdiger Zustände des dann neuen Lagers wird nun durch EU-Staaten und EU-Kommission nachgeholt werden. Dem kommt, wie eben geschildert, Deutschland nun noch verstärkter nach.
Auch die Aufnahme von Schutzsuchenden nach Deutschland ist ständiger und wesentlicher Bestandteil der Unterstützung unserer griechischen Partner. So hat Bundesinnenminister Seehofer in Umsetzung des Beschlusses des Koalitionsausschusses vom 8. März 2020 entschieden, im Rahmen einer Europäischen Initiative 53 unbegleitete Minderjährige und 243 behandlungsbedürftige Kinder nebst ihrer Kernfamilie nach Deutschland zu holen. Zwischenzeitlich sind davon 125 Kinder und 396 Familienangehörige sowie die unbegleiteten Minderjährigen eingereist.
Nach den schweren Bränden in der Unterkunft für Asylsuchende auf der Insel Lesbos, hat die Bundesregierung am 15. September beschlossen, einen Beitrag zur Linderung der humanitären Notlage zu leisten und der griechischen Regierung anzubieten, 408 Familien mit insgesamt 1.553 Personen nach Deutschland zu überstellen. Dabei handelt es sich sämtlich um Personen, die in Griechenland bereits als schutzbedürftig anerkannt waren und trotzdem noch in der Aufnahmeeinrichtung in Moria leben mussten. Des Weiteren hat Horst Seehofer bereits die unmittelbare Aufnahme von bis zu 150 der rund 400 unbegleiteten Minderjährigen von der Insel Lesbos zugesagt. Der Großteil der unbegleiteten Minderjährigen würden von Frankreich und Deutschland aufgenommen.
Die Bundesregierung hat angesichts der drängenden humanitären Lage auf den griechischen Inseln entschieden, das Angebot zur Aufnahme von 408 Familien mit insgesamt 1.553 Personen zu unterbreiten, bevor eine gesamteuropäische Lösung für weitere Asylsuchende gefunden wird. Sollte sich in den kommenden Tagen und Wochen eine solche Antwort unserer europäischen Partnerinnen und Partner abzeichnen, wird sich Deutschland auch hieran in einem seiner Größe und wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit angemessenen Rahmen beteiligen.
In sehr enger Abstimmung mit unseren griechischen Partnern werden wir dafür Sorge tragen, dass diese Geste nicht als Signal missverstanden wird, dass Deutschland allein die humanitären Probleme zu lösen bereit ist oder dass gar über Brandstiftung der Weg nach Mitteleuropa eröffnet werden kann. Deswegen begrüße auch ich es sehr, dass Griechenland nur die Umsiedlung von anerkannten Asylberechtigten gestattet und die Asylbewerber ihre Verfahren in der sehr schnell auf Lesbos zu errichtenden neuen Aufnahmeeinrichtung in Kara Tepe durchführen müssen.
Dies geschieht vor dem Hintergrund, dass die Europäische Kommission angekündigt hat, den von ihr schon lange angekündigten Migrationspakt, der erst kürzlich vorgestellt wurde, in den kommenden Wochen in den Mitgliedsstaaten der EU intensiv zu diskutieren. Das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat wird sich während der laufenden EU-Präsidentschaft aber auch danach in den Verhandlungen mit allem Nachdruck dafür einsetzen, dass sich die Mitgliedstaaten der EU auf eine Reform des Europäischen Asylsystems einigen, die den enormen Anforderungen gerecht wird und auch verhindert, dass die EU-Staaten an der Außengrenze überfordert werden. In den Augen meiner Bundestagsfraktion muss eine gemeinsame EU-Migrationspolitik diese vier Kriterien erfüllen, um einen europäischen Mehrwert zu schaffen:
Die EU braucht einen gemeinsamen, wirksamen Außengrenzschutz.
Asylgesuche müssen durchweg bereits an der europäischen Außengrenze gestellt und geprüft werden. Bei Nichtschutzbedürftigen muss eine Zurückweisung bzw. Rückführung direkt von dort aus erfolgen.
Sekundärmigration muss innerhalb Europas mit wirksamen Maßnahmen unterbunden werden. Mitgliedstaaten, die einmal für Bewerber zuständig geworden sind, müssen hierfür dauerhaft zuständig bleiben. Anspruch auf Sozialleistungen darf es dann nur in diesen Staaten geben.
Jeder EU-Staat muss seiner Verantwortung gerecht werden und einen angemessenen Beitrag in Bezug auf die Verteilung bzw. Versorgung der Schutzbedürftigen leisten.
Ich unterstütze den Weg der Bundesregierung als Mittelweg aus selbstverständlich humanitärem und notwendigerweise regelbasiertem Handeln.
Mit freundlichen Grüßen
Markus Koob