Frage an Maria Flachsbarth von Jörg T. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrte Frau Dr. Flachbarth,
Warum haben Sie dem Tarifeinheitsgesetz zugestimmt???
In Ihrem Wahlkreis liegt die Eisenbahnerstadt Lehrte, somit wohnen hier auch viele Lokführer und Zugbegleiter etc..
Das Tarifeinheitsgesetz ist ein Eingriff in unsere Grundrechte, was jetzt juristisch geklärt und bewiesen werden wird.
Das die CDU so einem Gesetz zustimmt, kann man nicht glauben. Viele Wähler werden das würdigen.
Die ganze Energie, welche die Bundesregierung für das Tarifeinheitsgesetz verbraucht hat und noch verbrauchen wird, wäre in eine wirklich spürbare Gesundheits- und Pflegereform besser investiert gewesen!
Hauptsache den Arbeitgebern geht es gut!
Mit freundl. Grüßen
J. Töpke
Sehr geehrter Herr Töpke,
haben Sie vielen Dank für Ihre Anfrage vom 22. Mai 2015 zum Tarifeinheitsgesetz. Leider kann ich Ihnen Ihre Anfrage aufgrund einiger Krankheitsfälle in meinem Büro erst jetzt beantworten. Bitte entschuldigen Sie die Verspätung.
Das Tarifeinheitsgesetz sieht vor, dass eine gesetzliche Regelung der Tarifeinheit nach dem betriebsbezogenen Mehrheitsprinzip gesetzlich vorzuschreiben. Für den Fall, dass sich mehrere Tarifverträge zeitlich, räumlich, fachlich und persönlich im Betrieb überschneiden, gilt nur der Tarifvertrag mit den meisten Mitgliedern im Betrieb. Der Koalitions- und Tarifpluralismus soll in geordnete Bahnen gelenkt werden. Dabei sollen die verfassungsmäßigen Rechte der kleinen Gewerkschaften gewahrt bleiben.
Begründet wird die gesetzliche Regelung der Tarifeinheit mit der Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie. Um diese zu sichern, insbesondere ihre Schutz-, Verteilungs-, Befriedungs- sowie Ordnungsfunktion, sollen Tarifkollisionen in Betrieben künftig gesetzlich aufgelöst werden.
Das Arbeitskampfrecht soll durch das Tarifeinheitsgesetz nicht beeinträchtigt werden. Darüber hinaus wird über die Verhältnismäßigkeit von Arbeitskämpfen, mit denen ein kollidierender Tarifvertrag erkämpft werden soll, weiterhin im Einzelfall von den Arbeitsgerichten entschieden.
Unangetastet bleibt das Recht der Gewerkschaften, ihre jeweiligen Zuständigkeiten abzustimmen. Dies können sie beispielsweise durch Bildung einer Tarifgemeinschaft oder durch Absprachen untereinander erreichen. Nur für den Fall, dass hierüber keine Einigung erreicht wird, würde im Falle des Zusammentreffens von kollidierenden Tarifverträgen das Gesetz zur Regelung der Tarifeinheit greifen.
Die Mehrheitsgewerkschaft im Betrieb besitzt mit ihrem Tarifvertrag die größte Akzeptanz im Betrieb. Durch die Schaffung von Verfahrensrechten soll den Belangen der Mitglieder der Minderheitsgewerkschaft Rechnung getragen werden. Diese erhalten gegenüber der verhandelnden Arbeitgeberseite ein Anhörungsrecht. Zudem sind sie nun berechtigt, den Tarifvertrag der Mehrheitsgewerkschaft nachzuzeichnen.
Ich möchte an dieser Stelle deutlich machen, dass das hohe Gut des Betriebsfriedens und der Koalitionsfreiheit hier in einem Konflikt stehen. Der Betriebsfrieden hat uns in Deutschland eine jahrzehntelange und vorbildlich funktionierende Sozialpartnerschaft gebracht. Der Wert einer funktionierenden Sozialpartnerschaft ist ein Markenzeichen in Deutschland, um das uns die ganze Welt beneidet. Tarifkonkurrenz von Branchen- und Spartengewerkschaften könnten sich aufschaukeln. Dies kann zu einem Überbietungswettbewerb führen, indem der Betrieb nicht mehr zur Ruhe kommt. Die Tarifkonflikte in den vergangenen Monaten sind hier die Beispiele. Außerdem kann eine betriebliche Lohnpolitik nicht funktionieren, wo nur die einzelnen Machtpositionen von Berufsgruppen honoriert werden und eine Vielzahl von Interessenkonflikten in den Betrieb hineingetragen werden.
Das Gesetz ist deshalb auch sehr vorsichtig ausgefallen, weil uns die Verfassung enge Grenzen setzt. Ich persönlich halte das Streikrecht für ein ganz wesentliches Recht einer Gewerkschaft. Aber ich habe nach wie vor den Eindruck, dass die Gewerkschaften in Deutschland verantwortungsvoll mit dem Streikrecht umgehen. Die Streiktage in Deutschland sind im Vergleich zu anderen Ländern in Europa, auch im Vergleich beispielsweise mit den Vereinigten Staaten, sehr gering.
Unabhängig von der Verabschiedung des Tarifeinheitsgesetzes hat die Bundesregierung mit dem Pflegestärkungsgesetz, dem Gesetz zur besseren Vereinbarkeit von Familie, Pflege und Beruf und dem Hospiz- und Palliativgesetz wesentliche Investitionen in die Gesundheits- und Pflegereform geleistet. Durch das erste Pflegestärkungsgesetz wurden bereits seit dem 1. Januar 2015 die Leistungen für Pflegebedürftige und ihre Angehörigen spürbar ausgeweitet und die Zahl der zusätzlichen Betreuungskräfte in stationären Pflegeeinrichtungen erhöht. Zudem wurde ein Pflegevorsorgefonds eingerichtet. Mit dem zweiten Pflegestärkungsgesetz soll noch in dieser Wahlperiode der neue Pflegebedürftigkeitsbegriff und ein neues Begutachtungsverfahren eingeführt werden.
Das Familienpflegezeitgesetz schafft verbesserte Rahmenbedingungen für die familiäre Pflege und die Vereinbarkeit von Familie, Pflege und Beruf. Seit dem 1. Januar 2015 ist eine 10-tägige Pflegeauszeit mit einer Lohnersatzleistung analog dem Kinderkrankengeld gekoppelt. Außerdem hat die Bundesregierung einen Rechtsanspruch auf Familienpflegezeit, zur Betreuung pflegebedürftiger Kinder und zur besseren Absicherung des Lebensunterhaltes der Beschäftigten während der Familienpflegezeit eingeführt. Durch einen Anspruch auf ein zinsloses Direktdarlehen durch das BAFzA ist es jeder und jedem möglich, diese Familienpflegezeit auch in Anspruch zu nehmen. Die Höchstdauer der Pflegezeit und Familienpflegezeit beträgt für jeden pflegebedürftigen Angehörigen längstens 24 Monate.
Auch mit dem Gesetzentwurf zur Verbesserung der Hospiz- und Palliativversorgung in Deutschland haben wir einen wichtigen Schritt hin zu einem flächendeckenden Hospiz- und Palliativangebot in ganz Deutschland getan. Der Gesetzentwurf sieht Reformen in der gesetzlichen Krankenversicherung, in der sozialen Pflegeversicherung und im Krankenhauswesen vor. Er enthält Regelungen zur ambulanten Palliativ- und Hospizversorgung der Versicherten in der häuslichen Umgebung und zur stationären Versorgung in Pflegeeinrichtungen, Hospizen und Krankenhäusern. Bei diesem Gesetzentwurf geht es darum, was für unsere Gesellschaft Menschenwürde und Selbstbestimmung in der letzten Lebensphase bedeutet. Schwerstkranke Menschen sollen die Gewissheit haben, dass sie in ihrer letzten Lebensphase nicht allein sind und in jeder Hinsicht gut versorgt und begleitet werden. Denn jeder schwerstkranke Mensch soll die Hilfe und die Unterstützung bekommen, die sie oder er in der letzten Lebensphase wünscht und benötigt.
Die Bundesregierung hat diese Gesetzesnovellen zur Gesundheits- und Pflegeversicherung ganz unabhängig vom Tarifeinheitsgesetz auf den Weg gebracht, da sie dieser Thematik eine außerordentlich große Bedeutung beimisst.
Mit freundlichen Grüßen
Gez. Maria Flachsbarth