Frage an Marco Bülow von Manfred E. bezüglich Umwelt
Sehr geehrter Herr Bülow,
Frontal21 berichtete vor Kurzem über Pläne der Regierung, ab 2009 den Bioethanol-Anteil bei Normal- und Super-Benzin auf zehn Prozent zu erhöhen.
Für die Autofahrer bedeuten diese Pläne in vielen Fällen einen Umstieg auf das teuere Super Plus.
Wie kam es zu dieser geplanten Gesetzesänderung? Regierung und Autobauer haben der EU das Zugeständnis abgerungen, einen Teil der CO2-Einsparung durch den Einsatz von Bioethanol zu erbringen. Das belastet die Hersteller nicht, und deshalb soll die Ethanolbeimischung Anfang 2009 unter allen Umständen eingeführt werden.
Als Rechtfertigung für die Pläne des Umweltministers wurden Angaben des VDA, dass lediglich 375000 Altautos betroffen sein, die nicht E10-tauglich sind, angeführt.
Und damit beginnt das Verwirrspiel. Als verunsicherter Autohalter habe ich mich direkt an den Hersteller gewendet. Ergebnis: alle Modelle des Herstellers vor 2006 sind nicht E10-tauglich, sicherlich einige Millionen.
Laut Frontal21 haben Wissenschaftler der EU massive Zweifel am Nutzen von Biosprit.
Bitte beantworten Sie mir folgende Fragen:
1) Wie ist es möglich, dass unsere Gesetzgebung durch Angaben eines Interessenverbandes gerechtfertigt wird?
2) Warum werden bekannte, anderslautende Aussagen und die vorgebrachten Konsequenzen für die Bürger ignoriert?
3) Warum werden nicht unabhängige Institutionen, Wissenschaftler - falls es die überhaupt gibt - eingeschalten?
4) Wird als Konsequenz für das Dilemma über eine Zurücknahme der geplanten Gesetzesänderung nachgedacht?
5) Wie konnte eine solche Gesetzesänderung überhaupt geplant werden, wenn man Umweltschutz global versteht und nicht nur auf Deutschland bezogen, Stichwort: Abholzung Regenwälder?
6) Wie entkräften Sie den Vorwurf in den Medien, dass die Situation aus Eigeninteresse verharmlost und das Volk getäuscht wurde?
Mit freundlichen Grüßen
Manfred Ehrich
Sehr geehrter Herr Ehrich,
besten Dank für Ihre E- Mail und Ihre Fragen bzw. Kommentare.
Vorab möchte ich ein paar Vorbemerkungen zu den geplanten Änderungen machen:
Bei der Änderung der 10. Bundesimmissionsschutzverordnung (10. BImSchV) geht es nicht um eine Erhöhung oder Festlegung des Bioethanol-Anteils auf 10 Volumen-Prozent. Die Festlegung der Beimischungsanteile erfolgt durch das Bundesimmissionsschutzgesetz (BImSchG), das der Bundestag bereits im Jahre 2006 (sog. „Biokraftstoffquotengesetz“) beraten und beschlossen hat und das für das Jahr 2009 einen Bioethanol-Anteil von 2,8 Prozent energetisch bzw. 4,3 Volumen-Prozent und für das Jahr 2010 (und darauf folgende Jahre) einen Bioethanol-Anteil von 3,6 Prozent energetisch bzw. 5,54 Volumen-Prozent vorschreibt.
Die aktuell gültige 10. BImSchV sieht für den Norm-Ottokraftstoff in Deutschland einen maximal möglichen Bioethanol-Anteil von bis zu 5 Volumen-Prozent vor – soll heißen: der Verkäufer von Ottokraftstoffen muss bis zu einem Bioethanol-Anteil von 5 Volumen-Prozent den Kraftstoff nicht extra kennzeichnen. Aktuell bieten ja einige mittelständische Tankstellenketten schon einen E-10-Kraftstoff an, der aber extra als nicht normgerecht gekennzeichnet werden muss.
Das Bundeskabinett hat am 5. Dezember letzten Jahres den Entwurf zur Neufassung der 10. BImSchV zustimmend zur Kenntnis genommen – also nicht beschlossen (!). Vielmehr wurde nach der Kenntnisnahme durch das Kabinett die Notifizierung bei der WTO und der EU veranlasst. Erst nach Abschluss der Notifizierung soll der Entwurf der 10. BImSchV dem Kabinett zur Beschlussfassung vorgelegt werden. Die abschließende Kabinettbefassung ist eigentlich für Mai 2008 vorgesehen. Für die Ziele und Bioethanol-Vorgaben des Jahres 2010 und nicht für 2009 ist diese Änderung notwendig.
Nun aber zu Ihren Fragen im Einzelnen.
Zu den Fragen 1)-3)
Zwar mag es auf den ersten Blick eigenartig anmuten, dass der Staat sich auf Daten und Zahlen der Wirtschaft stützt, aber entgegen der landläufigen Meinung, der Staat würde nur zusätzliche Bürokratie aufbauen, wird in Deutschland penibel darauf geachtet, dass keine überbordende Bürokratie entsteht. Bestimmt ist es keine befriedigende Antwort für Sie, wenn ich darauf hinweise, dass es v.a. bei der Ermittlung von statistischen Daten notwendig ist, auf die jeweiligen Experten von Unternehmen und Verbänden zurückzugreifen, da sich diese wie kein anderer Tag für Tag mit dem jeweiligen Thema beschäftigen und über die Möglichkeit der Abfrage z.B. bei ihren Mitgliedsunternehmen eine schnelle Datenermittlung ermöglichen. So sind z.B. in der Arbeitsgemeinschaft Energiebilanzen (AGEB) Vertreter von unterschiedlichen Verbänden sowie wissenschaftlichen Instituten eingebunden und die die Grundlage für Energie-Daten des Bundeswirtschaftsministeriums bilden. Welche Möglichkeiten hätte es denn sonst bei der Beauftragung von Wissenschaftler und unabhängigen Instituten gegeben? Auch die wissenschaftlichen Auftragnehmer hätten zu den einzelnen Herstellern gehen müssen, um auf die einzelnen Modelle und Jahrgänge zurückgreifen zu können und hätten dann diese auf die E-10-Tauglichkeit untersucht, was auch die Hersteller selbst machen können und müssen? Welche Reaktion hätte es denn gegeben, wenn bereits vor ein paar Jahrzehnten die Regierung oder eine öffentlich beauftragte Stelle von allen verkauften Autos, Serientypen, von allen Motoren und Motorvarianten jeweils ein Exemplar erworben und eingelagert hätte, damit man, wenn es mal notwendig ist, eigenständig Verträglichkeitsuntersuchungen durch eigen Beamte oder beauftragter Wissenschaftler durchführen kann? Die jeweiligen Stellungnahmen des Bundes der Steuerzahler und des Bundesrechnungshofes hätte ich mir gut vorstellen können und wären mehr als deutlich gewesen. Deshalb hat die Regierung hier eine Informationspflicht für die Autobauer normiert. So sind in der bestehenden 10. BImSchV in § 9 und im Entwurf der neuzufassenden 10. BImSchV in § 11 Informationspflichten für Fahrzeughersteller und -importeure enthalten, die die Angabe für die empfohlenen und verwendbaren Kraftstoffsorten vorsehen. Zusätzlich sieht der neue § 11 des Entwurfs der neuzufassenden 10. BImSchV vor, dass die Hersteller und Importeure von Kraftfahrzeugen die E-10-Verträglichkeit bzw. -Unverträglichkeit auch für die schon im Verkehr befindlichen Fahrzeuge anzugeben haben.
Bzgl. der Ignorierung von anderslautenden Aussagen: Es gab während des ganzen Verfahrens die Möglichkeit, anderslautende Meinungen und Aussagen zu äußern (siehe unten). Und die Reaktion des Bundesumweltministeriums wie auch die Aussagen des Ministers von Anfang Februar, dass er den Entwurf der Verordnung nicht dem Kabinett zuleiten wird, wenn sich herausstellen sollte, dass die Angaben des VDA und des VDIK nicht stimmen und die Zahl von einer Million überschreiten würden, zeigen doch sehr wohl, dass anderslautende Aussagen nicht ignoriert werden.
Zur Frage 4)
Wie Sie sicher der Presse entnehmen konnten, hat das Bundesumweltministerium (BMU) bereits am 13. Februar ein Gespräch mit den betroffenen Verbände, dem Verband der Automobilindustrie (VDA) und dem Verband der Internationalen Kraftfahrzeughersteller (VDIK) geführt, bei dem zugesagt wurde, dass die beteiligten Verbände zusammen mit ihren Mitgliedsunternehmen bis Ende März die Pkws mit Ottomotor benennen, die nicht für E10 geeignet sind und weiterhin mit konventionellem Kraftstoff E5 betrieben werden müssen. Erst wenn von Seiten der Automobilindustrie diese Voraussetzungen geschaffen sind, wird das Bundesumweltministerium die 10. BImSchV dem Bundeskabinett zur abschließenden Beratung vorlegen. Öffentlich hat der Bundesumweltminister mehrmals klargestellt, dass er den Verordnungsentwurf nicht dem Kabinett zuleiten wird, wenn die Zahl der betroffenen Fahrzeuge die Millionengrenze überschreiten sollte. Am 4. April hat der Bundesumweltminister dann auch aufgrund der hohen Zahlenangaben des VDIK die Konsequenzen gezogen und den Verordnungsentwurf zurückgezogen, so dass die auf Bioethanol bezogenen Änderungen der 10. BImschVO nicht in Kraft treten werden.
zur Frage 5)
Die aktuelle Diskussion um Biokraftstoffe und der Gefahr der Regenwaldrodung ist leider sehr überzeichnet. Nehmen Sie z.B. den ersten Bericht von Frontal21 vom 29. Januar zum Thema E-10, der nicht nur die Problematik der betroffenen Fahrzeuge thematisierte, sondern noch herausstellen wollte, dass die verstärkte Nutzung und Beimischung von Bioethanol zu Regenwaldrodungen in Indonesien führt. Dabei wird ein Zusammenhang hergestellt, der faktisch nicht gegeben ist: Bioethanol kann aus stärkehaltigen Agrarrohstoffen (wie Getreide, Zuckerrüben, Zuckerrohr) gewonnen werden; aus Pflanzenölen (wie Rapsöl, aber auch Palmöl) wird aber Biodiesel gewonnen.
Die aktuelle Verwendung von Bioethanol in Deutschland wird durch die heimische Produktionskapazität mehr als abgedeckt; während im Jahr 2007 die Verwendung von Bioethanol bei ca. 430.000 t liegt, beträgt die heimische Produktionskapazität ca. 650.000 t Bioethanol. Da die Europäische Union auch weiterhin Schutzzölle auf Bioethanol erheben wird, ist aktuell ein Import von brasilianischem Bioethanol nach Europa wirtschaftlich nicht darstellbar, so dass die Gefahr einer verstärkten Regenwaldrodung durch die Verwendung von Bioethanol nicht gegeben ist.
Auch beim Thema Biodiesel und Palmöl wird oft vergessen, dass sich Palmöl aufgrund seiner Beschaffenheit (Fettsäurestruktur, mangelhafte Viskosität) in Mittel- und Nordeuropa kaum zur Nutzung als Biodiesel eignet. Palmöl entspricht nicht den im Gesetz vorgeschriebenen DIN-Normen für Biodiesel und auch nicht den Normen der deutschen Arbeitsgemeinschaft Qualitätsmanagement Biodiesel (AGQM). Diese hat seit 2004 auch keine Spuren von Palmöl in ihren unangekündigten Proben bei deutschen Biodieselproduzenten gefunden.
Sehr wohl gibt es aber aktuell aufgrund von Missernten (bedingt durch Dürreperioden) und aufgrund veränderter Ess- und Lebensgewohnheiten in den aufstrebenden Staaten Asiens) eine verstärkte Nachfrage nach Agrarrohstoffen, so dass die Gefahren von Regenwald-Rodungen nicht nur zunehmen, sondern tatsächlich schon stattfinden. Bei meinem Besuch in Borneo Anfang Dezember letzten Jahres konnte ich mir sehr gut ein Bild von dieser Problematik machen. Deshalb bin ich davon überzeugt, dass wir – unabhängig von der Biokraftstoff-Debatte – Instrumente brauchen (wie z.B. eine Nachhaltigkeitszertifizierung, die sich nicht nur auf den Biokraftstoff- oder Bioenergiebereich beschränkt, sondern generell den gesamten Bereich der Agrarrohstoffe abdeckt), die einen nachhaltigen Anbau und zugleich den Erhalt der Regenwälder garantieren – aus Gründen des Klimaschutzes und des Erhalts der Biodiversität.
Zur Frage 6)
Den von Ihnen zitierten Vorwurf kann ich nicht nachvollziehen und habe ich in der Medienberichterstattung auch nicht so wahrgenommen. Aktuell stehen nur Behauptungen und sich widersprechende Aussagen von Unternehmen und Dachverbänden im Raum. Bei Gesprächen mit Verbänden und Experten wurde mehrmals die Vorgehensweise des ADAC als „populistisch“ kritisiert, was ich aber nicht kommentieren will. Auf jeden Fall ist die jetzige Situation ein kommunikativer „Gau“ für den VDA, VDIK und deren Mitgliedsunternehmen, die mit den unterschiedlichen Zahlenangaben für Verwirrung gesorgt haben.
An dieser Stelle möchte ich noch einmal auf die Vorgeschichte zur Entstehung der Änderungen der 10. BImSchV hinweisen. Am 6. November wurde der erste Entwurf der Verordnung – wie es die Geschäftsordnung der Bundesregierung vorsieht und nach § 51 BImSchG vorgeschrieben ist – an die beteiligten Kreise geschickt – darunter befand sich auch der ADAC und der VDIK. In den Stellungnahmen der Verbände wurde die Zahl der betroffenen Fahrzeuge zu keiner Zeit in Frage gestellt: der VDIK hat sich sogar explizit der Stellungnahme des VDA angeschlossen. Am 22. November 2007 haben der Bundesumweltminister und der Bundeslandwirtschaftsminister die Roadmap Biokraftstoffe vorgestellt. Dabei wurde ebenfalls auf die Änderung der 10. BImSchV hingewiesen, und m.W. wurde auch bei der gemeinsamen Pressekonferenz von BMU, BMELV, VDA u.a. das Thema E-10-Verträglichkeit angesprochen. Trotzdem gab es erst Ende Januar 2008 die ersten Berichterstattungen und anderslautende Zahlenangaben.
Zum Schluss möchte ich noch persönlich darauf eingehen, dass ich solche Prozesse wie Runde Tische oder Selbstverpflichtungen zwischen Regierung und Wirtschaft nicht unbedingt glücklich finde, da stets die Gefahr besteht, dass einzelne gesellschaftliche Gruppen unberücksichtig bleiben oder „hinten runterfallen“. Eine Einbindung z.B. des Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) und/oder des ADAC im Rahmen des Runden Tisches Biokraftstoffe hätte womöglich für weniger „Unruhe“ und Unstimmigkeiten zwischen den Beteiligten gesorgt. Auch die vereinbarte Lösung, den Kraftstoff Super Plus als E-5-Übergangskraftstoff vorzusehen, halte ich aufgrund der aktuellen Entwicklung auf dem Benzinmarkt für überholt, da sich die Preisdifferenz zwischen Normal und Super aufgelöst hat und einige Mineralölkonzerne schon angekündigt haben, Normalbenzin aus dem Sortiment zu nehmen. Somit würde zwangsläufig eine Zapfsäule an den Tankstellen frei, die man mit Super E-5 ausstatten könnte. Damit würde sich der Konflikt, den es seit Jahren zwischen VDA und Mineralölwirtschaftsverband (MWV) bzgl. der Frage, wer welche Kosten der Umstellung zu tragen hat (neue zusätzliche Zapfsäule oder kostengünstige Umrüstungen) aufheben lassen.
Ich hoffe, ich konnte für ein bisschen Klarheit beitragen und verbleibe
Mit freundlichen Grüßen
Marco Bülow