Frage an Maria Flachsbarth von Reinhard N. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrte Frau Flachsbarth,
ich habe mit Interesse ihre Ausführungen betreffend der Gesetzesvorlage zur Beschneidung von Jungen verfolgt. Dazu hätte ich einige Fragen:
1. Wieso ist die Auftreilung bei der Expertenanhörung mit 9:2 zuGunsten der Befürworter so unausgewogen und wieso wurden hier keine Betroffenen zugelassen?
2. Können sie mir beantworten, wieso sie es abstrus finden, dass gerade Deutschland das nach ihren Aussagen das 1. Land wäre, das die Beschneidung zumindest auf ein bestimmtes Alter festlegt? Sie erwähnen in diesem Zusammenhang den Antisemitismus - eine Aufschiebung der Beschneidung hat doch nichts mit einem Verbot oder gar Antisemitismus zu tun. Ist ihnen die Meinung von anderen Staaten wichtiger als das Wohl eines nicht wehrfähigen Kindes?
3. Haben sie sich Gedanken darüber gemacht, dass nicht die Beschneidung der Kern des Problems darstellt sondern die Langzeitwirkung? Haben sie Langzeitauswirkung in ihren Abwägungen mit Berücksichtigt? Haben sie auch Gespräche mit Betroffenen geführt und nicht nur mit Urologen?
4. Meine letze Frage: Glauben sie, dass ein Kind, das mit dem Begriff "Religion" auf Grund seines Alters (und der Gesetzgeber hat hier die Grenze von 14 Jahren definiert) nichts anfangen kann von einer Religionsgemeinschaft ausgeschlossen/ausgegrenzt wird, wenn es nicht beschnitten wäre. Wenn dem so wäre, so würden gerade die Eltern bzw. die Religionsgemeinschaft die Religionsfreiheit verletzen. Wenn dem nicht so ist, dann ist eine Beschneidung nicht notwendig, bis das Kind selber darüber urteilen kann. Können sie mir diese Frage bitte beantworten.
Vielen Dank für ihre Antwort,
mit freundlichen Grüssen
Reinhard Niederländer
Sehr geehrter Herr Niederländer,
vielen Dank für Ihre Anfrage, die Sie mir am 23. November über Abgeordnetenwatch haben zukommen lassen.
Mit breiter Mehrheit hat der Deutsche Bundestag mit den Stimmen der CDU/CSU und der FDP-Fraktion, aber auch mit Unterstützung von Abgeordneten der SPD, Bündnis90/Grüne und die LINKE die gesetzliche Regelung über den Umfang der Personensorge bei einer Beschneidung eines männlichen Kindes beschlossen. Damit ist nun eindeutig festgeschrieben – was im Übrigen bis zum Urteil des Langerichts Köln nicht in Frage stand – dass Eltern im Rahmen ihrer elterlichen Sorge in die Beschneidung ihres Sohnes, die lege artis durchgeführt wird, einwilligen dürfen. Ich freue mich, dass der Deutsche Bundestag mit seiner breiten Zustimmung auch ein deutliches Zeichen dafür gesetzt hat, dass jüdisches und muslimisches Leben in Deutschland auch weiterhin willkommen ist und hier eine Heimat hat. Im Vorfeld der Entscheidung habe sowohl ich persönlich als auch meine Kolleginnen und Kollegen selbstverständlich - wie das bei komplexen Gesetzesvorhaben im Übrigen grundsätzlich der Fall ist - die Expertise von Sachverständigen eingeholt. Bei der Frage der Knabenbeschneidung waren dieses neben den Vertretern aus Islam und Judentum, Juristen - aber auch Urologen, Pädiater, Kinder- und Jugendpsychiater und ähnliche Fachgebiete. Und selbstverständlich habe ich auch mit Betroffenen gesprochen, nämlich mit zahlreichen männlichen Vertretern der beiden Religionsgemeinschaften. Gerne erläutere ich Ihnen im Folgenden noch einmal die wesentlichen Inhalte des Gesetzes sowie die Gründe, warum ich das beschlossene Gesetz für eine gute Regelung halte:
Die rechtliche Klarstellung ist im elterlichen Sorgerecht verankert, das am Maßstab des Kindeswohls gemessen wird. Zum Wohl des Kindes muss dabei gewährleistet sein, dass die Beschneidung nach den Regeln der ärztlichen Kunst durchgeführt und gleichzeitig der traditionelle religiöse Ritus bewahrt bleiben kann. Dazu sind verbindliche Standards festgeschrieben, die bei der Beschneidung männlicher Kinder zu beachten sind:
- Die Beschneidung muss fachgerecht („nach den Regeln der ärztlichen Kunst") durchgeführt werden, insbesondere möglichst schonend und mit einer möglichst effektiven Schmerzbehandlung.
- Vor dem Eingriff muss - wie bei jedem anderen nicht medizinisch indizierten Eingriff auch - besonders umfassend über alle damit verbundenen Risiken und mögliche Folgen aufgeklärt werden.
- Die Eltern müssen - wie bei allen Erziehungsentscheidungen - den Kindeswillen, soweit ein solcher schon gebildet werden kann, in ihre Entscheidung über die Beschneidung mit einbeziehen und beide Elternteile müssen ihre Zustimmung erklären.
- Von einer Beschneidung ist abzusehen, wenn im Einzelfall das Kindeswohl gefährdet würde.
So möchte ich noch einmal unterstreichen, dass wir wissen und anerkennen, dass allen Eltern, gleich welcher Religion sie angehören, zuallererst am Wohl ihrer Kinder gelegen ist. Dies ist bei einzelnen Äußerungen, mit denen in den vergangenen Monaten oft unsensibel über ein zentrales Element der jüdischen und islamischen religiösen Praxis gesprochen wurde, ausgeblendet worden. Ich hoffe, dass mit der gesetzlichen Regelung nun auch eine Debatte, die in der Öffentlichkeit teilweise mit unangemessenen Argumenten geführt wurde, beendet ist.
Mit freundlichen Grüßen
M.Flachsbarth