Frage an Marian Wendt von René F. bezüglich Recht
Sehr geehrter Herr Wendt,
am 16.02.2016 brachte die Fraktion der "Die Linke" einen Entschliessungsantrag ein. Darüber wurde am 17.02.2016 im BT abgestimmt.
Der Bundestag sollte nach diesem Antrag die Bundesregierung auffordern, in Zukunft keine Lieferung von Rüstungsgütern nach Saudi-Arabien mehr zu genehmigen.
Nun frage ich mich, wie Sie gegen diesen Antrag stimmen konnten?
Woher wissen Sie denn, wie die Mehrheit im LK Nordsachsen über den Sachverhalt denkt, dass die Bundesregierung es genehmigt, dass die BRD weiterhin Waffen in einen Staat liefert, in dem die Scharia als Gesetzesgrundlage gilt (auch der IS handhabt es so, dass die Scharia geltendes Recht ist!)?
Ein Staat (besser gesagt - eine Monarchie!) der seit Monaten völkerrechtswidrig einen Krieg gegen den souveränen Staat Jemen führt und vor hat bzw. damit droht, völkerrechtswidrig in den Staat Syrien einzumarschieren!
Sie unterstützen also - im Umkehrschluss - Waffenlieferungen der BRD an einen Staat, der wissentlich und gegenwärtig das Völkerrecht bricht und ggf. vorhat in naher Zukunft das Völkerrecht wiederholt zu brechen und ggf. damit den 3. Weltkrieg auszulösen?
Sie wurden von der Mehrheit der Wähler in den Bundestag entsandt, um dort die Interessen des hiesigen Volkes zu vertreten. Sie stimmen also ganz bewusst gegen diesen Antrag, dass der Bundestag die Bundesregierung auffordert, nach Saudi-Arabien keine Waffenlieferungen nach Saudi-Arabien zu genehmigen, obwohl Sie ggf. davon ausgehen müssen, dass die Mehrheit solch einen Antrag unterstützen würde?
Ich weiß sehr wohl, dass ein BT-Abgeordneter nur seinem Gewissen verpflichtet ist, ABER als "Volksvertreter" ist er vor allem seinen Wählern verpflichtet - nicht seiner Koalition und nicht der Bundesregierung und schon gar nicht der Rüstungsindustrie!
Bitte beantworten Sie meine Fragen und erläutern mir, woher Sie die Legitimation für Ihr Abstimmungsverhalten nehmen.
Sehr geehrter Herr Fischer,
vielen Dank für Ihre Frage zum Thema Rüstungsexporte nach Saudi Arabien.
Bekanntlich sind Rüstungsexporte in erster Linie ein Instrument der Außen- und Sicherheitspolitik. Wie alle Länder hat Deutschland strategische Interessen, die es im Interesse der Sicherheit seiner Bürgerinnen und Bürger wahren muss. Rüstungsexporte sind dabei ein legitimes Instrument zur Durchsetzung dieser Interessen. Wenn ein Land als Partner einen Beitrag für die Sicherheit Deutschlands und der NATO leisten kann, so rechtfertigt dies auch die Lieferung von Waffen und Technologien. Wenn Deutschland als Rüstungspartner geschwächt wird, würden Russland oder China dies übernehmen und ihren niedrigeren Exportstandard anwenden.
Die Einschätzung, dass Saudi Arabien seit vielen Jahrzehnten ein Stabilitätsanker in einer für die Sicherheit Europas höchst bedeutsamen und gleichzeitig höchst instabilen Region ist, gilt nach meiner Einschätzung uneingeschränkt. Versuchen Sie doch einmal, die Alternative einer
politischen Instabilität in diesem größten Land im Nahen Osten in Gedanken durchzuspielen. Die Folgen für den gesamten Nahen Osten wären katastrophal und die Auswirkungen auf Europa ebenso dramatisch, wie ja bereits die aktuelle Flüchtlingskrise zeigt. Die Linke etwa macht sich unglaubwürdig, wenn sie für einen Ausbau der Beziehungen zum Iran plädiert im Bewusstsein, dass dort weitaus mehr Menschen hingerichtet werden.
Außen- und sicherheitspolitische Interessenlagen wechseln nicht im Halbjahresrhythmus. Deutschland hat ein Interesse daran, dass Saudi Arabien ein stabiles Land und ein Partner des Westens bleibt. Gleichzeitig gilt natürlich, dass wir auf allen Gesprächskanälen darauf dringen müssen (und auch dringen), dass Saudi Arabien weitere Fortschritte im Bereich der Menschenrechte macht.
Bitte bedenken Sie in diesem Zusammenhang auch folgendes:
Bereits heute zeigt sich, dass Saudi-Arabien offen wie nie zuvor ist für Einflussnahme von außen. Grund ist, dass das Land ökonomisch verletzlicher geworden ist als früher. Der niedrige Ölpreis zwingt das Land zu Reformen.
Ohne ausländische Investoren wird es keine Modernisierung der saudischen Wirtschaft geben, das weiß auch die Königsfamilie. Gleichzeitig ist dies aber auch ein Hebel für Einflussnahme durch Europa und die USA. Die saudische Regierung hat erkannt, dass Reformen unausweichlich sind, um die vielen Millionen jungen Saudis in den Arbeitsmarkt zu bringen. Das Land wurde in den vergangenen 20 Jahren politisch und wirtschaftlich - von vielen in Europa unbemerkt - stetig liberalisiert. Diese Veränderungen sollten wir im Westen, trotz der zugegebenermaßen oft verstörenden Bilder, nicht leichtfertig vom Tisch wischen.
Einige Beispiele: Im Jahr 2005 durften die Bürger Saudi Arabiens erstmals seit 1960 wählen. Die damaligen Kommunalwahlen waren die bis dahin wichtigste politische Reform in der 70-jährigen Geschichte des Königreiches.
Die Macht der einflussreichen Kleriker wurde ebenfalls eingeschränkt, indem z.B. wahabitische Gelehrte von den Mädchenschulen abgezogen wurden und ihnen durch neue Gerichte und kodifizierte Gesetze das Monopol in der Rechtsprechung genommen wurde. Die Scharia ist seitdem nicht mehr die einzige gültige Rechtsquelle. Gerade Frauen profitieren von dieser Liberalisierung. Inzwischen ist der Anteil saudische Frauen, die studieren, höher als der Männeranteil. Der Anteil von Frauen auf dem Arbeitsmarkt ist zwischen 2010 und 2014 um rund 50 Prozent gewachsen. Sie sind in der Privatwirtschaft, im diplomatischen Dienst und seit 2013 auch als Juristinnen tätig. Ende 2015 durften Frauen erstmals wählen und für kommunale Ämter kandidieren.
Natürlich sind die Menschenrechtsstandards in Saudi-Arabien noch weit von dem entfernt, was in den westlichen Demokratien in 400 Jahren erkämpft wurde. Aber bei aller Kritik darf man nicht übersehen, dass das Land in den 1950ger Jahren noch im Mittelalter steckte. Gesellschaftlicher Wandel, das gilt auch für Saudi-Arabien, braucht Zeit. Jeder Reformschritt muss mit den
immer noch mächtigen Klerikern und konservativ eingestellten Bevölkerungsteilen und Funktionsträgern ausgehandelt werden. Saudi-Arabien wirtschaftlich und politisch zu isolieren würde bedeuten, auch den Reformmotor abzuwürgen. Das würde die Reformer im Land schwächen, die
extremen Kräfte stärken und einen wichtigen Partner des Westens für die Beilegung des Syrienkonflikts destabilisieren. Daran kann auch Deutschland kein Interesse haben.
Diese Überlegungen sind meines Erachtens wichtig für das Verständnis der komplexen Zusammenhänge im Nahen Osten. Für Ihr Interesse an meiner politischen Arbeit im Deutschen Bundestag bedanke ich mich.
Mit freundlichen Grüßen
Marian Wendt, MdB