Frage an Maria Flachsbarth von André G. bezüglich Staat und Verwaltung
Sehr geehrte Frau Dr. Flachsbarth,
anlässlich der aktuellen Debatte zum neuen Meldegesetz, wollte ich Sie fragen, wie sie zur Gesamtsituation stehen.
Wie kam es, dass überhaupt nur so wenige Abgeordnete anwesend waren? Wäre der Bundestag überhaupt beschlussfähig gewesen? Wenn ich ehrlich bin, fallen mir häufiger sehr leere Bänke im Bundestag auf, wenn ich mal einen Livestream öffne oder im Fernsehen reinschalten sollte.
Viel mehr interessiert mich aber, welche der möglichen Lösungsvorschläge Sie favorisieren: Soll es ein "Zustimmungsrecht" geben, sodass jeder Bürger vor der Weitergabe seiner Daten zu z.B. Werbezwecken eindeutig zustimmen muss, oder nur ein Widerspruchsrecht?
Ich hoffe, Sie können mir diese Fragen beantworten.
Mit freundlichen Grüßen
André Geisler
Sehr geehrter Herr Geisler,
haben Sie vielen Dank für Ihr Schreiben vom 10.Juli 2012 auf der Internetplattform abgeordnetenwatch zur aktuellen Diskussion zum neuen Meldegesetz.
Zu Ihrer ersten Frage hinsichtlich der Beschlussfähigkeit des Deutschen Bundestages kann ich Ihnen folgendermaßen antworten:
Der Deutsche Bundestag ist ein Arbeitsparlament, dessen Abgeordnete grundsätzlich für alle Themen zuständig sind, als Fachpolitiker aber insbesondere für die Themen der Ausschüsse, denen sie angehören. Ich selbst bin Mitglied des Umweltausschusses und Berichterstatterin für erneuerbare Energien und Endlagerung von atomaren Abfällen.
Die Plenarsitzungen finden in Sitzungswochen jeden Donnerstag und Freitag statt; donnerstags durchgehend von 9 bis mindestens 21 Uhr - oft viel länger - und freitags von 9 bis ca. 15 Uhr. Die Anwesenheit aller Abgeordneten ist meistens in den Debatten nur in der sog. Kernzeit zwischen 9 und 11 Uhr gegeben. Später sind i.d.R. nur die Fachpolitiker, d.h. die Mitglieder der beteiligten Ausschüsse anwesend. Daher ist das Plenum häufig mit weniger als der Hälfte der Mitglieder des Bundestages besetzt. Die Geschäftsordnung sieht deshalb vor, dass die Feststellung der Beschlussfähigkeit nur auf ausdrückliches Verlangen erfolgt. Die nicht im Plenum anwesenden Abgeordneten arbeiten in ihren Büros, betreuen Besuchergruppen oder stimmen sich mit ihren Kolleginnen und Kollegen ab. Ich selbst war in dieser Legislaturperiode donnerstags nur selten in den Plenardebatten, da ich als Vorsitzende des Gorleben-Untersuchungsausschusses - wie alle seine anderen Mitglieder - zu der Zeit im Ausschuss gearbeitet habe.
Nun zu Ihrer Frage zum neuen Meldegesetz:
Die Bundesregierung sah sich zu einer neuen Regelung des Melderechts veranlasst, weil aufgrund der Föderalismusreform und einer damit einhergehenden Grundgesetzänderung gemäß Art. 73 Abs. 1 Nr. 3 des Grundgesetzes der Bund für das Meldewesen ausschließlich zuständig geworden ist.
Die neue Regelung des § 44 des Gesetzes zur Fortentwicklung des Meldewesens (BMG), das der Bundestag am 28. Juni verabschiedet hat, sieht vor, dass die Erteilung einer einfachen Melderegisterauskunft - vorrangig nur Namen und Anschrift - für Zwecke der Werbung und Auskunft ausgeschlossen ist, wenn der Bürger hiergegen Widerspruch einlegt.
Richtschnur für die geplante Widerspruchsregelung ist ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 21.6.2006 (Az: BVerwG 6 C 05.05), in dem ein Widerspruchsrecht des Betroffenen für ausreichend angesehen wurde, weil das Recht auf informationelle Selbstbestimmung aus Art. 1 und 2 Grundgesetz, also dem Recht grundsätzlich selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten zu bestimmen, nicht schrankenlos zu gewährleisten ist. Der Betroffene muss grundsätzlich Einschränkungen seines Rechts auf Datenpreisgabe im überwiegenden Allgemeininteresse hinnehmen. Dies hatte auch schon das Bundesverfassungsgericht im Jahre 1983 entschieden. Solche allgemeinen Interessen bestehen zum Beispiel bei Personen, gegen die ein gerichtlicher Titel vollstreckt werden dürfte oder bei Personen, gegen die ein Unterhaltsanspruch besteht oder auch bei Kaufleuten oder Vermietern, die ohne diese Daten ggf. auf unbezahlten Rechnungen sitzen bleiben würden.
Der Bundestag hatte sich auch deshalb für eine Widerspruchsregelung entschieden, weil er sich weitgehend am Recht der bisherigen Landesgesetze orientieren wollte. Einem Recht auf Einwilligung des Betroffenen, so wie es der Entwurf der Bundesregierung zunächst vorgesehen hatte, ist der Bundestag nicht gefolgt, weil im Gespräch mit Praktikern aus den Kommunalverwaltungen sehr schnell deutlich geworden ist, dass eine solche Regelung nicht durchführbar gewesen wäre und die Kommunen vor erhebliche personelle und finanzielle Probleme gestellt hätte.
Für eine Widerspruchsregelung spricht auch eine Regelung aus dem Bundesdatenschutzgesetz, das in § 20 Abs. 5 auch (nur) ein Widerspruchsrecht des Betroffenen vorsieht, soweit seine personenbezogenen Daten erhoben, genutzt oder verarbeitet werden. Dieses Gesetz wurde zuletzt im Jahr 2009 durch die Große Koalition überarbeitet.
Hervorzuheben ist, dass die Auskünfte nicht kostenlos zu haben sind. Die Kommunen verlangen hierfür eine Gebühr zwischen 7 und 15 Euro. Bereits hierdurch ist eine massenhafte Abfrage, so wie sie von vielen Bürgern befürchtet wird, für Werbefirmen uninteressant. Diese enthalten Adressdaten vielmehr durch Datensammlungen bei gewerblichen Rabattsystemen und Preisausschreiben.
Er ist nun abzuwarten, welche Änderungen das Meldegesetz im weiteren parlamentarischen Verfahren, also den Beratungen im Bundesrat und ggf. Vermittlungsausschuss, erfahren wird.
Mit freundlichen Grüßen
gez. Dr. Maria Flachsbarth MdB