Frage an Maria-Elisabeth Fritzen von Jens H. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen
Sehr geehrte Frau Maria-Elisabeth Fritzen,
ich habe Fragen zu einer Verhüllung eines Denkmals zum Gedenken an Trümmerfrauen durch die Grünen.
Hier ein Link, Grüne bei der Verhüllung:
http://www.merkur-online.de/lokales/muenchen/stadt-muenchen/truemmerfrauen-denkmal-verhuellt-3257780.html
Wie ist Ihre Meinung zu dieser Verhüllung?
Finden Sie es nicht eigenartig, dass Grüne der Meinung sind, dass gerade Trümmerfrauen kein Denkmal verdienen.
Was denken Sie? Sollten die Grünen nicht über das eigene Treiben nachdenken, z.B. über die eigene Kriegsbefürwortung?
Durch die Kriegsbefürwortung der Grünen war es überhaupt erst möglich einen völkerrechtswidrigen Krieg gegen Jugoslawien zu führen. Dieser Krieg hat dann zu sehr vielen Opfern geführt und weite Landstriche sind durch Uranmunition verseucht worden. Das haben auch die Grünen zu verantworten.
Durch den Ausspruch von Fischer (Grüne) „Nie wieder Auschwitz“
( hier nachlesbar:
http://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/die-gruenen-und-die-ukraine-krise-nie-wieder-auschwitz/9698508-2.html )
motivierte er die Grünen für den illegalen Kriegseinsatz zu stimmen.
Dass der Vergleich mit Auschwitz Kriegspropaganda ist, das ist in dieser Doku der ARD
http://www.youtube.com/watch?v=d8kVavVWvfk
zu sehen (ab 17Minuten 45 Sekunden).
Ich denke, wenn man die ganze Doku sieht , dann ist eine Rechtfertigung dieses Krieges nicht mehr möglich und das damalige Abstimmungsergebnis im Bundestag unverständlich.
Wie denken Sie und die Grünen heute über diesen Kriegseinsatz?
Sollten nicht alle Kriegsbefürworter (die, die damals im Bundestag für diesen Krieg gestimmt haben) und Kriegstreiber (die, die zum Krieg aufgestachelt haben) vor Gericht gestellt werden?
Dass dieser Krieg völkerrechtswidrig war, das hat Schröder (damaliger Kanzler) zugegeben und ist hier nachzulesen:
http://www.handelsblatt.com/politik/international/voelkerrecht-und-die-krim-krise-die-rechtsverdreher/9605122.html
MFG
Jens Helmcke
Sehr geehrter Herr Helmcke,
sie sprechen zwei aus meiner Sicht nicht miteinander verbundene Aspekte an, die ich daher auch getrennt beantworten möchte.
1. Die Leistung von "Trümmerfrauen", also Frauen, die nach dem Krieg in den zerbombten Städten Trümmer beiseite räumten und beim Wiederaufbau tatkräftig waren ist nicht pauschal zu bewerten. Diese Frauen waren natürlich wie die gesamte Bevölkerung zum Teil Menschen, die dem Nationalsozialismus verbunden waren und ihn bis zuletzt unterstützten. Insofern es weder eine Kollektivschuld geben kann, muss dies ebenfalls für eine Kollektivehrung gelten. Die Münchner Situation, die im Übrigen seit Jahrzehnten kontrovers diskutiert wird, ist insofern eine besondere als dort laut Recherchen des Münchner Stadtarchivs zu berücksichtigen ist „dass 1945/46 vor allem Männer (Kriegsgefangene, landwirtschaftliche Arbeiter, Studenten und Flüchtlinge) zu Schutträumaktionen herangezogen wurden. Viele dieser Maßnahmen wurden unter Zuhilfenahme von Fahrzeugen der US-Army durch deutsche Kriegsgefangene ausgeführt. Durch Aufrufe in Rundfunk und Presse wurden zudem ehemalige Nationalsozialisten aufgefordert, sich zur freiwilligen Trümmerräumung zu melden. Andernfalls würde man ihnen die Lebensmittelzuteilungen entziehen. Daraufhin stellten sich nachweisbar 1.330 Männer und 102 Frauen als ehemalige Nationalsozialisten bzw. Nationalsozialistinnen zur Verfügung. Für den frühen Zeitraum 1945/46 gilt demnach der signifikante Befund, dass der größte Teil der Schutträumaktionen von Männern bewältigt wurde.
Während der Nachkriegsjahre wurden Schutträumaktionen zudem in beträchtlichem Umfang von Baufirmen mit professionellem männlichem Personal durchgeführt. Auch hier waren kaum Frauen beschäftigt. Eine am Lehrstuhl für Bayerische Geschichte Anfang der 1980er Jahre erarbeitete und von dem Historiker Friedrich Prinz herausgegebene Publikation zur Münchner Nachkriegszeit (Trümmerzeit in München, München 1984, S. 298) spricht folgerichtig von der „Legende der ´Trümmerfrau´“ und kommt zu dem eindeutigen Ergebnis: ‚Gewiß haben auch in München viele Frauen bei den Schutträumungsaktionen mitgearbeitet, Ziegel geputzt, Steine aufgeladen, Loren geschoben und Gehsteige enttrümmert; sie sind jedoch statistisch nicht erfaßt. Im Gegensatz zu Berlin, wo die Legende der ´Trümmerfrau´ entstand, kann der Anteil der Frauen an der Schutträumung selbst, vor allem an der professionellen, von Baufirmen durchgeführten Trümmerbeseitigung, in München nicht sehr groß gewesen sein.‘“ (Stellungnahme des Stadtarchivs München zur Debatte um die Münchner „Trümmerfrauen“ und die „Wiederaufbaugeneration“, 10.12.2013) Vor diesem Hintergrund mag die Aktion der Münchner Grünen für Sie nicht akzeptabel sein, was ich respektiere, aber sie wird vielleicht etwas verständlicher.
2. Der Kosovo-Krieg ist die schwierigste, umstrittenste und schmerzhafteste Entscheidung grüner Politik. Richtig ist, dass eine Intervention ohne VN Mandat gegen das Völkerrecht verstößt und sicher trifft auch Ihre Kritik der Verhältnismäßigkeit zu.
Allerdings finde ich bleibt trotz dieser berechtigten Kritik an der Art und Weise des Einsatzes festzuhalten, dass der Luftkrieg gegen die Bundesrepublik Jugoslawien von deutscher und internationaler Seite keineswegs kurzsichtig oder fahrlässig vom Zaun gebrochen wurde. Vielmehr war er das Ergebnis einer äußerst schwierigen politischen Entscheidungsfindung im Lichte der Schrecken von Screbrenica, die von einer intensiven Auseinandersetzung einer durchaus informierten Öffentlichkeit begleitet wurde.
Die Frage, die es zu beantworten galt, war daher: Wie kann ein erneuter Bürgerkrieg und die Wiederholung der Tragödie von Bosnien-Herzegowina verhindert werden? Können wir bei einem möglichen weiteren Genozid einfach zusehen? "Können wir Prinzipien höher stellen als Menschenleben, und was wird aus unserem Prinzip der Gewaltfreiheit, wenn es sich vor der menschenverachtenden Gewalt beugt"? (Fischer)
Ich selbst habe diese Frage als Delegierte auf dem Rostocker Parteitag nach langem Ringen und intensiver Debatte damals mit "Ja, wir müssen es machen" beantwortet. Mir war klar, egal wie man sich in dieser Lage entscheiden würde, keiner bliebe ohne Schuld. Wer vom Kosovo-Krieg spricht, darf über die drei vorangegangenen Kriege von Milosević, von Srebrenica und der Belagerung Sarajewos nicht schweigen. In Regierungsverantwortung konnten wir uns nicht davor drücken, uns auch mit den Konsequenzen eines Nichteingreifens auseinander zu setzen, also mit der Frage, was ein Nichteingreifen gegen die Unterdrückungs-, Zwang- und ethnischen Vertreibungspolitik von Milosević und was das Gewähren lassen bei der Verletzung von fundamentalen Menschenrechtsprinzipien bedeutet hätte. Nichthandeln wäre eine Form von Kapitulation der Politik vor dem menschenverachtenden Milosević-Regime gewesen. Wobei zugegeben ist, dass "Politik" hier eben auch Kriegseinsatz bedeutete, was eben kein Mittel der Politik sein sollte. Da aber andere Sanktionsmöglichkeiten (z.B. wirtschaftliche) nach dem Bosnien-Krieg ausgereizt waren, blieb als einziges Druckmittel nur noch die Androhung militärischer Gewalt.
Die Frage der Alternative stellte sich auch über den betroffenen Raum hinaus. Schließlich hatten sich im Gefolge des Zusammenbruchs der ökonomischen, politischen und sicherheitspolitisch-militärischen Systeme in Osteuropa überall Konfliktpotentiale aufgetan, die in gewaltsamen Ausbrüchen und Auseinandersetzungen auszuarten drohten. Die Frage ist, ob ohne den Kosovo-Krieg, ein weiterer Flächenbrand in Montenegro und Mazedonien hätte verhindert werden können.
Diese Entscheidung ist bis heute umstritten. Nach einer Kette ungenutzter Chancen erschien die militärische Intervention im Kosovo als notwendiges Übel, um die Totalvertreibungen der Albaner und ein mögliches zweites Screbrenica zu verhindern. Außenminister Fischer konnte den Krieg nicht verhindern. Allerdings trug er mit dem sogenannten "Fischer-Plan" wesentlich dazu bei, eine Eskalation in einen Bodenkrieg zu vermeiden.
Der Kosovo-Luftkrieg war und ist für uns Grüne gleichzeitig ein abschreckendes Zeichen für eine verspätete Konfliktbewältigung, für einen Militäreinsatz ohne UN-Mandat und eine Kriegführung, die zunehmend auf zivile Infrastruktur zielte. Die Massenvertreibungen der albanischen Bevölkerung konnten letztlich rückgängig gemacht werden und die Kriegspolitik von Milosević beendet werden. In Folge der militärischen Intervention der NATO kam es demgegenüber zur Flucht und Vertreibung vieler Kosovo-Serben.
Ich bin mir persönlich zunehmend unsicherer, ob und inwieweit Friedenssicherung mit militärischen Mitteln überhaupt möglich sein kann. Militärische Lösungen haben immer auch eine schnell einsetzende Eigendynamik, die nicht leicht be grenzbar ist. Ich frage mich aber auch, ob das biblische Prinzip des "Hinhaltens der anderen Wange" wirklich weiterhilft. Insofern sehe ich den Kosovo-Krieg als notwendige Lehre. Im Rahmen der Völkerrechtsdiskussion und der Vereinten Nationen trug er zur Entwicklung des Konzepts der internationalen Schutzverantwortung ("Responsibility to Protect") bei. Die Diskussion aber bleibt: Ist, kann Krieg oder militärischer Einsatz "Politik" ersetzen bzw. ab wann ist genau diese durch Krieg und militärische Mittel erpressbar?
Mit freundlichen Grüßen
Marlies Fritzen