Frage an Maria Flachsbarth von Klaus C. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrte Frau Dr. Maria Flachsbarth,
habe Sie für eine Rüge an Herrn Norbert Lammert gestimmt (siehe nachfolgenden Text)?
Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) hatte damals großen Unmut ausgelöst, weil er außer der Reihe die Abgeordneten Klaus-Peter Willsch (CDU) und Frank Schäffler (FDP) ans Rednerpult ließ, die von ihren Fraktionen abweichende Meinungen vertraten. Die Fraktionschefs hatten protestiert, der Ältestenrat erteilte Lammert eine Rüge.
Abgeordnete sollen im Bundestag künftig nur noch ans Rednerpult treten dürfen, wenn sie ihrer Fraktion nach dem Mund reden. Das sieht ein Entwurf von Union, SPD und FDP vor.
Sind Sie für diese Änderung?
Mit freundlichen Grüßen
Klaus Conrad (Lehrte)
Sehr geehrter Herr Conrad,
vielen Dank für Ihre Nachricht, in der Sie Ihre Besorgnis in Anbetracht der Presseberichterstattung über eine Änderung der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages schildern. Gerne nehme ich nachfolgend dazu Stellung.
Ihre Zuschrift, wie die vieler anderer Bürgerinnen und Bürger, die mich in den vergangenen Tagen erreicht haben, decken ein verbreitetes Missverständnis der geplanten Neuregelung der Geschäftsordnung auf. Als Mitglied des Ältestenrates des Deutschen Bundestages habe ich die Beratungen dazu begleitet und möchte diese Bedenken gerne ausräumen.
Im Gegensatz zu einigen Pressemeldungen beabsichtigte der Geschäftsordnungsausschuss des Bundestages meines Wissens keine Regelung, nach der Abgeordneten, die nicht die Mehrheitsmeinung ihrer Fraktion teilen, das Wort in einer Plenardebatte verwehrt werden soll. Das Rederecht aller Abgeordneten ist verfassungsrechtlich verbürgt; dieses kann durch die Geschäftsordnung des Bundestages selbstverständlich nicht aufgehoben werden. Allerdings ist es schon aus organisatorischen Gründen unumgänglich, dass bei jeder Plenardebatte – egal zu welchem Thema – die Fraktionen mit dem Präsidium, das die Sitzungen leitet, die Rednerinnen und Redner festlegen. In diesem Zusammenhang möchte ich Sie gerne auf die bereits bestehenden, detailliert verfassten Vorschriften über das Rederecht nach den §§ 35 ff. der Geschäftsordnung des Bundestages (GOBT) aufmerksam machen, wonach die Redezeit für alle Redner begrenzt ist. Auch für Mitglieder der Bundesregierung oder des Bundesrates gibt es kein unbegrenztes Rederecht, s. § 35 Abs. 2 GOBT.
Deshalb stimme dem Bundestagspräsidenten bezüglich der Analyse der politischen Realität voll zu, wonach den Fraktionen im parlamentarischen Geschehen eine ungleich stärkere Rolle zukommt, als sie sich unmittelbar aus Verfassung und Geschäftsordnung ergibt (vgl. FAZ vom 21.04.2012). Das hat sich in der parlamentarischen Praxis als vernünftig herauskristallisiert. Seit Jahrzehnten benennen die Fraktionen für jede Debatte einige Abgeordnete, die im Namen aller (also der Fraktion) im Plenum sprechen, damit die Öffentlichkeit deren Standpunkte und Argumente aus erster Hand erfahren kann. Daneben gab es aber immer auch Fälle, in denen Abgeordnete mit einer anderen Meinung das Wort außerhalb dieser Rednerlisten erhalten haben. Dies wird auch weiterhin möglich sein. Außerdem haben Abgeordnete, die nicht als Redner benannt sind, gem. § 27 Abs. 2 GOBT das Recht, über Zwischenfragen oder eine Kurzintervention in die Debatte einzugreifen.
Im Übrigen halte ich allerdings das Wort "Maulkorb" der Kritiker für zu weitgehend. Denn auch wenn zur Debatte stand, sog. "Abweichlern" die Redezeit zu kürzen, haben auch wir Abgeordneten vielfältige Möglichkeiten, unsere Ansicht kundzutun, etwa in den Fraktionssitzung, den Arbeitsgruppen- und Ausschusssitzungen oder durch die Presse. Mitunter verschaffen über die Medien verbreitete Äußerungen uns Abgeordneten eine weitaus höhere öffentliche Aufmerksamkeit, als eine auf wenige Minuten begrenzte Rede im Plenum des Deutschen Bundestages – was für eine parlamentarische Demokratie auch nicht unproblematisch ist.
Wie Sie den Medien entnehmen konnten, wird es eine Neuregelung des Rederechts zunächst nicht geben. Alle Bundestagsfraktionen haben sich jedoch darauf geeinigt, eine einvernehmliche Regelung zu finden, die dem Rederecht des einzelnen Abgeordneten ein hohes Gewicht beimisst und die Funktionsfähigkeit des Parlaments ermöglicht.
In der Hoffnung, Ihnen mit diesen Ausführungen die Debatte hilfreich erläutert zu haben, verbleibe ich
mit freundlichen Grüßen
M. Flachsbarth