Frage an Marco Bülow von Christian S. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Bülow,
mit Sorge beobachte ich die derzeitige, hitzig geführte Debatte um so genannte ›Killerspiele‹. Sorgenvoll deshalb, weil sie einseitig geführt wird und ein Verbot von ›Killerspielen‹ als Allheilmittel gegen die angebliche sittliche Verwahrlosung der Jugend gepriesen wird. Mittlerweile geht es sogar darum, erwachsenen Menschen den Zugang zu diesen Spielen zu verwehren, Personen, die möglicherwiese bereits bei der Bundeswehr das Töten von Menschen mit echten Waffen simuliert und geübt haben - und an dieser Stelle gleitet die ›Killerspiel‹-Debatte endgültig ins Lächerliche ab.
Gewaltverherrlichende Spiele sind in Deutschland bereits jetzt verboten, eine Verschärfung der Rechtslage in diesen Fällen ergibt daher keinen Sinn. Dafür wird die Arbeit der Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle (USK), vor allem aber der Spieler an sich polemisch von Menschen diffamiert, bei denen ich das Gefühl habe, dass der Blinde über Farben spricht, der Taube über Musikkonzerte, der Lahme über den Marathon. Das angebliche ›Killerspiel‹ dient aus meiner Sicht als Sündenbock für die jahrzehntelangen Versäumnisse von Jugend-, Sozial- und Bildungspolitik.
Wie stehen Sie zu einem Verbot von Gewalt beinhaltenden Spielen, die per Alterskennzeichnung für bestimmte Altersgruppen - etwa ab 16 oder ab 18 Jahren - freigegeben sind?
Ich freue mich auf Ihre Antwort.
Beste Grüße aus Ihrem Wahlkreis,
Christian Schramm
Sehr geehrter Herr Schramm,
danke für Ihre Stellungnahme zum Umgang mit der Freigabe von so genannten „Killerspielen“ an Jugendliche.
Bereits nach dem Amoklauf in einer Erfurter Schule im Jahr 2002 haben wir in der Gesellschaft die Debatte über Computerspiele geführt. Das Thema stößt nun nach dem Amoklauf von Emsdetten erneut auf große Betroffenheit. Ich bin wie Sie der Meinung, dass ein Verbot von „Killerspielen“ keine Lösung ist. Wichtige Stichworte sind in dieser Diskussion der verantwortungsbewusste Umgang mit Medien und die weitere Förderung von Medienkompetenz.
Auch andere Themenbereiche müssen genannt werden: das Aufwachsen von Kindern und Jugendlichen in der Schule und die teilweise fehlende Anerkennung und Förderung, die häufige Perspektivlosigkeit von Jugendlichen, die Hilflosigkeit von Eltern und Pädagogen, Prävention und Bekämpfung von Jugendgewalt, Fragen von Medienkompetenz und Jugendmedienschutz sowie der Zusammenhang zwischen schlechten Schulleistungen und Medienkonsum.
Der Jugendmedienschutz ist in Deutschland dreistufig geregelt. Relevant ist das Jugendschutzgesetz (JuSchG) für Trägermedien (Offline-Medien wie z.B. Bücher, Videofilme, Computerspiele auf CDs), der Jugendmedienstaatsvertrag (JMStV) für Telemedien (z.B. Spiele, die online im Internet zu finden sind) und das Strafgesetzbuch (StGB) für Träger- und Telemedien. Diese Stufen beinhalten folgende Punkte:
1. Stufe: Altersbeschränkung -> JuSchG / JMStV
Alle Medien müssen im System der staatlich überwachten Selbstkontrolle eine Alterskennzeichnung erhalten. Kindern und Jugendlichen dürfen nur die Angebote zugänglich gemacht werden, die für ihre Altersstufe freigegeben sind („Freigegeben ohne Altersbeschränkung“, „Freigegeben ab 6 Jahren“, Freigegeben ab 12 Jahren“, „Freigegeben ab 16 Jahren“, „Keine Jugendfreigabe“). Die Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle (USK) führt das Prüfverfahren zur Altersfreigabe, an dem auch die Obersten Landesjugendbehörden mitwirken, durch.
2. Stufe: Indizierung -> JuSchG / JMStV
Jugendgefährdende Träger- und Telemedien werden durch die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (BPjM) indiziert und dürfen Kindern oder Jugendlichen damit weder verkauft, überlassen oder anderweitig zugänglich gemacht werden. Es gilt ein Werbeverbot und der Versandhandel ist nur eingeschränkt erlaubt. Durch die Indizierung wird der Zugang für Erwachsene zwar erschwert, er ist aber möglich, denn diese Medien sind nicht verboten. Wegen des Zensurverbots können Medien erst dann indiziert werden, wenn sie bereits auf dem Markt sind.
3. Stufe: Verbot von Gewaltdarstellungen -> § 131 StGB
Medien, die „grausame Gewalttätigkeiten gegen Menschen“ enthalten, sind verboten, wenn sie Gewalt verherrlichen, verharmlosen oder die Menschenwürde verletzen. Seit der letzten Gesetzesänderung gilt dies auch im Hinblick auf „menschenähnliche Wesen“. Über die Indizierungsfolgen (s. Stufe 2) hinaus gilt ein Verbreitungs- und Herstellungsverbot. Zuständig hierfür sowie für eine mögliche Beschlagnahme, die z.B. Händler, von denen die Spiele eingezogen (und vernichtet werden), betrifft, sind die Gerichte. Jemand, der dieses Medium besitzt, darf dieses jedoch weiterhin besitzen und für sich alleine nutzen, denn ein Besitzverbot besteht nur bei Kinderpornographie.
Deutschland hat beim Jugendmedienschutz die strengsten Gesetze in der Europäischen Union. Es ist deswegen nahe liegend, dass nicht die Gesetzeslage problematisch ist, sondern dass in Deutschland ein Vollzugsproblem existiert. Es muss evaluiert werden, warum häufig Spiele entgegen der Alterskennzeichnung verkauft werden, wie dies besser zu überwachen und wirksamer zu sanktionieren ist. Die Gesetzgebungskompetenz für den Bereich Jugendschutz und Strafrecht liegt beim Bund. Eine Gesetzesverschärfung in Richtung der sehr einfachen Forderung „Verbot von Killerspielen“ hätte jedoch das Problem, dass ein Verbot einer Zensur nahe kommt, die wiederum verboten ist (Art. 5 GG).
Es wird auch immer wieder argumentiert, dass unter dem Aspekt Jugendschutz kein „Erwachsenenschutz“ eingeführt werden dürfe. Wie Sie richtigerweise in Ihrem Schreiben erwähnen, fallen Computerspiele, sofern sie bestimmte Voraussetzungen erfüllen, bereits unter § 131 StGB, egal ob Offline- oder Online-Spiele, denn das StGB gilt sowohl für Träger- als auch Telemedien. Man könnte zwar einen konkretisierenden § 131a StGB einführen, der explizit Computerspiele erfasst. Dies würde aber nur ausfüllen, was das Gesetz schon umfasst. Alles, was man in diesen Tatbestand aufnehmen würde, fällt bereits unter § 131 StGB.
Eine Definition von „Killerspiel“ ist meines Erachtens nach sehr problematisch und existiert juristisch nicht. „Killerspiel“ wird bislang lediglich als Begriff in der zugespitzten politischen Auseinandersetzung genutzt.
Grundsätzlich schließe ich mich jedoch der Haltung der Bundesregierung an, die das Modell der regulierten Selbstkotrolle für angemessen hält. Die Kritik am System der staatlich überwachten Selbstkontrolle legt uns aber nahe, zu prüfen, ob unser System auch wirksam ist und funktioniert. Alterskennzeichnungen „ab 18 Jahren“ scheinen für Kinder und Jugendliche wie eine Art „Gütesiegel“ zu wirken und führen erst dazu, dass sie das betreffende Spiel auch spielen wollen. Denn was verboten ist, ist oft besonders attraktiv. Auch aus diesem Grund bin ich gegen die so genannte „Verbotspolitik“. Die Indizierungsfolgen scheinen jedoch nach Angaben von Experten im Jugendschutz positiv zu wirken. Eine stärkere bzw. häufigere Indizierung hieße auch, dass aufgrund des damit verbundenen Werbeverbots der Handel mit diesen Spielen für Produzenten und Vertrieb wirtschaftlich unattraktiver wird. Wenn schon inhaltliche Überzeugung nicht wirkt, können vielleicht negative wirtschaftliche Folgen helfen, die Produktion von brutalen Spielen unattraktiver zu machen.
Bei allen bestehenden Problemen mit so genannten „Killerspielen“ und dem Wunsch, diese einzudämmen, dürfen wir aber nicht vergessen, dass für einen modernen Kinder- und Jugendschutz die Medienerziehung sowie Medienverantwortung sehr bedeutsam ist. Im Vordergrund der Bemühungen zur Umsetzung eines effektiven Kinder- und Jugendmedienschutzes sollte die Förderung und Stärkung von Medienkompetenz in Kindergärten, Schulen und Jugendeinrichtungen stehen. Die vielen positiven Möglichkeiten der Nutzung von Computern und Spielen müssen daher unterstützt werden. Alle pädagogischen Alltagsbereiche sind gefragt, die andere Problemlösungskompetenzen vermitteln, als sie häufig in Computerspielen dargestellt werden.
Ich hoffe, ich konnte Ihnen meinen Standpunkt ausreichend erläutern und wünsche Ihnen alles Gute.
Marco Bülow