Frage an Maria Flachsbarth von Horst S. bezüglich Finanzen
Sehr geehrte Frau Dr. Flachsbarth,
danke für Ihre Ausführungen. Zur Vervollständigung hier eingen Anmerkungen, die m.E. in Ihrer Antwort zu kurz kommen:
1. Griechenland hat im Mai 2010 ein erstes Rettungspaket von 110 Mrd Euro erhalten (80 Mrd Euro durch bilaterale Kredite der Eurozone und 30 Mrd Euro vom IWF). Im FAZ-Gespräch am 24.7.10 kündigte Herr Schäuble an, dass die Rettungsschirme für Griechenland drei Jahre laufen. Danach sei Schluss. Auch Herrn Schäubles damalige Ankündigungen, er sehe eine gewisse Entspannung in Griechenland und die Defizitreduktion sei nicht wachstumsfeindlich, zeichnen ihn als wahren Fachmann aus. (Griechenlands Schuldenquote ist von damals 110% auf jetzt 170% gestiegen, obwohl zwischenzeitlich ein Schuldenschnitt von 100 Milliarden Euro stattgefunden hat. Das "Wachstum" war durchgängig negativ und hat zum Verlust von einem Fünftel des Bruttoinlandsprodukts geführt.)
2. Im Juli 2011 beschloss die Euro-Gruppe ein zweites Griechenlandpaket in Höhe von 109 Mrd Euro (plus 50 Mrd Euro "freiwillige" Privatgläubigerbeteiligung). EU-Ratspräsident van Rompuy erwartete, dass damit alle finanziellen Bedürfnisse Griechenlands bis 2014 abgedeckt seien (hier). Die Umsetzung dieses Pakets verzögerte sich aber und als der Bundestag im Februar 2012 darüber beschloss, hatte man das Volumen bereits auf 130 Mrd Euro erhöht (plus 100 Mrd Euro "freiwilliger" Schuldenschnitt). Im November 2012 wurde das Paket erneut um 47 Mrd Euro auf nunmehr 177 Mrd Euro erhöht.
3. Seit langem sind sich alle Experten einig, dass Griechenland einen weiteren Schuldenschnitt braucht - nur die Bundesregierung leugnet dies hartnäckig. Derzeit hat Griechenland einen Schuldenstand von 350 Mrd. Euro. Die sog. Schuldentragfähigkeit Griechenlands unter realistischen Annahmen liegt bei deutlich unter 100 Mrd Euro, d. h. Griechenland ist eindeutig völlig überschuldet.
4. Nun braucht Griechenland weitere Kredite, die niemals zurückbezahlt werden können.
Wie verantworten Sie das?
Sehr geehrter Herr Schuberth,
vielen Dank für Ihre Frage vom 21. August via abgeordnetenwatch.de, in der Sie unter Bezugnahme Ihres vorherigen Schreibens noch einmal Ihre Sichtweise und Argumente bezüglich der Staatsschuldenkrise in Griechenland äußern. Gerne nehme ich hierzu Stellung:
Wir wussten von Anfang an, dass die Probleme in Griechenland größer und tiefgreifender sind, als in den anderen Krisenländern. Es war falsch, Griechenland 2001 schon in die Währungsunion aufzunehmen. Das heißt aber nicht, dass das Land den Währungsraum heute einfach wieder verlassen könnte. Dagegen sprechen rechtliche, auch handfeste ökonomische Gründe, denn mit einem solchen Schritt wäre sehr wahrscheinlich ein heftiges Wiederaufflammen der Krise in ganz Europa verbunden. Griechenland hat keine Chance, außerhalb der Euro-Zone in absehbarer Zeit wieder auf die Beine zu kommen. Es führt kein Weg daran vorbei: Das Land muss die vereinbarten Reformen weiter konsequent umsetzen.
In der Tat hat sich die Situation im Land anfangs stärker verschlechtert als erwartet. Das mussten alle dazulernen. Gleichwohl war der Weg richtig. Nur über eine Mix aus Strukturreformen und Haushaltskonsolidierung kann das Land sich absehbar wieder selbst an den Finanzmärkten refinanzieren. Das ist das Ziel der Hilfsprogramme.
So muss unter anderem die Wettbewerbsfähigkeit Griechenlands, insbesondere seiner Zukunftsbranchen, erhöht werden: Zu diesen gehören z.B. die Reedereien, der Transport, der Tourismus, grüne Technologien, die Pharma-Branche und der Schiffsbau. Hierzu müssen die Maßnahmen aus dem Wachstumspakt (Steigerung von Wachstum, Beschäftigung, Investitionen und Wettbewerbsfähigkeit) umgesetzt werden, wozu in den nächsten Jahren EU-weit 120 Milliarden Euro für Investitionen zur Verfügung stehen sollen. Zusätzlich stehen EU-weit 6 Milliarden Euro für Jugendbeschäftigung zur Verfügung. Ergänzend soll eine stärkere Inanspruchnahme der EU-Strukturfonds helfen, neue wirtschaftliche Impulse zu setzen .
Die Eurogruppe und Griechenland haben sich im November und Dezember 2012 auf Maßnahmen geeinigt, die die Schuldentragfähigkeit in Griechenland verbessern (Ziel 126,6 % des BIP 2020 bzw. 115 % des BIP 2022), darunter Zinssenkung für den ersten bilateralen Kredit um weitere 100 Basispunkte, Verzicht auf die Garantiegebühr von 10 Basispunkten bei EFSF-Darlehen und Transfer von Gewinnen, die die EZB aus den Anleihekäufen im Rahmen des SMP-Programms an die Zentralbanken weitergibt. Die Euro-Länder haben bereits damals zugesagt, weitere Maßnahmen in Betracht zu ziehen, damit eine glaubwürdige und nachhaltige Reduzierung der griechischen Schuldenquote erreicht werden kann, sobald Griechenland, wie im aktuellen Anpassungsprogramm angestrebt und abhängig von der vollständigen Umsetzung sämtlicher im Programm beinhalteten Bedingungen, eine jährlichen Primärüberschuss erreicht.
Sehr geehrter Herr Schuberth, es stimmt nicht, dass alle Experten einen Schuldenschnitt befürworten. Da wird im Überschwang der Erregung gerne etwas übertrieben. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat dazu eine dezidierte Position. Jede ernsthafte Diskussion über einen Schuldenschnitt wäre extrem schädlich. Wir haben immer wieder betont, dass der erste Schuldenschnitt für Griechenland auch der letzte war. Jetzt Griechenland einen weiteren Schuldenschnitt in Aussicht zu stellen wäre Gift für das langsam zurückkehrende Investorenvertrauen in der Euro-Zone. Zudem würde eine solche Diskussion den Reformdruck von Griechenland nehmen; auch das kann nicht unser Ziel sein.
Viele Kritiker der Euro-Stabilisierungspolitik erwecken den Anschein, als ob die von ihnen anscheinend befürwortete Alternative (Schluss mit den Hilfsprogrammen, Ausritt einiger "Südländer") zweifelsfrei eine gute Lösung für Deutschland darstellt und es auf keinen Fall zu Kosten für den Steuerzahler kommen würde. Viele Ökonomen sind aber der Auffassung, dass zumindest das Risiko besteht, dass ein solcher Schritt in der weiterhin fragilen Lage der Eurozone eine Verschärfung der Unsicherheiten mit einer hohen Wahrscheinlichkeit von Ansteckungseffekten auf andere Problemländer und eines Auseinanderbrechens der gemeinsamen Währung mit sich bringen würde. Das wäre für Deutschland mit immensen Kosten verbunden. Die ausgetretenen Länder hätten keinen Zugang mehr zum internationalen Kapitalmarkt, würden den Staatsbankrott erklären und mit ihren Gläubigern eine radikale Umschuldung aushandeln, deren wirtschaftliche Folgen für Deutschland nicht absehbar sind. Es ist meines Erachtens illusorisch, dass ein Austritt mehrerer Länder oder gar eine Auflösung der Währungsunion in einem geordneten, rationalen Verhandlungsprozess ohne Friktionen erfolgen könnte. Dass ein solches Szenario zumindest nicht unmöglich ist, sollten auch die Kritiker unserer Stabilisierungspolitik nicht verschweigen.
Sehr geehrter Herr Schuberth, ich hoffe, Ihnen mit diesen Ausführungen meine Position nachvollziehbar erläutert zu haben und verbleibe
mit freundlichen Grüßen
gez. Maria Flachsbarth