Frage an Mark Helfrich von Lorenz D. bezüglich Arbeit und Beschäftigung
Sehr geehrter Herr Helfrich,
warum wird es mir als Azubi schwer gemacht finanziell auf eigenen Füßen zu stehen und eine Familie zu versorgen (ja, meine Frau ist Hausfrau), indem ich ohne gefragt zu werden, eine dreistellige Summe meines monatlich erwirtschafteten Einkommens an die Sozialkassen zahlen muss?
Da mich niemand gefragt hat ob ich eine Pflegeversicherung haben möchte, sehe ich es schlichtweg als Ausbeutung an, dazu gezwungen zu werden, diese zu zahlen.
Weder möchte ich diese Versicherung jemals in Anspruch nehmen, noch andere über meine Abgaben mitfinanzieren.
Eine Notwendigkeit oder gar ein Recht zum Einzug dieser Abgaben erschließt sich mir nicht.
Meine Frage daher an Sie: Gibt es Schritte in Ihrer Partei oder sehen Sie persönlich das Bedürfnis, die finanzielle Belastung der produktiv arbeitenden Menschen in diesem Lande durch Sozialabgaben zumindest zu veringern und den Menschen die Früchte ihrer Arbeit zu zu gestehen?
Ich danke im Voraus für Ihre Antwort und verbleibe
mit freundlichen Grüßen
Lorenz Dietrich
Sehr geehrter Herr Dietrich,
vielen Dank für Ihre Nachricht vom 29.08.2014, in der Sie die hohe Belastung durch die Zahlung von Sozialabgaben als Auszubildender beklagen, ihre Notwendigkeit, insbesondere der Beiträge zur Pflegeversicherung anzweifeln und mich um Stellungnahme bitten.
Deutschland ist ein Sozialstaat. Das Sozialstaatsprinzip ist in unserem Grundgesetz in Artikel 20 Abs. 1 festgeschrieben und kann selbst durch eine Änderung des Grundgesetzes nicht aufgehoben werden.
Ein Kernaspekt des Sozialstaats ist es, jedem Menschen eine Grundsicherung zu garantieren, ihm in Notlagen zu helfen und ihn gegen Lebensrisiken grundlegend finanziell abzusichern. Diesem Zweck dient unser Sozialversicherungssystem, das solidarisch finanziert wird, also von allen Versicherten gemeinsam. Somit kommen die Beiträge jedes Versicherten auch anderen Hilfsbedürftigen zugute, im eigenen Bedarfsfalle auch ihm. Ihrer Nachricht kann ich entnehmen, dass Ihre Frau Hausfrau ist. In dem Fall, dass sie keiner Erwerbstätigkeit nachgeht, wäre Ihre Frau über Sie familienversichert. Die Familienversicherung ist Ausdruck des Solidarprinzip, welches Grundpfeiler der Sozialversicherung ist, die Sie kritisieren.
Die Sozialversicherung in unserem Land bildet ein eng gewobenes Netz, das Ihnen im Fall der Fälle Halt bietet. Sie bietet Schutz vor Risiken, die die finanziellen Möglichkeiten eines Einzelnen überfordern würden. Wer beispielsweise einen Unfall hat, kann sich darauf verlassen, dass die Krankenhausbehandlung von der Krankenversicherung bezahlt wird. Für eine anschießende Rehabilitation sorgt bei Bedarf die Rentenversicherung. Wer danach noch nicht arbeiten kann, bekommt Krankengeld oder – bei Jobverlust – Arbeitslosengeld von der Arbeitsagentur. Wenn die Erwerbsfähigkeit gemindert ist, kommt eine Erwerbsminderungsrente in Betracht. Wer wegen einer Behinderung oder Krankheit auf Hilfe angewiesen ist, für den ist die Pflegeversicherung zur Stelle.
Berufsstarter und Pflege – das mag auf den ersten Blick nicht zusammenpassen. Und doch kann ein solches Schicksal auch junge Menschen treffen. Wir können unser Leben nicht vorausbestimmen. Vieles geschieht, ohne dass wir Einfluss darauf haben. Auch für die Menschen, die heute auf Pflege angewiesen sind, lief häufig alles glatt – bis zu dem Tag, an dem sie pflegebedürftig wurden.
Der Beitragssatz der von Ihnen angesprochenen Pflegeversicherung beträgt gerade einmal 2,05 Prozent Ihres Bruttoverdienstes. Sie teilen sich jedoch diesen Beitrag mit Ihrem Arbeitgeber. Zusätzlich zahlen Sie 0,25 Prozent wenn Sie 23 Jahre oder älter sind und keine Kinder haben. Auszubildende, welche einen Bruttoverdienst unter 325 Euro haben, sind nicht nur von den Beiträgen zur Pflegeversicherung, sondern ganz von den Sozialabgaben befreit. Die Beiträge zur Unfallversicherung werden sogar ganz allein vom Arbeitgeber getragen.
Die Frage, warum Sie und andere Nettozahlerinnen und –zahler, in unsere Sozialversicherung einzahlen sollen, trotzdem Sie Leistungen aus dieser in absehbarer Zeit nicht in Anspruch nehmen, ist natürlich berechtigt. Die Antwort ist einfach und überzeugend: Weil Sie mit hoher Wahrscheinlichkeit selbst eines Tages zu Nettoempfängerinnen und -empfängern werden und damit auf die Solidarität anderer angewiesen sind.
Mit freundlichen Grüßen
Mark Helfrich