Frage an Maria Flachsbarth von Behning H. bezüglich Umwelt
Sehr geehrte Frau Dr. Flachsbarth
Am 14.05.2007 beantworten Sie eine Frage von Frau Klotz wie folgt.
- Ich bin der festen Überzeugung, dass eine sichere Endlagerung unbedingt geboten ist. Der Salzstock Gorleben ist in den 70er Jahren in einem anspruchsvollen Verfahren, das international Maßstäbe gesetzt hat, für die Erkundung ausgewählt worden. Grundlage war ein Katalog mit u.a. geologischen, raumplanerischen und sozioökonomischen Kriterien, die bis heute Gültigkeit haben.
Seit heute sind die Akten bezüglich Gorleben im Internet auf der Seite Gorleben-Akten.de für jederman Einsehbar. Aus diesen Akten ergib sich das das von Ihnen angesprochene anspruchsvolle Verfahren, das zur Auswahl des Salzstockes Gorleben geführt hat keine vier wochen gedauert hat.
Meine Frage:Geben die Akten ein falsches Bild wieder oder war das Wahlverfahren fürGorleben doch nicht so Anspruchsvoll wie von Ihnen beschrieben ?
Könnten Sie mir den Katalog mit den geologischen, raumplanerischen und sozioökonomischen Kriterien zu kommen lassen oder mir mitteilen wo ch diesen einsehen kann.
Für Ihre Bemühungen danke ich Ihnen im voraus
und verbleibe
mit freundlichen Grüßen
Helmut Behning
Sehr geehrter Herr Behning,
vielen Dank für Ihre Anfrage via abgeordnetenwatch vom 14. April 2010, in dem Sie sich auf meine Antwort an Frau Klotz vom 14.05.07 beziehen.
Die Entscheidung vom Februar 1977, den Standort Gorleben im Land Niedersachsen im Hinblick auf die Errichtung eines Nationalen Entsorgungszentrums einschließlich Endlager zu untersuchen, ist konsequent auf der Grundlage eines Auswahlverfahrens getroffen worden, dessen sachliche Kriterien noch immer heutigen Maßstäben genügen.
Nachdem die Bundesanstalt für Bodenforschung (heute Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe) 1963 eine Empfehlung zur Endlagerung in Steinsalzformationen abgegeben hatte und die Bundesregierung 1974 das Konzept des "Integrierten Nuklearen Entsorgungszentrums" vorlegte (Wiederaufarbeitung abgebrannter Brennelemente, Brennelementfabriken, Einrichtungen zur Behandlung aller Arten radioaktiver Abfälle und die Endlagerung aller Arten von radioaktiven Abfälle an einem Ort), wurden in einer Machbarkeitsstudie acht Standorte untersucht. Drei wurden im Jahr 1975 ausgewählt. Diese sollten im Auftrag des Bundes in einem dreijährigen Forschungsprogramm vergleichend untersucht werden.
Analog zur Erkundung an den drei Standorten durch den Bund wurde im Mai/Juni 1976 von der Landesregierung Niedersachsen eine interministerielle Projektgruppe zur Standortsuche für ein nukleares Entsorgungszentrum eingesetzt. Neu im Vergleich zu den Verfahren des Bundes war die Anwendung eines wesentlich erweiterten Kriterienkataloges. Auch Standorte in Grenznähe zur ehemaligen DDR wie der Standort Gorleben wurden nicht mehr ausgeschlossen. Insgesamt wurden 140 Salzstöcke betrachtet.
Im folgenden möchte ich Ihnen die vier Phasen des niedersächsischen Auswahlverfahrens 1976/1977 schildern (Quelle: www.bmwi.de):
In Phase 1 erfolgte eine grobe Prüfung von 140 Salzstöcken nach einem 3 x 4 km großen Standortgelände oberhalb des Salzstockes. Von 140 Salzstöcken blieben 23 übrig.
In Phase 2 wurden die Auswahlkriterien vor allem unter geologischen Gesichtspunkten weiter verfeinert. Es blieben 13 Standorte übrig. Auf Anraten des Niedersächsischen Landesamtes für Bodenforschung (NLfB) wurde zusätzlich noch der Standort Höfer mit einbezogen.
Auswahlkriterien:
-Lage des 3 x 4 km2 großen Standortgeländes im Vergleich zu Salzstockumrissen,
-Größe des Salzstocks (je größer, desto besser),
-Tiefe des Salzstocks (nicht tiefer als 800 m),
-Bevölkerungsdichte in der Standortregion und
-vorhandene konkurrierende Nutzungsansprüche.
In Phase 3 erfolgte zusätzlich zu den geologischen Aspekten eine umfassende Anwendung von Auswahlkriterien nach Vorgaben des damals zuständigen Bundesministerium des Inneren. Diese Kriterien lassen sich in die drei Gruppen
1. Sicherheit und Umwelt,
2. Infrastruktur und
3. Strukturpolitik
einteilen. Es blieben die vier Standorte Wahn, Lichtenhorst, Gorleben und Höfer.
Auswahlkriterien:
-radiologische Sicherheit und Strahlenschutz,
-Bevölkerungsdichte und -verteilung,
-Beschaffenheit des Baugrundes,
-Risikobetrachtung bezüglich Erdbeben und Überflutungen,
-Geologie des Endlagerstandortes als entscheidende Kriteriengruppe,
-Tiefenlage der Salzstockoberkante (möglichst nicht tiefer als 500 m unter Gelände),
-keine Gebiete, in denen Trinkwasserentnahmen stattfinden (oder geplant sind),
-keine Wasserwerke oder Grundwasservorranggebiete im Abstrom des Standortes,
-optimale Verbindung zu regionalen und über regionalen Verkehrssystemen (Bundesbahn, Autobahn, Wasserstraßen),
-Besiedlung sowie Abbau- und Eigentumsrechte in unmittelbarer Nachbarschaft und
-Wasserversorgung für das Entsorgungszentrum mit Grundwasser und Oberflächenwasser sowie
-Möglichkeit der Einleitung von Salzlösungen.
In Phase 4 wurden die vier im Bereich der Salzstöcke Wahn, Lichtenhorst, Gorleben und Höfer gelegenen Standorte einer weiteren intensiven Prüfung und Diskussion unterzogen. Für die entscheidende Sitzung des Landeskabinetts am 22. Februar 1977 wurden in einer Kabinettvorlage der Auswahlprozess und die Vor- und Nachteile der vier übrig gebliebenen Standorte ausführlich dargelegt. Dabei wurde der Standort Höfer als eher nachteilig angesehen, da dort bereits ein Salzbergwerk existierte. Am Standort Wahn bestanden Bedenken wegen eines Übungsgeländes der Bundeswehr, das diese nicht aufgeben wollte. Der Salzstock Lichtenhorst hatte den Nachteil, dass er im Grundwasservorranggebiet von Hannover lag. Der Vorteil des Standortes Gorleben bestand in der Ausdehnung des Salzstockes (ca. 40 km2), in seiner Tiefenlage von 300 bis 3500 m sowie in seiner Unverritztheit.
Sehr geehrter Herr Behning, weitere Informationen zum Auswahlverfahren und den Kriterien erhalten Sie u.a. in der Publikation des Bundeswirtschaftsministeriums „Endlagerung hochradioaktiver Abfälle in Deutschland – Das Endlagerprojekt Gorleben“. Sie ist auch als PDF unter www.bmwi.de einsehbar.
Bei Rückfragen stehe ich gern zur Verfügung.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Maria Flachsbarth MdB