Frage an Maaret Westphely von Anja N. bezüglich Verkehr
Sehr geehrte Frau Westphely,
in ihrem Wahlkreis gibt es das Bestreben von Kommunalpolitikern, den Ausbau des Stichkanals Linden und den Neubau der Schleuse Limmer für das ´übergroße Großmotorgüterschiff´ in Hannover politisch zu forcieren. Der Ausbau hat weder auf Bundes- noch auf Landesniveau eine wirtschaftlich erwähnenswerte Bedeutung und er steht auch nachweislich in keinem Zusammenhang mit einer Verbesserung der Hinterlandanbindung der Seehäfen.
Die geringe wirtschaftliche Priorität und den fehlenden Zusammenhang mit der Hinterlandanbindung bescheinigen z.B. auch Herr Rösler, FDP (s. Landtagssitzung 27.03.2009), Dr. Nägele im Auftrag von Herrn Hübner, SPD (MDB, stellvertretender Fraktions-Vorsitzender des SPD Bundestagsfraktion, Schreiben v. 06.04.2009). Vertreter der Grünen auf Bundesebene stehen dem Vorhaben kritisch gegenüber (z.B. Peter Hettlich, MDB) und von den Linken aus Stadt und Land wird das Vorhaben abgelehnt.
Das Vorhaben wird nach konservativer Schätzung mindestens 220 Mio EUR kosten und ist mit erheblichen Eingriffen in eng bebautes Gebiet (Gebäude z.T. unter Denkmalschutz), umfangreichen Natur- und Erholungsverlusten und dem Abriss und Neubau von 10 Brücken und deren Zuwegen verbunden. Von den ca. 80 Betrieben des unter anderem durch den Stichkanal angebundenen Gewerbegebiets in Hannover Linden nutzen nur noch 4-5 Betriebe für Teile ihrer Transporte die Kanalanlieferung mit ständig sinkender Tendenz.
Selbst die vom Nutznießer des Ausbaus (‚Städtische Häfen) in Auftrag gegebene Nutzen-Kosten Analyse kommt nur zu dem beschämend niedrigen Nutzen-Kosten-Koeffizienten von 1,07.
- Wie stehen sie angesichts solcher Zahlen und Fakten zu dem Ausbauvorhaben ?
- Können sie sich vorstellen, im Rahmen ihrer politischen Tätigkeit die Bürger ihres Wahlkreises in ihrem Widerstand gegen dieses Vorhaben zu unterstützen?
Anja Niezel
Sehr geehrte Frau Niezel,
grundsätzlich stimme ich mit Ihnen überein, dass eine immer weiter voranschreitende Anpassung der Infrastruktur an die Nutzer eine Spirale ohne absehbares Ende ist und daher dem nachhaltigen Umgang mit unseren Ressourcen und unserer Umwelt und nicht zuletzt einer verantwortungsvollen Haushaltspolitik entgegen steht.
Aus diesem Grund hatte sich in den 70er/80er Jahren eine Bürgerinitiative, in der auch spätere Grüne aktiv waren heftig gegen den Ausbau des Mittellandkanals gerichtet. Im Übrigen wird auf EU-Ebene die Diskussion über eine weitere Erhöhung von Binnenschiffsgrößen geführt, die ich für vollkommen falsch halte.
Inzwischen ist der Mittellandkanal bis auf wenige Engstellen ausgebaut und daher fast durchgehend für ein übergroßes Motorschiff (ÜGMS) befahrbar. Vor dem Hintergrund, dass die Schleuse in Limmer abgängig ist und der Neubau einer Schleuse mit erheblichen Kosten verbunden ist, aber auch eine Haltbarkeit von über 100 Jahren hat, kann ich verstehen, dass
1. ein Schleusenneubau als Nadelöhr in einem – meiner Meinung nach zu großzügig ausgebauten Netz – keinen Sinn macht, und
2. dass nicht allein die jetzige Situation des Gewerbes am Lindener Hafen als Grundlage der Kosten-Nutzen-Berechnung dienen kann. Zur Fortentwicklung des vorhandenen Gewerbe- und Industriestandortes wird auch ein qualifiziertes Konzept vorgelegt werden müssen, denn Grüne in Stadtbezirksrat und Rat sind sich einig, dass der Standort als solcher erhalten und weiterentwickelt werden soll.
Immer wieder wurde von den Gegnern der Schleuse angeführt, dass es nur wenige Schiffe in der Woche sind, die den Lindener Hafen ansteuerten. Bei diesem Argument möchte zu bedenken geben, dass ein alternativer Transport mit der Bahn oder dem LKW zu massiven Belastungen einer weit größeren Bewohnerschaft führen würde.
Klar ist, dass es zu erheblichen Eingriffen in die Umgebung kommen wird. Dazu möchte ich drei Dinge sagen:
1. haben sich die Grünen durch die Anhörung von verschiedenen Akteuren für eine sehr öffentliche Diskussion auch mit Ihnen als Mitglied der „Schleusenskeptiker“ eingesetzt. Eine Beschleunigung zumindest der Planung haben wir deshalb für gut befunden, um im Rahmen der Detailplanung die Frage zu klären, ob Häuser vom Abriss betroffen sind, was nicht der Fall ist. Sollten Häuser bis zur und während der Bauzeit verkauft werden müssen, wurde seitens der Stadt zugesichert, dass die öffentliche Hand als Zwischenkäuferin eintritt, um Härten zu vermeiden. Allerdings ist nicht die Stadt, sondern Schifffahrtsdirektion Mitte Herr des Verfahrens. Die Stadt wird lediglich bei der umzusetzenden Variante beteiligt.
2. Zu den genannten Details: meines Wissens nach sind nicht 10, sondern nur 7 Brücken von einer Höherlegung betroffen, was natürlich immer noch enorm ist. Bei dem denkmalgeschützten Gebäude, das abgerissen werden muss, handelt es sich um ein Fabrikgebäude von Conti, das extrem stark mit Nitrosaminen verseucht ist. Bisher haben sich die Grünen vor Ort gegen einen Abriss ohne Not ausgesprochen. Es wurde anstelle dessen vorgeschlagen, es als „Parkpalette" umzufunktionieren, deutlich wird aber, dass dieses Gebäude kaum etwa für Wohn- oder Gewerbenutzung geeignet wäre. Der Abriss eines Denkmals ist zwar nie schön, in diesem Fall aber meiner Meinung nach zu vertreten. Der Ausbau des Mittellandkanals, auch wenn ich ihn als Wegbereiter dieser Maßnahme nicht gutheiße, hat dennoch gezeigt, dass auch im Rahmen solch einer Maßnahme die Qualität der Uferbereiche verbessert werden kann, sowohl im Hinblick auf die Biodiversität, als auch im Hinblick auf die Aufenthaltsqualität für die StadtbewohnerInnen.
Vor dem Hintergrund der erläuterten Gründe spreche ich mich in diesem Fall für einen Ausbau der Schleuse und des Stichkanals aus, der so ökologisch- und sozialverträglich wie möglich gestaltet werden soll. Denn ich wünsche mir eine Berücksichtigung sowohl der Interessen der BewohnerInnen Limmers als auch der Hafenbetriebe vor Ort.
Auch wenn die Ökobilanz der Binnenschifffahrt durch Ausbauprojekte geschmälert wird, so hat sie doch eine wesentlich günstigere CO2-Bilanz als der Transport auf der Straße. Deshalb stehe ich Investitionen in den Ausbau von Schifffahrtswegen wesentlich positiver gegenüber, als Straßenausbauplänen, die im Übrigen ein vielfaches an Kosten verursachen (allein 2008: 4,7 Milliarden zu 800 Millionen auf Bundesebene).
Ich hoffe, ich habe Ihnen meine Sichtweise und die Begründung dafür nachvollziehbar machen können, und komme gerne einem Gespächswunsch vor Ort nach.
Mit freundlichen Grüßen
Maaret Westphely