Frage an Manuela Rottmann von Reinhard G. bezüglich Recht
Sehr geehrte Frau Rottmann,
ich habe gehört, dass das Bundeskabinett das Infektionsschutzgesetz wieder ändern will. Danach sollen Corona-Maßnahmen zentral von der Bundesregierung ohne Beteiligung der Länder und Gemeinden beschlossen werden. Bei dem Überschreiten bestimmter Zahlen sollen automatisch für alle Bundesbürger nächtliche Ausgangssperren verhängt werden.
Widerspricht so ein Vorhaben bestimmten Prinzipien des Grundgesetzes? Dort wurde ja bewusst eine Gewaltenteilung vorgeschrieben und das Recht der Gesetzgebung zwischen Bund und Ländern in bestimmter Weise aufgeteilt.
Haben die Bürger nicht das Recht, die Maßnahmen und Eingriffe in Grundrechte gerichtlich auf ihre Verhältnismäßigkeit überprüfen zu lassen? Ist es richtig, dass sie sich damit nicht mehr an die Verwaltungsgerichte wenden können, falls das Infektionsschutzgesetz in dieser Weise geändert wird?
Ich habe auch auch gehört, dass bestimmte Kabinettsbeschlüsse auch ohne Beratung und Zustimmung des Bundestages Gesetz werden sollen. Es sei geplant, eine Frist festzusetzen, in der der Bundestag widersprechen kann. Könnte so eine Frist nicht in einer Zeit, in der keine Sitzungswochen stattfinden, versäumt werden?
Glauben Sie, dass zentralistisch getroffene Entscheidungen besser sind, als regional getroffene, die vielleicht an die Verhältnisse vor Ort besser angepasst sind? Könnten vielleicht gerade durch unterschiedliche Maßnahmen Erkenntnisse darüber gewonnen werden, was wirklich wirksam ist?
Mit freundlichen Grüßen
Sehr geehrter Herr Großmann,
herzlichen Dank für Ihre Frage.
Eine bundesgesetzliche Regelung der wesentlichen Fragen der Pandemiebekämpfung durch den Bundestag ist seit langem überfällig. Eine epidemische Lage nationaler Tragweite braucht auch eine nationale Antwort. Deswegen hätte es längst einen bundesgesetzlichen Stufenplan geben müssen. Das ist nach den Regeln des Grundgesetzes möglich. Allein die Koordinierung der Landesverordnungen ist inzwischen für jeden ersichtlich kein geeignetes Mittel mehr. Eine gesetzliche Regelung zu treffen, ist aber kein Selbstzweck. Eine solche Regelung muss auch geeignet sein, das Ziel der Pandemiebekämpfung zu erreichen. Die erneute starke Belastung der Intensivstationen war seit längerem absehbar. Dies hätte einer frühzeitigen, wirksamen Gegenmaßnahme bedurft.
Der nun nach weiterer Verzögerung vorgelegte Gesetzentwurf ist einseitig: Er beschränkt sich weitgehend auf erneut starke Einschränkungen im Privatbereich, spart jedoch geeignete Maßnahmen am Arbeitsplatz aus. Während Schulunterricht an Tests geknüpft wird, ist für berufliche Tätigkeiten, die nicht im Homeoffice ausgeübt werden können, weder für Arbeitgeber noch für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auch nur eine Testpflicht vorgesehen, selbst bei regional sehr hohen Inzidenzwerten. Wir halten auch Ausgangsbeschränkungen als ultima ratio nicht per se für verfassungswidrig. Aber sie stehen in diesem Gesetzentwurf nicht in einem angemessenen Verhältnis zu den unterlassenen wirksameren und weniger einschneidenden Maßnahmen.
Die von den CDU/CSU- und SPD-Fraktionen vorgeschlagenen Neuregelungen im § 28b IfSG sind „self executing“, d. h. sie bedürfen keiner Umsetzung mehr durch die Länder und gelten automatisch ab einer 7-Tage-Inzidenz über 100 an drei aufeinander folgenden Tagen. Dadurch entfällt die niedrigschwelligere Rechtsschutzmöglichkeit, die gegen Rechtsverordnungen der Bundesländer besteht. Es besteht jedoch weiterhin Rechtsschutz für Bürgerinnen und Bürger – darauf weisen die Koalitionsfraktionen im Bericht des Ausschusses für Gesundheit (BT-Drs. 19/28732) auch hin. So können Bürgerinnen und Bürger etwa vor dem Verwaltungsgericht eine Feststellungsklage erheben und das Bundesverfassungsgericht im Wege einer Verfassungsbeschwerde anrufen.
Der neue § 28b IfSG sieht außerdem vor, dass die Bundesregierung zusätzlich Rechtsverordnungen erlassen kann, die Gebote und Verbote sowie Präzisierungen, Erleichterungen oder Ausnahmen für Fälle, in denen die 7-Tage-Inzidenz über 100 liegt und die die Verbreitung von Covid-19 verhindern sollen. Rechtsverordnungen der Bundesregierung bedürfen der Zustimmung von Bundestag und Bundesrat. Im ursprünglichen Entwurf war vorgesehen, dass die Zustimmung des Bundestages als erteilt gilt, wenn der Bundestag nicht binnen sieben Tagen nach Eingang der Vorlage der Bundesregierung die Zustimmung verweigert hat. Diese Regelungen wurde jedoch gestrichten. Dass hierbei eine Frist seitens des Bundestags versäumt wird, ist somit ausgeschlossen.
Meine persönliche Erklärung zur Abstimmung im Bundestag finden Sie hier: https://manuela-rottmann.de/presse/pressemitteilungen/pers%C3%B6nliche-erkl%C3%A4rung-nach-31-gobt-zum-abstimmungsverhalten-am-21-april-2021-zum-punkt-1-der-tagesordnung-entwurf-eines-vierten-gesetzes-zum-schutz-der-bev%C3%B6lkerung-bei-einer-epidemischen-lage-von-nationaler-tragweite-bundestagsdrucksache-1928444/
Herzliche Grüße
Manuela Rottmann