Frage an Maria Michalk von Karin L. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrte Frau Michalk,
die CSU-Abgeordnete Frau Eichhorn hat mich gebeten, meine von ihr unbeantworteten Fragen vom 13./21.09.08 Ihnen zu stellen.
Thema sind die von der BR nach der Wende heimlich annullierten Rentenanwartschaften nach FRG für festintegrierte Bundesbürger, die per Verwaltungsakt einen rechtsgültigen Feststellungsbescheid von der BfA erhalten haben ( s.a. Frage von Herrn Grabner ).
In Zahlen ausgedrückt, mein Ehemann hat für 16 J. Ingenieurtätigkeit, 1969 - 1984, in der ehemaligen DDR einen verbrieften Anspruch auf 537,91 € Rente nach FRG, die BfA ( DRV ) hat nach 14 Jahren 2002 mitgeteilt, dass diese Rentenanwartschaft annulliert worden ist und hat nach SVA 327,63 € ermittelt. Seine Kollegen in der ehemaligen DDR, gleicher Zeitraum, gleiches Gehalt, auch ohne FZR, erhalten 638,95 € Rente.
Dies ist eine ungesetzliche Beugung und Mißachtung des VwVfG.
Detaillierte Kenntnisse von dieser eklatanten heimlichen Rentenkürzung meines Ehemannes besitzt Ihr Ausschusskollege MdB Herr Schiewerling.
Der Staat haftet bei unangemessener Fürsorge und Nichterfüllung von Mitteilungspflichten der Behörden, wenn dadurch erhebliche geldwerte Nachteile für den Bürger entstehen. Stattdessen wurden unzählige Rentenerhöhungen an die staatshörigen Bürger der ehemaligen DDR genehmigt. Es ist eine Schande, wenn man den Film, Wir sind das Volk, sieht, dass brutale Mitarbeiter des MfS und andere MA des Staatsapparates, die wissentlich Menschen schikaniert haben, erheblich mehr Rente beziehen. Diese Menschen haben ihre Grundstücke, Hab und Gut behalten, wir durften nix mitnehmen bei unserer Ausreise.
Ein hoher Beamter der BfA sagte beim SG zu meinem Ehemann, keiner hat sie gezwungen, die DDR zu verlassen.
Entsprechen die geschilderten Vorgehensweisen der BfA unseren demokratischen Grundsätzen und sind diese verfassungskonform?
Welches Gesetz gestattet der BR eine de jure Rückverwandlung eines vollintegrierten Bundesbürgers in einen Bürger des Beitrittsgebietes?
MfG Karin Lerch
Sehr geehrte Frau Lerch,
ich danke Ihnen für Ihre Zuschrift.
Die Überleitung des sozialistischen Rentenrechts war und ist ein komplizierter Prozess. Uns ist bewusst, dass im Nachhinein keine Einzelfallgerechtigkeit möglich ist. Mich betrübt auch, wenn ich höre, dass Systemträger der DDR mehr Rente erhalten, als z.B. Techniker und Wissenschaftler. Doch hier haben Urteile des Bundessozial- bzw. Bundesverfassungsgerichts zusätzliche Verwerfungen gebracht. Und das manche Mitbürger ziemlich unsensibel Vorwürfe gegenüber sog. DDR-Flüchtlingen aufmachen, ist nicht gerade förderlich für die Einheit Deutschlands. Wir müssen uns eben alle bemühen.
Zum Sachverhalt selbst will ich grundsätzlich auf folgendes verweisen:
Der Demokratisierungsprozess in der ehemaligen DDR, der den Weg für die Wahl zur ersten frei gewählten Volkskammer der DDR ebnete, führte in der Folge zum Staatsvertrag vom 18. Mai 1990 über die Schaffung der Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der ehemaligen DDR. Mit der Schaffung der Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion zum 1. Juli 1990 mussten auch neue rentenrechtliche Lösungen für Übersiedler aus der ehemaligen DDR gefunden werden, denn das Eingliederungsprinzip des Fremdrentengesetzes widersprach der Vorstellung des künftigen Zusammenwachsens beider deutscher Staaten. Mit Artikel 20 Abs. 7 des Staatsvertrages wurde bestimmt, dass Personen, die nach dem 18. Mai 1990 ihren gewöhnlichen Aufenthalt aus dem Gebiet der einen Vertragspartei in das Gebiet der anderen Vertragspartei verlegten, ihre Rente aus den im jeweiligen Gebiet zurückgelegten Zeiten von dem für das Gebiet jeweils zuständigen Rentenversicherungsträger nach den für ihn jeweils geltenden Rechtsvorschriften erhalten. Durch Artikel 23 des Gesetzes zum Staatsvertrag wurde die Anwendung des Fremdrentengesetzes für rentenrechtliche Zeiten ausgeschlossen, die nach dem 18. Mai 1990 bei einem Träger der gesetzlichen Rentenversicherung der DDR zurückgelegt sind. Nach diesen Regelungen war damit für Übersiedler, die vor dem 19. Mai 1990 ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik genommen hatten, für die in der ehemaligen DDR zurückgelegten Beschäftigungszeiten weiterhin das Fremdrentengesetz anzuwenden.
Bei der Unterzeichnung des Staatsvertrages wurde noch von dem weiteren Fortbestehen zweier deutscher Staaten ausgegangen mit einer mittelfristigen Perspektive auf eine Angleichung des Rentenversicherungssystems der ehemaligen DDR an das auf den Grundsätzen der Lohn- und Beitragsbezogenheit beruhenden Rentenversicherungssystem der Bundesrepublik. Die enorme Dynamik des Wiedervereinigungsprozesses und der deswegen bereits kurze Zeit später folgende Einigungsvertrag machten jedoch eine schnellere Rechtsvereinheitlichung erforderlich als zunächst angenommen worden war. Mit Artikel 30 Abs. 5 des Einigungsvertrages wurde bestimmt, dass das Sechste Buch Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Rentenversicherung – (SGB VI) durch ein besonderes Bundesgesetz zum 1. Januar 1992 auf das Beitrittsgebiet überzuleiten ist. Diese Vorgabe des Einigungsvertrages ist mit dem Renten-Überleitungsgesetz (RÜG) vom 25. Juli 1991 umgesetzt worden.
Elementare Zielsetzung des RÜG war die einheitliche Geltung des Rentenrechts nach der Regelungssystematik des SGB VI für alle Rentenansprüche, die aus im Beitrittsgebiet zurückgelegten rentenrechtlichen Zeiten entstanden sind oder entstehen, ab dem 1. Januar 1992. Für Versicherte in den neuen Bundesländern mit einem Rentenbeginn in der Zeit vom 1. Januar 1992 bis zum 31. Dezember 1996 war als Vertrauensschutzregelung die Zahlung einer Vergleichsrente nach den Grundsätzen des am 30. Juni 1990 geltenden DDR-Rentenrechts vorgesehen, wenn dies für den Berechtigten günstiger war. Für Übersiedler aus der ehemaligen DDR, die bereits am 18. Mai 1990 ihren gewöhnlichen Aufenthalt in den alten Bundesländern hatten, sollte es zur Wahrung des Vertrauensschutzes bei der Anwendung des Fremdrentengesetzes verbleiben, wenn deren Rente vor dem 1. Januar 1996 begann. Aus Verwaltungsvereinfachungsgründen wurde diese Regelung durch das Rentenüberleitungs-Ergänzungsgesetz vom 24. Juni 1993 rückwirkend zum 1. Januar 1992 dahingehend geändert, dass diese Vertrauensschutzregelung nicht mehr auf den – sich eher nach Zufall ergebenden – Zeitpunkt des tatsächlichen Rentenbeginns bezogen ist, sondern für alle Versicherten gilt, die vor dem 1. Januar 1937 geboren sind und damit bei Inkrafttreten des einheitlichen Rentenrechts nach dem SGB VI bereits das 55. Lebensjahr vollendet hatten.
Kernziel der Vereinheitlichung des Rentenrechts war, dass grundsätzlich für alle Versicherten bei der Rentenberechnung die versicherten Entgelte zugrunde gelegt werden sollen. In einem vereinigten Deutschland sollte es längerfristig nicht zu einer unterschiedlichen Behandlung der im Beitrittsgebiet zurückgelegten rentenrechtlichen Zeiten kommen. Haben zwei Versicherte, zum Beispiel in Rostock, unter den gleichen Bedingungen gearbeitet und die gleichen Verdienste erzielt und diese Verdienste auch in gleichem Umfang versichert, so sollen beide auch gleich hohe Entgeltpunkte erhalten und zwar unabhängig davon, ob und ggf. wann sie ihren gewöhnlichen Aufenthalt in die alten Bundesländer verlegt haben. Hätte der Gesetzgeber bei der Vertrauensschutzregelung ausschließlich auf den Zeitpunkt des gewöhnlichen Aufenthalts in den alten Bundesländern abgestellt, so hätte das die Anwendung unterschiedlichen Rechts noch über Jahrzehnte hinweg zur Folge gehabt.
Die mit dem Renten-Überleitungsgesetz eingeführte Regelung ist weder von der
Sozialgerichtsbarkeit noch vom Bundesverfassungsgericht beanstandet worden.
Mit freundlichen Grüßen
Maria Michalk