Ich war Teil des Bürgerrates Klima. Inwieweit sind Ihnen die Empfehlungen des Bürgerrates Klima bekannt und sind Sie persönlich bereit diese zu unterstützen und umzusetzen?
Sehr geehrter Herr Holler,
vielen Dank für Ihre E-Mail und die Nachfrage zur Arbeit der „Bürgerrates Klima“. Zunächst möchte ich mich für Ihr persönliches Engagement in den Beratungsrunden zu diesem wichtigen Thema bedanken. Die Arbeit und die Empfehlungen des Bürgerrates waren mir bislang nicht bekannt. Ich habe mich nunmehr über die Ergebnisse der Beratungen informiert.
Grundsätzlich kann ich Ihnen mitteilen, dass ich die übergeordneten Leitsätze der Initiative (z.B. Einhaltung 1,5 Grad-Ziel, sozial und global gerechter Klimaschutz, Bildungsangebote für besseren Klimaschutz) zum großen Teil teile. Auch vielen der ausführlicher dargestellten Forderungen wie z.B. der Einführung von europaweiten Datenbanken für Best-Practice-Beispiele bei der Gebäudesanierung, die weitere Erforschung sämtlicher klimaneutraler Antriebsformen oder den Ausbau der Schieneninfrastruktur kann ich Positives abgewinnen. Allerdings gibt es auch zahlreiche Ansätze, die ich nicht uneingeschränkt teile. So muss ich z.B. bei der geforderten Herabsetzung des Wahlalters auf 16 Jahre (ich gehe davon aus, dass die Bundestagswahl gemeint ist) und der Forderung nach einer klimaneutralen Wirtschaft anmerken, dass sich beide Forderungen an der Realität messen lassen müssen. Die FDP setzt sich nach intensiven internen Debatten für ein Wahlalter von 16 Jahren ein. Ich persönlich stehe hinter dieser gemeinsam mehrheitlich getroffenen Forderung, weise aber auch darauf hin, dass mit der Wahlberechtigung für die Bundestagswahl eben nicht nur das Thema Klimaschutz verbunden ist, sondern mit der Stimmabgabe auch über zahlreiche andere komplexe Themen mitentschieden würde. Ich bin skeptisch, ob an dieser Stelle in jedem Fall eine objektive und auf Fakten basierende Entscheidung für 16-jährige Erstwählerinnen und -wähler möglich sein kann oder ob die Gefahr einer (einseitigen) Einflussnahme zu groß ist.
Im Hinblick auf die Forderung nach einer klimaneutralen Wirtschaft kann ich die Zielsetzung nachvollziehen – muss aber dringend davor warnen, Deutschland für eine Insel der klimaneutralen Glückseligkeit zu halten. Wir benötigen das richtige Mittel aus Auflagen und Anreizen, um die Klimabilanz unserer Wirtschaft zu verbessern und keine Hauruck-Methoden, deren Erfolg ungewiss ist. Zudem müssen wir auch akzeptieren, dass nicht in allen Bereichen klimaneutrales Wirtschaften möglich ist. Auch diese möglicherweise für unser Land essentiellen Branchen und Wirtschaftszweige müssen Planungssicherheit haben und nach wie vor willkommen sein.
Unsere (energieintensiven) Unternehmen stehen ebenso wie andere große Teile unserer Industrie zumeist im globalen Wettbewerb. Es wäre fahrlässig, wenn wir die Wettbewerbsposition unserer Wirtschaft an dieser Stelle einseitig und zu stark durch energie- und klimapolitische Daumenschrauben schwächen würden. Im Ergebnis würde möglicherweise der deutsche Gesamt-CO²-Ausstoß sinken, die aus Deutschland abgewanderten Unternehmen würden Ihre Produktionsstätten allerdings lediglich in Länder verlagern und dort mit deutliche weniger Auflagen produzieren. Der globalen Klimabilanz käme dies kaum zugute und Arbeitsplätze in Deutschland wären unwiederbringlich verloren. In diesem Sinne müssen vor allem Anreize für Klimaschutz und für Investitionen in Innovationen geschaffen werden, die dann wiederum von den Unternehmen genutzt werden, um die eigene Klimabilanz zu verbessern. Dabei dürfen nach meiner Auffassung aber nicht allein Klimaneutralität und Umweltschutz über den Einsatz von wirtschaftspolitischen Instrumenten zur Gewährung eines Wettbewerbsvorteils entscheiden, wie es vom „Bürgerrat Klima“ gefordert wird, sondern es müssen auch Kriterien wie Effizienz, Arbeitsplatzsicherung und Steueraufkommen Berücksichtigung finden. Ich hielte es für falsch, aufgrund ihrer möglicherweise exorbitant hohen Produktionskosten am freien Markt kaum überlebensfähige Unternehmen unter Zuhilfenahme von wirtschaftspolitischen Instrumenten zu subventionieren und damit den marktwirtschaftlichen Wettbewerb auszuschalten. In diesem Sinne kann ich auch nicht die Forderung nach einer Streichung der EEG-Umlagen-Befreiung für energieintensive Industrien unterstützen, da auch an dieser Stelle Augenmaß anstatt pauschaler Streichungen stehen muss.
Weiteren Forderungen des Bürgerrates wie z.B. der Einführung von neuen Tempolimits (u.a. Tempo 30 in Innenstädten), der pauschalen Einführung einer City-Maut, der Photovoltaik-Anlagen-Pflicht für Neubauten, den erzwungenen Ausstieg aus dem Verbrennermotor, den Werbeverboten für vermeintlich klimaschädliche Lebensmittel, der einseitige Bevorzugung von Elektroautos und Fahrrädern oder dem Kohleausstieg bis 2030 kann ich ebenfalls nicht zustimmen. Die Feststellung, dass die „Geschwindigkeit der Energiewende […] Vorrang vor den Kosten [hat]“ ist in meinen Augen ebenfalls nicht zustimmungsfähig. Wie bei vielen anderen Punkten geht es auch hier um das richtige Augenmaß und die Wahrung einer Balance. Zu starke Belastungen führen zwangsläufig zu sinkender Akzeptanz und zur Verlagerung z.B. von energieintensiver Industrie, ohne dass dadurch im Ergebnis die globale CO²-Bilanz sinken würde.
Nach meinem Dafürhalten müssen wir den richtigen Mix finden, um durch die richtigen Anreize und eine Ausweitung des funktionierenden EU-Emissionshandels die Weichen für das Erreichen unserer Klimaziele zu stellen. Wichtig ist dabei, dass nicht durch einseitige Auflagen oder die zu starke finanzielle Belastung einzelner Gruppen oder Wirtschaftszweige Akzeptanz verloren geht oder die Verlagerung ins weniger reglementierte Ausland erfolgt. Damit wäre sowohl dem deutschen Industriestandort als auch den globalen Klimaschutzbemühungen ein Bärendienst erwiesen. Gemeinsam müssen wir mit klimadiplomatischen Instrumenten daran arbeiten, dass andere Länder sich dem Kampf gegen den Klimawandel anschließen. Alleine Deutschland kann dieses Problem nicht lösen – auch wenn wir selbstverständlich mit geeigneten Maßnahmen vorangehen können.
Mit freundlichen Grüßen
Markus Herbrand