Frage an Manfred Jäger von Christoph R. S. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Dr. Jäger
Ihr Faktionskollege Herr Böttger hat mich gebeten diese Frage an Sie zu stellen, da es mehr Ihr Fachgebiet betrifft:
Herr Böttger hatte im Beitrag davor geschrieben:
"Volksgesetzgebung und parlamentarische Gesetzgebung stehen bekanntermaßen gleichberechtigt nebeneinander. Es gibt keinen Vorrang der einen vor der anderen. Deshalb ist es verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn die Parlamentsmehrheit ein durch Volksgesetzgebung erlassenes Gesetz ändert. Insofern bezieht die CDU-Fraktion ihre Legitimation aus dem Wahlergebnis vom 29.2.2004. "
Dazu hatte ich gefragt:
"Das mag theoretisch richtig sein. Aber im Parlament ein Gesetz zu machen geht relativ schnell, eines mehr zu machen ist ein eher mariginaler Aufwand. Volksgesetzgebung dagen muss ein sehr langes Verfahren durchlaufen und das Sammeln der vielen Unterschriften ist sehr teuer, mühsam und aufwändig. So ist eine Änderung oder Aufhebung eines durch Volksentscheid beschlossenen Gesetzes rein praktisch gesehen eine Einschränkung des Rechtes am Volksentscheid, seine Degradierung zur Massenpetition.
Kann es diese Gleichrangikeit überhaupt geben? Muss man den Volksentscheid nicht entweder zur Massenpetition degradieren oder ihm den gleichen Absolutheitsanspruch - bezogen auf ein Sachthema - zubilligen wie dem Ergebnis der Parlamentswahl?"
Ich ergänze heute: Nach der Durchsicht des LBK-Urteils kann man tatsächlich zu dem Schluß kommen, es sei nur von der Gnade der Parlamentsmehrheit abhängig, ob und wie lange ein durch Volksentscheid beschlossenens Gesetz Bestand hat.
pace e bene
Christoph Strebel
21107 HH
Sehr geehrter Herr Strebel,
auch wenn es richtig, dass es für ein Parlament grundsätzlich schneller geht, ein Gesetz zu erlassen oder zu ändern, als dies im Rahmen der Volksgesetzgebung möglich ist, ändert dies aus meiner Sicht nichts daran, dass Volksgesetzgebung und Gesetzgebung gleichrangig nebeneinander stehen. Diese Gleichrangigkeit bezieht sich dabei naturgemäß nicht auf die Art und Weise der Gesetzgebung oder die Anzahl der zu erlassenden Gesetze. Hier ist natürlich das Parlament im Vorteil.
Dabei ist es im Übrigen nicht so, dass das Parlament Gesetze im Handumdrehen ändern kann. Wichtige Gesetzesvorhaben wie eine mögliche Änderung des Wahlgesetzes durchlaufen ein bestimmtes und langwieriges Gesetzgebungsverfahren. So wird die vorgesehene Änderung des Wahlgesetzes nach der Einbringung in die Bürgerschaft in den zuständigen Verfassungsausschuss überwiesen. Hier gibt es eine erste Beratung. Es folgt entweder eine öffentliche oder eine Expertenanhörung. Danach gibt es die Beratung dieser Anhörung im Ausschuss. Erst dann kann das Gesetz in zwei Lesungen in der Bürgerschaft verabschiedet werden. Das dauert auch einige Monate.
Parlamentsgesetze und Volksgesetzgebung sind im Hinblick auf ihre Geltung, aber eben auch im Hinblick auf ihre mögliche Änderung gleichrangig. Es gibt keinen Grundsatz, dass Gesetze, die durch Volksgesetzgebung erlassen worden sind, unantastbar nur deshalb sind, weil sie durch die Volksgesetzgebung zustande gekommen sind. Das heißt aber nicht, dass sie von der "Gnade" der Parlamentsmehrheit abhängig sind. Die Entscheidung zur Änderung eines Gesetzes, das durch Volksgesetzgebung zustande gekommen ist, ist immer auch eine schwerwiegende politische Entscheidung, die sich das jeweilige Parlament nicht leicht macht. Sie wird deshalb immer die Ausnahme bleiben.
Lassen Sie mich zum Abschluss kurz auf den aktuellen Fall der möglichen Änderung des Wahlrechts eingehen. Es ist ja kein Geheimnis, dass die CDU mit dem neuen Wahlrecht nicht unbedingt einverstanden war und ist. Wir hätten, wie übrigens auch die SPD, ein am Bundestagswahlrecht orientiertes Modell bevorzugt. Gleichwohl belassen wir es bei dem Grundcharakter des Wahlrechts. Es bleibt bei Mehrkandidatenwahlkreisen, den 10 Stimmen auf Wahlkreis- und Landeslisten sowie bei dem Kumulieren und Panaschieren. Die von uns beabsichtigten Änderungen beziehen sich auf die Bedeutung der Stimmen, die für die Parteilisten abgegeben werden. Deren Bedeutung wollen wir stärken. Diese Änderung ist aus unserer Sicht auch zum Erhalt der Funktionalität des Parlaments erforderlich.
Im Ergebnis aber erkennt auch die CDU das Ergebnis des Volksentscheids an. Er hängt damit aus meiner Sicht keineswegs nur von der "Gnade" der Mehrheit ab.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Manfred Jäger