Frage an Manuela Rottmann von Klara W. bezüglich Recht
Sehr geehrte Frau Dr. Rottmann,
"Es sterben jedes Jahr um 2000 Menschen auf der Warteliste." https://aok-bv.de/presse/dpa-ticker/index_21957.html
An welchen Ursachen sind diese Personen gestorben und um wieviel länger hätten sie mit einem fremden Organ gelebt?
Wieviel Menschen sterben an anderen Ursachen als einzig an einem vollständig funktionsunfähigem Organ pro Jahr?
In dem Artikel https://www.sueddeutsche.de/politik/interview-der-brustkorb-hebt-und-senkt-sich-1.4266876 berichtet eine Transplantationsbeauftragte über extreme Situationen im Umgang mit Angehörigen eines potentiellen Organspenders, sie sagt "Die Familie hat schon genug damit zu tun, den Tod ihres Partners, Geschwisters oder Kindes zu verarbeiten und dann kommen wir noch mit dem Thema Organspende...." Weiterhin berichtet sie von einem Mädchen, das wegen einer Mandel-OP ins Krankenhaus kam, dabei verstarb und daraufhin einer Organentnahme unterzogen wurde. Die Eltern hatten es so gewollt. In einem anderen Fall hat die Großmutter einer Patientin widersprochen.
Wie ist es möglich, dass Aussenstehende und nicht die Person selbst (auch junge Menschen sind denkende und fühlende Wesen), ausschließlich darüber entscheiden, was mit dem sterbenden aber noch lebenden Körper ("Menschen, die hirntot sind, nicht wie tot wirken. Ihr Körper ist warm, der Brustkorb hebt und senkt sich durch die Maschinen") geschieht? Ist die aktuelle Gesetzeslage nicht so, dass ohne eine ausdrückliche und nachgewiesene Zustimmung einer Person, eine Organentnahme nicht durchgeführt werden darf und bei Minderjährigen gänzlich ausgeschlossen ist?
Was geschieht in den Fällen, in denen keine Angehörigen da sind und wie stellt man fest, dass Angehörige ausschießlich im Sinne der betroffenen Person handeln?
Wie hoch ist der Prozentsatz der Spender, die keinen Spendeausweis hatten und von Aussenstehenden zur Organentnahme freigegeben wurden und mit welcher Begründung ist die Freigabe in diesen Fällen erfolgt?
Vielen Dank.
Klara W.
Sehr geehrte Frau W.,
vielen Dank für Ihre Mail zu diesem wichtigen Thema.
Ich habe selbst einen Organspendeausweis und ich kenne die Not derjenigen, die für sich selbst oder - oft schlimmer - für einen Angehörigen auf ein Spenderorgan warten.
Konsens besteht im Bundestag darüber, dass die Zustimmung des Spenders oder seiner Angehörigen nicht das Einzige ist, was der Organspende in Deutschland im Wege steht. Die Abläufe in den Krankenhäusern, Zeit und Ausbildung von Ärztinnen und Ärzten für den Umgang mit diesem Thema sind unzureichend. Das können wir auf jeden Fall ändern.
Es gibt einen Vorschlag aus dem Parlament jenseits des Status Quo und der Widerspruchslösung, der darin besteht, dass jeder bei der Neubeantragung oder Verlängerung seines Personalausweises angeben muss, ob er für sich die Organspende ablehnt, ihr zustimmt, die Entscheidung einem Verwandten übertragen möchte oder zum jetzigen Zeitpunkt keine Entscheidung treffen möchte. Diese Lösung unterstütze ich. Es gibt für mich keine Pflicht, Organe zur Verfügung zu stellen. Aber eine Verpflichtung, sich mit dieser Frage auseinander zu setzen, ist meiner Meinung nach zumutbar.
Die Widerspruchslösung hingegen, in der aus einem Schweigen auf Zustimmung zur Organentnahme geschlossen wird, in der also nur die aktive Eintragung eines Widerspruchs dazu führt, dass jemand als Organspender ausgeschlossen wird, halte ich für einen zu starken Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht in einem höchstpersönlichen Bereich. Die aktive Einlegung eines Widerspruchs erscheint Menschen zumutbar, die sich darüber informieren und den Aufwand dafür nicht scheuen. Diese Voraussetzungen sind bei vielen Menschen aber nicht gegeben. Es erscheint mir nicht richtig, daraus zu schließen, dass Dritte über ihren Körper verfügen dürfen im Falle des Todes. Und ich möchte auch der Medizin nicht zumuten, sich mit Angehörigen auseinander zu setzen, die die Folgen eines Nichtkümmerns erst am Sterbebett begreifen.
Ihre detaillierten Fragen kann ich leider nicht beantworten. Hierfür möchte ich Sie bitten, dass Sie sich an das Büro der zuständigen Berichterstatterin meiner Fraktion Kirsten Kappert-Gonther wenden.
Weitere Infos zum Thema: https://www.gruene-bundestag.de/gesundheit/wie-weiter-bei-der-organspende.html
Mit besten Grüßen
Dr. Manuela Rottmann