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Manja Schüle
SPD
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Frage von Mario S. •

Frage an Manja Schüle von Mario S. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrte/r Abgeordnete/r,

ich schreibe gerade meine Bachelorarbeit zu den Jamaika-Sondierungen 2017. Um möglichst viele Eindrücke, Hintergründe und Ideen zu sammeln, habe ich mich entschlossen, Sie als gewählte/r Abgeordnete/r anzuschreiben. Dabei interessiert mich vor allem Ihre Meinung zu den gescheiterten Verhandlungen. Was könnte der Grund für das Scheitern sein? Welche Folgen machen Sie an dem Scheitern fest? Wie haben Sie die Verhandlungen und das Ergebnis verfolgt?
Welche Motivation gibt/gäbe es für Ihre Partei, in eine Regierung einzutreten und wie können Parteien wieder stärker die Gunst des Wählers erlangen? Welchen und wie viel Einfluss haben politische Parteien in Deutschland in der heutigen Zeit, auch im Vergleich zu anderen (europäischen) Ländern?
Abschließend würde mich noch interessieren, ob und inwiefern unser politisches (Wahl-)System in Zusammenhang mit der Thematik steht und wie es reformiert werden könnte.

Über Ihr Mitwirken würde ich mich sehr freuen. Falls Sie weitere Informationen (Links, Berichte etc.), wäre ich Ihnen sehr dankbar. Vielen Dank.

Mit freundlichen Grüßen
M. S.

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Antwort von
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Sehr geehrter Herr S.,

vielen Dank für Ihre Fragen, die Sie über Abgeordnetenwatch an mich gerichtet haben. Eine erschöpfende Beantwortung würde allein schon eine Bachelorarbeit fülle. Ich will versuchen, möglichst kurz und knapp auf Ihre Fragen einzugehen.
Ich kann mich sehr gut an die Wochen nach der Bundestagswahl 2017 erinnern. Ich war gerade direkt in den Deutschen Bundestag gewählt worden - als einzige Sozialdemokratin in den ostdeutschen Flächenländern. Bei aller Freude über den Erfolg im eigenen Wahlkreis saß damals der Schock über das Abschneiden der SPD insgesamt tief und wir haben uns als Sozialdemokratie darauf eingerichtet, uns inhaltlich und personell in der Opposition zu erneuern. Während sich die Sondierungsgespräche über viele Wochen hinweg schleppten, habe ich im Wahlkreis an Bahnhöfen gestanden und Postkarten verteilt, auf denen ich die Bürgerinnen und Bürger eingeladen habe, mir zu schreiben, was sie von der Politik und konkret von der SPD erwarten. Dazu gab es Fruchtgummischnüre und den Spruch "Sondierungsgespräche ohne Ende. Reißt Ihnen auch der Geduldfaden? Ich sondiere lieber mit Ihnen."
Als die Sondierungen scheiterten, weil es die Protagonisten von CDU/CSU, FDP und Grünen nicht vermochten, ein gemeinsames Bild zu entwerfen, wie Deutschland in den kommenden Jahren gestaltet werden solle, und weil es ganz offensichtlich unüberwindbare Hindernisse im persönlichen Miteinander gab, stand die SPD vor dem Dilemma, sich zwischen zwei Wegen entscheiden zu müssen, die wir beide nicht begehen wollten: Neuauflage der Großen Koalition oder Neuwahlen. Auf eine Minderheitsregierung hätte sich die Union nicht eingelassen. Deren damalige Vorsitzende hatte das klar und deutlich artikuliert. Neuwahlen erschienen auch mir seinerzeit als die schlechteste Lösung. Sie hätt zu diesem Zeitpunkt vermutlich ein noch besseres Abschneiden der Rechtspopulisten bedeutet und ein noch schwächeres der SPD. Nach Neuwahlen hätte es machtpolitisch eine ähnliche Ausgangssituation gegeben wie vorher und keine neuen Handlungsoptionen. Ich habe damals gesagt, wenn es uns als SPD gelingt, in Sondierungsgesprächen und später Koalitionsverhandlungen Inhalte durchzusetzen, die das Leben der Menschen spürbar, nachhaltig, ganz konkret verbessern, ist es unsere Pflicht und Schuldigkeit, erneut in eine Regierung einzutreten. Schließlich wurden wir von immer noch über 20% der Menschen gewählt, um Politik zu gestalten, nicht um irgendwelche taktischen Spiele zu betreiben. Dies war schon damals die Entscheidung für eine "Vernunftehe", nicht eine "Liebesheirat". Ich gestehe, dass es vor allem im Sommer vergangenen Jahres immer wieder Situationen gab, in denen ich mich gefragt habe, ob diese Entscheidung richtig war. Der Fall Maaßen oder der interne Streit in der Union, der zum Rücktritt und Rücktritt vom Rücktritt des Innenministers geführt hatten, stehen hier exemplarisch für viele andere Gründe und Situationen. Gesetze wie das zur Regelung der Brückenteilzeit, das Gute-Kita-Gesetz oder das Starke-Familien-Gesetz, die Aufhebung des Kooperationsverbotes und andere Projekte, die wir als SPD in der Bundesregierung durchgesetzt haben, zeigen aber, dass auch eine Große Koalition, die immer wieder an die Grenzen politischer Gemeinsamkeiten stößt, Politik zu gestalten vermag.

Wie Parteien stärker die Gunst der Wähler erlangen können, ist eine Frage, die Politikwissenschaftler und Politiker seit jeher bewegt. Wenn Sie in Ihren Studien die treffende und erfolgreiche Antwort finden, verraten Sie sie mir bitte! Meine Antwort jedenfalls ist Politik, die auf die Bedürfnisse der Menschen eingeht und die Zusammenhänge und Gründe erklärt. Unsere Welt wird zusehends komplexer und da helfen keine einfachen Antworten, schon gar keine populistischen. Aber man Komplexität herunterbrechen und verständlich machen.
Wichtig ist es, zu den Menschen zu gehen und zuzuhören und Gehörtes umzusetzen. Aus diesem Grund bin ich auch seit Sommer letzten Jahres mit einem Mobilen Bürgerbüro, einem eigens umgebauten Kleinbus, im Wahlkreis unterwegs und halte auf den Wochenmärkten Bürgersprechstunden ab. Darüber hinaus müssen wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten selbstbewusst zu unserem Programm stehen und ein Bild entwerfen, wie wir die Welt gestalten wollen, während KI, Globalisierung, Klimawandel usw. unausweichlich immense Veränderungen mit sich bringen.
Der Einfluss der Parteien ist in Deutschland vergleichsweise zu anderen europäischen Ländern noch hoch und Sie werden in Ihrem Studium sicherlich auch gelernt haben, warum das für die Demokratie gut ist. Gerade die kommunale Verankerung der Parteien sorgt für eine große Durchlässigkeit und Responsivität des politischen Systems. Aktionen jenseits der Parteien wie etwa die Gelbwesten in Frankreich oder ähnliche können Stimmungen artikulieren. Ihnen fehlt aber die Transmissionsfunktion. Sie vermögen es nicht, Bürgerinteressen zu kumulieren und in aktive Politik umzusetzen.
Was die Reform des Wahlsystems betrifft, gibt es im Moment keinen erkennbaren Königsweg. Grundsätzlich hat sich das personalisierte Verhältniswahlrecht bewährt. Fakt ist jedoch, dass das Parlament bereits das größte frei gewählte der Welt ist und das Wahlsystem mit seinen komplizierten Überhang- und Ausgleichsmandaten von den wenigsten Wählerinnen und Wählern verstanden wird. Andererseits sind auch die Wahlkreise bereits heute so groß, dass die gewissenhafte Betreuung der Bürgerinnen und Bürger, ihrer Anfragen und natürlich vor allem Bedürfnisse und Themen durch die Abgeordneten eine echte Herausforderung ist. Eine Vergrößerung der Wahlkreise würde der Demokratie und vor allem ihrer Wahrnehmung nicht dienlich sein.

Ich wünsche Ihnen für Ihre Bachelorarbeit gutes Gelingen und viel Erfolg!

Herzliche Grüße
Manja Schüle

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