Frage an Lydia Westrich von Günter G. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen
Sehr geehrte Fr. Westrich,
ich wüsste gerne, ob Sie diesem Vertrag zugestimmt haben.
Falls ja, würde mich sehr interessieren, ob Sie das Mammut-Werk verstanden haben (die meisten Parlamentarier haben ja schon zugegeben, diesen Vertrag nicht einmal gelesen zu haben - ich habe ihn gelesen). Dann müsste ich Sie fragen, wie sie etwas zustimmen können, das unserem deutschen Demokratieverständnis völlig konträr läuft, das eine Entmachtung des Deutschen Grundgesetzes, des Bundesgerichtshofes, ja sogar der Menschenrechte (die Todesstrafe soll möglich sein, obwohl dies lt. Grundgesetz ganz klar verboten ist, allerdings soll ja nun EU-Recht vor nationalem Recht gelten) vorsieht und zu Recht schon als Verfassung in 2001 von einigen EU-Ländern abgelehnt wurde (der jetzige Vertrag ist nur ein neuer Aufguss der damaligen "Verfassung"). Daß die Demokratie und die eigenen Gesetze von der Europäischen Union mit Füßen getreten werden, zeigt auch der neuerliche Versuch, die Abstimmung in Irland NICHT als Grund zu nehmen, den Vertrag als gescheitert anzusehen - obwohl dieser Vertrag einstimming angenommen werden muss...
Sollten Sie sich an diesem Ausverkauf Deutschlands und damit auch unserer Heimatregion beteiligt haben, ist dies ein ganz klarer Grund, Sie nicht mehr zu wählen und dies wird auch in meinem weitläufigen Bekanntenkreis durchaus so gesehen. Sie würden damit nicht meine und die Interessen des Landes oder unserer Stadt vertreten, ich gehe sogar soweit zu sagen, daß es einem Landesverrat gleichkäme.
Wenn Sie gegen den Vertrag gestimmt haben, bitte ich Sie darzulegen, wie ihre künftige Haltung ist, und was Ihre Hauptkritikpuntke waren - dadurch wären Sie auch weiterhin wählbar.
Ich hoffe auf eine ehrliche Stellungnahme
mit freundlichen Grüßen
Günter Göppel
Sehr geehrter Herr Göppel,
vielen Dank für Ihre Anfrage vom 15. Juni 2008, in der Sie mir mich um eine Stellungnahme zum Vertrag von Lissabon bitten. Gerne komme ich Ihren Anliegen nach:
Wie ich bereits Herrn Krautwurst am 9. Mai 2008 in meiner Antwort auf Abgeordnetenwatch schrieb, habe ich dem Vertragswerk nach reiflichem Überlegen zugestimmt. Zwar hätte ich mir statt des Vertrages von Lissabon eher ein Jahrhundertwerk gewünscht, welches die europäische Einigung in großen Schritten vorangebracht hätte. Jedoch halte ich auch die nun erarbeitete Kompromisslösung für einen richtigen und wichtigen Schritt hin zu einem sozialeren Europa.
Den von Ihnen angesprochenen „Ausverkauf Deutschlands“ habe ich dabei nicht ausmachen können. Im Gegenteil: Der Vertrag von Lissabon hat unter anderem die Stellung der nationalen Parlamente – und damit auch des Deutschen Bundestages – verbessert: Mit der in dem Vertragswerk verankerten Subsidiaritätsrüge wird sichergestellt, dass das Subsidiaritätsprinzip besser gerichtlich geprüft werden kann. Dieses Prinzip ergibt sich aus Art. 5 Abs. 2 EGV und besagt dabei vereinfacht, dass die einzelnen Mitgliedstaaten die Zuständigkeiten zur Gesetzgebung behalten, die sie selbst am wirksamsten wahrnehmen können, und der Gemeinschaft die Befugnisse zukommen, die die Mitgliedstaaten auf nationaler, regionaler oder lokaler Ebene nicht in befriedigender Weise ausüben können. Die Rüge erlaubt nun eine kritische Überprüfung bei der Einhaltung des Grundsatzes. Ist ein nationales Parlament danach immer noch nicht von dessen Einhaltung überzeugt, kann es gegen diese Missachtung nach Erlass des europäischen Rechtsaktes vor dem Europäischen Gerichtshof klagen.
Auch hinsichtlich der Frage der Menschenrechte kann ich keine Verschlechterung erkennen. Denn die Charta der Grundrechte wird zum verbindlichen Maßstab für Handlungen der Europäischen Union. Der Vertrag von Lissabon nimmt diese zwar nicht unmittelbar in den EU-Vertrag auf, macht sie aber rechtsverbindlich. Dadurch gibt es für das Handeln der EU-Institutionen, insbesondere für ihre Gesetzgebung, erstmals einen in geschlossener Form schriftlich niedergelegten Grundrechtskatalog. Bisher fußte die Grundrechtsbindung alleine auf der vom Europäischen Gerichtshof aus den Traditionen und Konzepten der Mitgliedstaaten entwickelten Rechtsprechung. Der Schutz der Grundrechte durch das Grundgesetz und das Bundesverfassungsgericht wird somit ergänzt.
Bezüglich der Todesstrafe legt Artikel 2 Absatz 2 der EU-Grundrechtecharta eindeutig fest, dass in den Vertragsstaaten niemand zur Todesstrafe verurteilt oder hingerichtet werden darf. Diese Regelung entspricht dem Artikel 102 Grundgesetz: „Die Todesstrafe ist abgeschafft.“ Auch in der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) ist durch Artikel 1 des Protokolls Nr. 13 zur EMRK die Todesstrafe mittlerweile abgeschafft. Das bedeutet, dass neben den Regelungen im Grundgesetz und der EU-Grundrechtecharta ein weiterer Artikel eindeutig und unmissverständlich festlegt, dass die Todesstrafe verboten ist.
Schließlich möchte ich darauf hinweisen, dass sich die Europäische Union, insbesondere das Europäische Parlament, seit Jahren für die weltweite Abschaffung der Todesstrafe einsetzt. Im Februar 2007 hat das Europäische Parlament dazu eine Erklärung verabschiedet, in der es ein weltweites Moratorium der Vereinten Nationen für die Vollstreckung der Todesstrafe fordert.
Der von Ihnen angesprochene negative Ausgang des irischen Referendums zum Vertragswerk von Lissabon war für mich enttäuschend. Die demokratische Entscheidung der irischen Wählerinnen und Wähler ist jedoch zu respektieren und es gilt nun, mit dem Votum der irischen Bevölkerung sensibel umzugehen. Es darf nicht der Eindruck entstehen, dass der Entscheidung Irlands von den anderen Mitgliedsstaaten kein Gewicht beigemessen wird.
Fragt man nach den Gründen für die Ablehnung des Vertrags von Lissabon, so sind die Erklärungsansätze vielfältig. Ich erlaube mir, zwei von ihnen beispielhaft zu erwähnen: Zum einen werden von Seiten Irlands Steuerharmonisierungspläne befürchtet, welche Irlands Körperschaftssteuer von lediglich 12,5 Prozent bedrohen könnten. Dieser niedrige Satz ist für deutsche Unternehmen ein wesentliches Kriterium, wenn sie ihren Sitz – zumeist auf Kosten deutscher Arbeitsplätze – nach Irland verlegen. Im Gegenzug aber hat Irland stets gerne auf die Fördertöpfe der Europäischen Union zurückgegriffen. Zum anderen fürchtet Irland, dass soziale Errungenschaften – wie etwa in Deutschland – europaweit eingeführt werden könnten, wodurch Irland seinen Wettbewerbsvorteil weitestgehend verlieren würde.
All dies hat mich, sehr geehrter Herr Göppel, in meiner Einstellung zum Vertrag von Lissabon bestärkt. Ich bin auch weiterhin davon überzeugt, dass wir den Vertrag von Lissabon für ein sozialeres Europa benötigen. Die Europäische Union ist mehr als eine Wirtschaftsgemeinschaft – sie ist eine Wertegemeinschaft! Nun liegt es an der irischen Regierung, Wege aus der Krise aufzuzeigen.
Mit freundlichen Grüßen
Lydia Westrich, MdB