Frage an Marco Bülow von Jan-Peter H. bezüglich Wirtschaft
Sehr geehrter Herr Bülow
Ich bin seit 20 Jahren selbständiger Unternehmer in der IT- und Druckbranche und bin ein Anhänger von Marktwirtschaft, Wettbewerb und schlanken Staat.
Ausgehend vom (Super?)-GAU in Fukushima habe ich mich sachkundig gemacht, wie die Haftungsregelungen für Kernkraftwerke in Deutschland aussehen.
Die derzeitige Regelung macht mich fassungslos. Eine angemessene Risikoprämie sollte meiner Meinung nach mind. 10 Cent pro KW/H betragen, damit im Eintreten des Versicherungsfalls zumindest wesentliche Teilschäden abgedeckt sind.
Weiterhin halte ich es für zwingend notwendig, dass jeder (auch ausländischer!) Lieferant von Kernenergie in Deutschland für den gelieferten Strom in oben genannter Höhe einer Zwangshaftpflicht pro gelieferter KW/H unterworfen wird.
Nur wenn die Risiken der Atomkraft in den Strompreis eingepreist werden, bestehen überhaupt die Voraussetzung für einen fairen Wettbewerb im Strom-Markt.
An Sie als Abgeordneter im Ausschuss Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit habe ich folgende Fragen:
1) Stimmen Sie der 1992er Prognos Studie "Abschätzung der Schäden durch einen sogenannten "Super-GAU" zu, dass die Kosten für Deutschland in einer Größenordnung von ca. 5 Billionen EURO liegen würden ?
2) Welchen Anteil könnte ungefähr davon die Deutsche Kernreaktor Versicherungsgemeinschaft tragen, wenn die Risikoprämie auf einen Betrag von 10 Cent pro KW/H Strom aus Kernkraftwerken angehoben würde ?
3) Welche Möglichkeiten sehen Sie, dass inländische als auch ausländische Lieferanten für nach Deutschland gelieferten Strom aus Kernenergie, die gleiche Risikoprämie pro KW/H an die Deutsche Kernreaktor Versicherungsgemeinschaft zahlen müssen ?
4) Wie sieht ihrer persönlichen Meinung nach eine angemessene Beteiligung der Kernkraftwerksbetreiber an den Risiken der Technologie aus ?
Sehr geehrter Herr Homann,
vielen Dank für Ihre Anfrage vom 18. März 2011 zu den Haftungsregelungen
für Atomkraftwerke.
Die Haftungsfrage ist eine der Probleme, die bei der Einführung und Etablierung der Atomenergie in Deutschland ähnlich wie die Frage der Entsorgung keine ausreichende Beachtung bekommen hat. Zwar ist die Haftung geregelt, aber wie Sie zu Recht erwähnen, auf einem geradezu lächerlichen Niveau. Mit 256 Millionen Euro beträgt die direkt aufgebrachte Haftungsdeckung pro AKW nur das 25- bis 50-fache von der Summe, über die viele Menschen mit ihrer privaten Haftpflichtversicherung abgesichert sind, wenn man annimmt, dass diese vernünftigerweise im Bereich von 5 bis 10 Millionen Euro für Privat- und Sachschäden liegt. Hier stimmen die Relationen selbstverständlich überhaupt nicht.
Geht man von der in Studien errechneten potentiellen Schadenshöhe von 5,5 Billionen Euro aus, dann liegt diese über 20.000 mal höher als die z. Zt. aufgebrachte direkte Deckungssumme. Gegenwärtig liegt die gesamte eingezahlte Versicherungsprämie der deutschen Reaktorbetreiber bei nur 13,3 Mio. Euro pro Jahr, um die geringe Deckungsvorsorge von je 256 Mio. Euro zu erreichen. Die Betreiber machen aber jedes Jahr Milliardengewinne. Mit einem abgeschriebenen Atomkraftwerk verdienen sie pro Tag im Schnitt mehr als eine Million Euro. Auch hier wird deutlich, dass die Versicherungsprämie vergleichsweise niedrig ist. Sie macht im Endeffekt nur 0,008 Cent/kWh aus.
Auch die seit 2001 über die Deutsche Kernreaktor-Versicherungsgemeinschaft (DKVG) durch Garantiezusagen der anderen Atomkraftwerksbetreiber aufzubringende Höchsthaftung von 2,5 Mrd. Euro ist, gemessen an den tatsächlich denkbaren Schäden, immer noch niedrig angesetzt. Daran änder auch nichts, dass gegebenenfalls noch einmal 300 Millionen Euro aus öffentlichen Mitteln von Seiten der EU hinzukommen. Des Weiteren haftet das Betreiberunternehmen und in der Folge deren Gesellschafter unbegrenzt mit ihrem Betriebsvermögen. Nur der Wert dieser Aktiengesellschaften verringert sich im Falle eines gravierenden Nuklearunfalls natürlich rapide und es besteht die Gefahr der sofortigen Insolvenz. Der Betreiber von Fukushima I, TEPCO, hat beispielsweise in kurzer Zeit einen Aktieneinbruch von 70 Prozent erlebt.
Die angesprochene Folgehaftung hätte im besonderen Fall eines GAUs in einem AKW von Vattenfall den Effekt, dass der schwedische Staat (als Eigentümer von Vattenfall) für die Folgekosten aufkommen müsste. Hier würde sich dann die Frage stellen, ob Deutschland dies dann tatsächlich auch einfordern würde. Die hier genannten zusätzlichen Regelungen wie EU-Zahlungen und Betreiberhaftung ändern aber kaum etwas an der Tatsache, dass es im Falle eines Super-GAUs keine ausreichende finanzielle Absicherung gibt. Daher würde der Hauptteil der Folgekosten von der öffentlichen Hand zu bezahlen sein.
Selbstverständlich sollte immer der Grundsatz gelten, dass jeder für die von ihm verursachten Schäden selbst haftet. Das muss auch für die Betreiber von Atomkraftwerken gelten. Würde man aber eine volle Haftpflicht einführen, die Billionenschäden abdeckt, hätte das das sofortige Aus für die Atomkraftwerke zur Folge, da sich kaum eine Versicherung finden ließe, die dieses Risiko voll versichern würde. So hält die Münchener Rück AKW für nicht voll versicherbar. Selbst, wenn sich eine Versicherung bereit erklären würde, dieses enorme finanzielle Risiko zu versichern, wären die Versicherungsprämien so hoch, dass sich AKW nicht mehr wirtschaftlich betreiben ließen. Es gibt Berechnungen, nach denen man mit einer zu zahlenden Summe im dreistelligen Milliardenbereich rechnen müsste. Beispiele, was eine Vollversicherung für den Preis einer Kilowattstrom bedeuten würde:
• Moths 1994 auf Basis Ewers/Rennings 1992: 3,60 DM/kWh bzw. 1,84 €/kWh (in heutigen Preisen 2,70 €/kWh)
• FÖS 2011: Hochrechnung der tatsächlichen AKW-Haftpflichtkonditionen auf eine Vollversicherung: ebenso 2,70 €/kWh
Diese Zahlen zeigen einmal mehr, dass der „billige Atomstrom“ ein Märchen ist. Und es bestärkt unsere Forderung, so schnell wie möglich aus der Atomenergie auszusteigen. Allerdings ist die Stromversorgungsstruktur in den letzten Jahrzehnten so gewachsen, dass auch die Atomenergie mit über 20 Prozent zur Stromversorgung beiträgt. Aufgrund der Überkapazitäten bei der Stromproduktion können aber die sieben ältesten Reaktoren sowie das AKW Krümmel sofort dauerhaft stillgelegt werden, ohne dass die Versorgungssicherheit gefährdet ist. Die restlichen neun Atomkraftwerke müssen dann sukzessive in den nächsten Jahren folgen, so dass Deutschland am Ende des Jahrzehnts komplett aus der Atomenergie ausgestiegen ist. Dieser noch schnellere Ausstieg als von Rot-Grün im Jahr 2000 vorgesehen, ist aufgrund des Erfolgs beim Ausbau der Erneuerbaren Energien möglich.
Bitte haben Sie Verständnis, dass ich auf Ihre vier Fragen nicht absolut detailliert eingehen kann, da ich eine politische und keine wissenschaftliche Bewertung vornehme. Selbstverständlich stütze ich mich auf die Expertise von Wissenschaftlern und halte es deswegen für wichtig, dass wir Politiker den Austausch mit Wissenschaft und Forschung pflegen und intensivieren.
Das Reaktorunglück von Fukushima hat die gesamte gesellschaftliche Debatte über Atomkraft in eine neue Richtung gebracht. Von allen Seiten wird jetzt intensiv über die weitere Nutzung der Atomenergie und die zukünftige Struktur unserer Energieversorgung diskutiert. Derzeit bleibt abzuwarten, wie die Bundesregierung weiter vorgeht. Zwar verkünden Bundeskanzlerin Angela Merkel und Umweltminister Norbert Röttgen in den Medien, dass die Fragen der Atomenergienutzung und der Ausgestaltung der Energiewende in einem breiten gesellschaftlichen und auch parlamentarischen Konsens geklärt werden sollen, ein Angebot gibt es aber bis heute nicht. Dabei muss diese Frage in einer ausführlichen parlamentarischen Diskussion geklärt werden.
Ich möchte hier abschließend noch mal die Problematik auf den Punkt bringen: Es ist völlig unstrittig, dass Atomkraftwerke in voller Höhe Haftpflicht versichert sein müssten. Unser primäres Ziel ist es jedoch, so schnell wie möglich aus der Atomenergie auszusteigen. Das bedeutet, die sieben ältesten Reaktoren sowie das AKW Krümmel sofort endgültig abzuschalten und die restlichen Atomkraftwerke noch in diesem Jahrzehnt stillzulegen - je schneller umso besser. Denn nur so und nicht durch eine Haftpflichtversicherung kann das Risiko, das von Atomkraftwerken ausgeht, beseitigt werden. Die Frage der Höhe der Deckungsvorsorge kann aber ein Instrument sein, unser Ziel zu erreichen, wenn dies auf anderem Wege nicht möglich ist. Dieses Vorgehen halten wir für absolut legitim, da die AKW-Betreiber selbst den Atomkonsens aufgekündigt haben.
Ich hoffe, ich konnte Ihnen mit dieser Antwort weiterhelfen. Viele weitere Informationen zu meinen politischen Inhalten finden Sie auf meiner Internetseite
http://www.marco-buelow.de .
Mit freundlichen Grüßen
Marco Bülow