Frage an Marco Bülow von Christian N. bezüglich Soziale Sicherung
Guten Tag Herr Bülow,
mit ständig wachsender gesellschaftlicher Wahrnehmung und Beteiligung wird die Idee eines "bedingungslosen Grundeinkommens" (www.grundeinkommen.info) diskutiert.
Auch ich bin von der Vorstellung in der gesellschaftlichen Realität eines Grundeinkommens zu leben seit längerem sehr angetan.
Wie bewerten Sie das wachsende gesellschaftliche Interesse an diesem Konzept und wie die Idee des bedingungslosen Grundeinkommens selbst?
Gruß aus Dortmund,
Christian Nähle
P.S.: Ich finde die Bürgernähe und Meinungstransparenz Ihrerseits, die Sie durch dieses Portal leisten sehr gut!
Sehr geehrter Herr Nähle,
vielen Dank für Ihre Anfrage auf abgeordnetenwatch zum Thema „bedingungsloses Grundeinkommen“.
Das Konzept des Grundeinkommens geht davon aus, dass alle Sozialleistungen gestrichen würden und stattdessen der Staat jedem einzelnen Bürger monatlich ein Grundgehalt auszahlen würde. Dies würde ohne Bedürftigkeitsprüfung und ohne Gegenleistung geschehen. Man unterscheidet zwischen Grundeinkommen und Bürgergeld. Einige Experten gehen davon aus, dass man durch ein Grundeinkommen die Garantie hätte, das niemand in absolute Armut fallen würde. Das Bürgergeld, so wie es die FDP vorschlägt, lehne ich definitiv ab, weil es zu wenig zum Leben wäre.
Die Idee eines bedingungslosen Grundeinkommens erscheint zunächst ganz einfach und gut für jede Bürgerin und jeden Bürger. Da alle die gleiche Leistung erhielten, wären Arbeitslose in der Gesellschaft nicht länger stigmatisiert.
So schön die Grundidee des bedingungslosen Grundeinkommens auch ist, sie ist sicherlich schwer umsetzbar und schwer finanzierbar. Genauer betrachtet ist das Modell auch nicht nur sozial. Die Befürworter wollen das Grundeinkommen mit einer einheitlichen Einkommenssteuer refinanzieren. Dies widerspricht unserem Sozialstaatsmodell, denn Sozialleistungen werden überwiegend zielgenau auf die tatsächlich Bedürftigen zugeschnitten. Die Stärkeren sorgen für sich selbst und tragen mehr zur Finanzierung des Sozialstaats bei als die Schwächeren. Gleichzeitig entfiele mit der progressiven Einkommensteuer ein zentrales Umverteilungsinstrument. Diese Logik widerspricht meiner Meinung nach dem Gerechtigkeitsempfinden vieler Menschen in Deutschland.
Meiner Ansicht nach blenden alle Konzepte für ein Grundeinkommensmodell die Vielschichtigkeit von Armut in unserer Gesellschaft vollkommen aus. Die Ärmeren unter uns leiden oft nicht nur an Geldknappheit, sondern gerade auch an fehlenden Chancen aktiver Teilhabe, an mangelnder Bildung und der "Vererbung" sozialer Benachteiligung.
Die SPD will, dass alle Bürgerinnen und Bürger gesellschaftlich und individuell über Arbeit integriert werden. Nur ein vorsorgender Sozialstaat, der Familien-, Bildungs-, Arbeitsmarkt- und Integrationspolitik intelligent miteinander vernetzt, kann im 21. Jahrhundert soziale Gerechtigkeit herstellen.
Die SPD muss vor allem alles daran setzen, die Armut in Deutschland zu bekämpfen und die Aufstiegschancen zu garantieren. Der 3. Armut- und Reichtumsbericht der Bundesregierung hat deutlich gezeigt, dass zwar die Arbeitslosenquote zurück ging (von 13 % in 2005 auf 10,1 % in 2007), die Armutslöhne nahmen allerdings zu. Die zunehmende Spaltung zwischen Arm und Reich wird immer größer. Wenn man das liest, kann man meines Erachtens nicht mehr von sozialer Gerechtigkeit sprechen. Die Kluft zwischen Arm und Reich darf nicht noch größer werden, wir müssen sie stoppen.
Die SPD will vor allem, dass die Menschen die Möglichkeit haben, sich über ihre Arbeit zu verwirklichen. Daher ist es wichtig, dass ein gesetzlich flächendeckender Mindestlohn einführt wird und dass die Rente zu einer universalen Sozialversicherung entwickelt wird. Das heißt, alle zahlen entsprechend ihrer Leistungsfähigkeit ein, aus allen Einkommensarten und ohne Beitragsbemessungsgrenze. Ich denke auch, dass die Wiedereinführung der Vermögenssteuer und einer höheren Erbschaftssteuer wichtig wären.
Aber grundlegend ist auch, sowohl die Bildung als auch die Weiterbildung zu stärken und zu fördern. Jeder hat ein Recht auf Bildung und kein Jugendlicher darf nach der Schule in die Arbeitslosigkeit gehen. Hier sind vor allem auch die Länder gefragt, ihre Bildungssysteme zu optimieren.
Die Verfechter des Grundeinkommens hingegen wollen die Säulen der Sozialversicherung (Rente, Arbeitslosigkeit, Pflege, Unfall) einfach abbauen, die Fürsorgesysteme und Maßnahmen zur Arbeitsförderung einstellen. Berufliche Weiterbildung, Ausbildung Benachteiligter, beschäftigungsbegleitende Leistungen – alle staatlichen Hilfen, mit denen die Bürgerinnen und Bürger auf eigene Füße kommen sollen, würden dadurch abgeschafft. Der Staat zahlt das Grundgehalt und überlässt die Hilfsbedürftigen sich selbst. Es wird sicher den Effekt geben, dass eine Reihe von Menschen dann stetig auf das Grundeinkommen angewiesen bleiben.
Ein bedingungsloses Grundeinkommen könnte natürlich den Gedanken aufbringen, das Arbeit etwas ist, das jeder nach Laune tun oder lassen kann. Die gesellschaftliche Vorstellung über den Wert von Arbeit könnte negativ verändert werden. Ich sage an dieser Stelle „könnte“, weil ich es natürlich auch anders sein „könnte“. Vielleicht würde es aber auch positive Effekte haben und die Menschen wären beispielsweise mutiger in ihren Arbeitsplatzentscheidungen, eben weil sie ein gesichertes Grundeinkommen haben.
Ich bin mir auch darüber bewusst, dass die Alternative unserer bisherigen Modelle auch mit vielen Nachteilen behaftet ist. Wir laufen Gefahr, dass uns im freien Spiel der Märkte die Arbeit ausgeht. Es ist nicht gelungen, dass die Chancengleichheit für mehr Menschen erreichbar werden konnte. Auch die Kluft zwischen Arm und Reich wurde eher vergrößert. Gelungen ist es, die Arbeitslosigkeit in den letzten Jahren abzubauen. Dies sorgt dafür, dass mehr Mittel für soziale Leistungen zur Verfügung stehen.
Ich glaube aber auch, dass es andere Instrumente als das Grundeinkommen geben könnte, diesen Zustand zu verbessern und unser System gerecht und zukunftssicher zu machen.
Aber wenn die Bürger, bedingt durch das Grundeinkommen ihre Arbeit reduzieren, würde die Produktivität unserer Wirtschaft sinken. Dies hätte geringere Erlöse und steigende Preise zur Folge. Dann müsste das Grundeinkommen natürlich entsprechend erhöht werden. Aber es kann natürlich nur das Geld an alle verteilt werden, das alle gemeinsam erwirtschaftet haben.
Wie Sie sehen, gibt es meines Erachtens viele umstrittene Punkte bezüglich eines bedingungslosen Grundeinkommens. Ich persönlich habe noch keine abschließende Meinung. Wichtig ist es aber, auf jeden Fall eine differenzierte Betrachtung vorzunehmen.
Ich hoffe, dass ich Ihnen damit zunächst genügend antworten konnte.
Mit freundlichen Grüßen
Marco Bülow